Nach Nehammer-Rückzug: Heute sind Van der Bellen und der ÖVP-Vorstand am Wort
Die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ sind endgültig gescheitert, Karl Nehammer hat seinen Rücktritt angekündigt. Am Sonntag sind nun Van der Bellen und der ÖVP-Vorstand am Wort.
Wien – Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen der ÖVP mit der SPÖ und dem am Samstag angekündigten Abschied von Karl Nehammer als Bundeskanzler und ÖVP-Obmann ist in Österreichs Innenpolitik einiges in der Schwebe. In der Frage der Regierungsbildung liegt der Ball bei Bundeskanzler Alexander Van der Bellen, der am Sonntag weitere Schritte setzen will. In der Volkspartei ist der Bundesparteivorstand am Wort.
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Kickl und Stocker kamen zu erstem Gespräch über mögliche Koalition zusammen
Die Beratungen der ÖVP haben am Vormittag ein erstes Ergebnis gebracht. Die Partei wird nach dem Rücktritt von Karl Nehammer vorerst von einem Übergangs-Obmann geführt: Der Vorstand hat beschlossen, den bisherigen Generalsekretär Christian Stocker (64) mit dieser Aufgabe zu betrauen. Dies wurde der TT aus einer gesicherten Quelle bestätigt. Stocker soll bis 27. Jänner – und damit nach der Gemeinderatswahl in Niederösterreich – in der Position bleiben.
Nehammer wird um 13 Uhr Bundespräsident Alexander Van der Bellen über die aktuellen Entwicklungen informieren. Im Anschluss plant der Bundespräsident eine öffentliche Erklärung.
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Kickl und Stocker kamen zu erstem Gespräch über mögliche Koalition zusammen
Nehammer kündigte Rücktritt an
Die ÖVP hat am Abend die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ abgebrochen, was auch ein Aus für Karl Nehammer bedeutet. „Eine Einigung ist in wesentlichen Kernpunkten nicht möglich, so hat es keinen Sinn für eine positive Zukunft Österreichs“, erklärte Nehammer in einem Video, das er in sozialen Medien teilte. Man habe bis zum jetzigen Zeitpunkt alles versucht, so der ÖVP-Chef und Bundeskanzler weiter, der zuletzt mit der SPÖ allein verhandelt hatte, nachdem die NEOS als dritter Koalitionspartner abgesprungen waren.
Nehammer verkündete, dass er sich „in den nächsten Tagen als Bundeskanzler und Parteiobmann“ zurückziehen wird. „Nimm dich selbst nicht so wichtig“ sei ein Satz, den ihm sein Vater mitgegeben habe. Er werde einen geordneten Übergang ermöglichen, es sei ihm eine Ehre gewesen, dem Land zu dienen.
Er werde kein Programm unterschreiben, das wirtschaftsfeindlich, wettbewerbsfeindlich und leistungsfeindlich sei, betonte Nehammer. Ihm sei schon klar, dass man in einer Koalition Kompromisse eingehen müsse – dies dürfe aber nicht zulasten der Menschen gehen. Es habe nie einen Zweifel gegeben, dass die ÖVP Eigentums- oder Erbschaftssteuern nicht zustimmen werde. Das habe er vor den Verhandlungen gesagt, dabei sei er auch geblieben. Als Konsequenz aus dem Ende der Verhandlungen werde er sich zurückziehen.
Es sei seine tiefe Überzeugung, dass radikale Kräfte keine Lösungen anbieten könnten, sondern nur davon leben würden, Probleme zu beschreiben, meinte er wohl mit Blick auf eine mögliche Zusammenarbeit mit der FPÖ. „Redlichkeit ist in der Politik nicht sexy.“ Er werde sich aber trotzdem nicht verbiegen.
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Am Ende ging es schnell
Babler kritisiert „parteitaktische Taktierereien“
Der innerparteiliche Druck auf Nehammer war zuletzt gestiegen. In diese Richtung äußerte sich in einem Pressegespräch auch SPÖ-Chef Andreas Babler, der sich bei Nehammer persönlich bedankte. Andere Kräfte in der Volkspartei hätten die Verhandlungen nicht gewollt: „Jener Flügel hat sich durchgesetzt, der von Anfang an mit den Blauen geliebäugelt hat.“ Auf Nachfrage wollte Babler diese Kräfte zwar nicht namentlich nennen, im Anschluss an die Pressekonferenz wurde von Seiten der SPÖ aber der Wirtschaftsflügel, allen voran Harald Mahrer und Wolfgang Hattmansdorfer, der als Nehammer-Nachfolge gehandelt wird, genannt.
Babler habe an die ÖVP appelliert, über das Wochenende weiter zu verhandeln und nicht aufzustehen. Denn es hätte Staatsverantwortung und nicht „parteitaktische Taktierereien“ gebraucht, so Babler. Berichte, wonach er am Freitag schon mit einem Austritt aus den Gesprächen geliebäugelt hätte, seien „eine klassische Zeitungsente“. Er sei überzeugt gewesen, dass man „die noch offenen Punkte“ lösen hätte können.
Wie es weitergehen könnte:
ÖVP-SPÖ-Abbruch
Kommt nun die FPÖ zum Zug? Optionen nach den geplatzten Verhandlungen im Überblick
In der „ZiB2“ betonte Babler am Samstagabend, in den Verhandlungen nicht auf Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer bestanden zu haben, auch wenn man beides für sinnvolle Konzepte halte. Alternativen in Sachen Vermögenszuwachs, auch eine Bankenabgabe wären offenbar für die SPÖ gangbar gewesen.
Wie es jetzt weiter geht, wollte Babler nicht beurteilen, auch wenn er von einer blau-schwarzen Koalition ausgeht, die „grob fahrlässig“ für das Land wäre. Die weiteren Schritte oblägen dem Bundespräsidenten, mit dem er sich auch schon ausgetauscht habe. Dem Vorgehen Nehammers wird Babler nicht folgen: Der SP-Chef denkt nicht an einen Rücktritt. Sollte es zu Neuwahlen kommen, gehe er davon aus, wieder Spitzenkandidat zu sein.
📽️ Video | SPÖ-Chef Babler im „ZiB2“-Interview
Kickl mahnt ÖVP
Freilich scheint FPÖ-Chef Herbert Kickl der ÖVP das Leben nicht leicht machen zu wollen. Konkret adressierte er in einer Aussendung die Vorsitzenden-Frage, die er als „Nagelprobe“ sieht: „Man wird sehen, ob die Volkspartei das Machtwort der Wähler von der Nationalratswahl zumindest jetzt ansatzweise verstanden hat.“
Den Bundespräsidenten sieht der Freiheitlichen-Obmann unter Zugzwang: „Alexander Van der Bellen hat eine maßgebliche Mitverantwortung für das entstandene Chaos und die verlorene Zeit. Das kann er nicht von sich wegschieben.“ Van der Bellen stehe mit Nehammer und Babler „vor den Trümmern ihrer Kickl-Verhinderungsstrategie“.
Meinl-Reisinger sieht sich in Entscheidung bestätigt
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sieht sich durch das Scheitern der Regierungsverhandlungen zwischen Volkspartei und Sozialdemokraten in ihrer eigenen Wahrnehmung bekräftigt: „Der rasche Bruch bestätigt uns in der gestrigen Entscheidung, die Verhandlungen aufgrund fehlenden Reformeifers zu verlassen“, sagte sie in einer schriftlichen Stellungnahme am Samstagabend. Für Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte sie „großen Respekt“ übrig.
„ÖVP und SPÖ sind leider nicht fähig, über die gegenseitigen Verletzungen hinweg zu kommen und ein gemeinsames Bild für dieses Land zu entwickeln“, so Meinl-Reisinger. Bezüglich Nehammer hieß es weiter: „Auch sein persönliches Bemühen und redliches Verhandeln konnte die Verkrustung in den alten schwarz-roten Strukturen nicht aufbrechen.“
Erneut begründete die Parteichefin ihr Aussteigen aus den Verhandlungen. Die NEOS hätten Verantwortungen gegenüber jenen, „die wollen, dass es nicht so weitergeht wie bisher und die eine Perspektive über den nächsten Wahltag hinaus erwarten“. (TT, APA)
Reaktionen aus Tirol
Deutliche Kritik findet Landeshauptmann Anton Mattle (VP) für das Bild, das die Bundespolitik in den aktuellen Tagen abgibt. „Die politische Situation auf Bundesebene gibt ein Bild ab, das uns Tiroler enttäuscht. Das ist nicht die Art von Politik, die wir in Tirol schätzen. Unser Land steht seit jeher für Stabilität, Zusammenhalt und neue Ideen.“ Das werde auch weiterhin der Weg in Tirol sein. Doch eines ist für ihn klar: „Die Bundespolitik muss rasch handlungsfähig werden. Die Zeit der parteipolitischen Spiele und des Stillstands muss vorbei sein.“
Enttäuscht zeigt sich auch der Tiroler SPÖ-Chef LHStv. Philip Wohlgemuth. „Bund ist Bund und Land ist Land. Verlässlichkeit und Stabilität in der Tiroler Landesregierung und eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen den staatstragenden Parteien – das hätte ich mir auch als Vorbild für den Bund gewünscht.“ Die gescheiterten Verhandlungen in Wien würden ihn darin bestätigen, dass es eine konstruktive Politik mit Handschlagqualität und ein bodenständiges Arbeiten für die Bevölkerung benötige.
ÖVP-Funktionär und Tourismus-LR Mario Gerber fordert Verhandlungen mit den Freiheitlichen. „Es benötigt rasch eine stabile Regierung, wie das mit einem Mandat Überhang mit der SPÖ hätte funktionieren sollen, frage ich mich schon“, sagt Gerber zur TT. Der Wirtschaftsstandort sei massiv in Gefahr, Bundespräsident Alexander Van der Bellen müsse jetzt dem Wahlsieger den Auftrag zur Regierungsbildung geben. Und das sei eben die FPÖ mit Herbert Kickl. Gerber spricht sich gegen politische Scheuklappen aus, mit der SPÖ sieht er keine Möglichkeit für eine Reformregierung, die es jedoch dringend benötige. „Wir werden dann ja sehen, was bei den Gesprächen herauskommt.“
Treffen am Samstag
Nach NEOS-Rückzug: ÖVP und SPÖ führen Gespräche zu zweit fort
Regierungsauftrag gilt weiter