"Wien 0815": Alltagsmikrodramen zu Coronazeiten auf Joyn
Eigentlich wollten Florian Drexler und Sophie Bösker "Wien 0815" als Bühnenstück herausbringen - doch dann kam die Pandemie. Also haben sich der Theaterregisseur, Musiker und Schauspieler und die Filmemacherin entschieden, das Projekt als Miniserie umzusetzen. Das Ergebnis ist ein liebevoller wie leichtfüßiger Blick auf das städtische Alltagsleben in Coronazeiten. Abrufbar ab 27. Dezember beim Streamingdienst Joyn.
Die Story beginnt als Liebesgeschichte: Am nächtlichen Karlsplatz lernen sich der Straßenmusiker und Theatermacher Joshua (Drexler) und die Schauspielerin Mira (Mona Kospach) kennen. Sie trinken Dosenbier. Als Joshua vom Pinkeln zurückkommt, ist Mira verschwunden. Sie hat ihm aber gnädigerweise einen Zettel mit ihrer Telefonnummer zugesteckt, den Joshua zu Hause entdeckt. Die beiden Mittdreißiger beginnen eine Affäre.
Mit der Zeit bekommen die sehr lose eingeführten Hauptcharaktere nicht nur Konturen, sondern auch das Geschehen verästelt sich zunehmend. Neue Figuren sorgen für neue Handlungsstränge, die immer wieder ineinander verwoben sind oder sich zumindest kurz berühren. Mira versteckt sich vor ihrem Verlobten Thomas und hat deshalb Unterschlupf bei einem Freund, Bernhard, gefunden. Dieser wiederum ist unglücklich verliebt in den fast doppelt so alten Erich, der wiederum Joshuas Therapeut ist. Und Joshua selbst wohnt mit Qasem in einer WG zusammen - einem Mitglied jener aus Geflüchteten bestehenden Theatertruppe, mit der der Theaterregisseur gerade ein Stück als "Vampir-Drama" über die EU und ihren Umgang mit ärmeren Weltregionen erarbeitet. Er kämpft um die Finanzierung des Projekts in Zeiten, in denen der nächste Lockdown jederzeit kommen kann. Drogen im Kühlschrank spielen dann auch noch eine Rolle.
Und weil das Macherduo laut eigenem Bekunden auch Künstlerinnen und Künstlern eine Bühne geben wollte, die sie wegen der Pandemie nicht hatten, sind den einzelnen Folgen kurze (Social-Media-)Clips als Prologe vorangestellt, die Einblicke in verschiedene Disziplinen - von Comics bis Performances - geben.
Nur jeweils 10 bis 15 Minuten dauern die insgesamt sechs Episoden dieser Very-Low-Budget-Produktion (40.000 Euro Covid-Förderung), die im Mai 2021 in lediglich zwei Wochen mit einem kleinen Team gedreht wurden. Die Serie zieht aus der notwendigen Reduktion viel Authentizität, Charme und Unbeschwertheit. Mikrodramen statt Plottwists, warmes Licht, intime Kameraführung, ungekünstelte Dialoge, leiser Humor durchziehen die Miniserie. Corona schimmert im Hintergrund zwar durch - viele Szenen spielen im Freien oder in Wohnungen, es gibt nächtliche Ausgangssperren und Besprechungen per Zoom -, drängt sich aber als Thema nie wirklich in den Vordergrund. Vielmehr geht es um Menschliches und Zwischenmenschliches: Freundschaft, Beziehungen, Selbstzweifel, Durchwursteln, Lebensplanung - kurzum: um den trotz Pandemie eigentlich gar nicht so außergewöhnlichen Alltag junger Großstädter. "Wien 0815" halt.
(Von Thomas Rieder/APA)