„Tore sehr weit geöffnet“: Zwei Politik-Experten sehen blau-türkise Verhandlungen kommen
Für den Meinungsforscher Peter Hajek und den Politikberater Thomas Hofer ist eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ nun sehr wahrscheinlich.
Wien – Mit den Aussagen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und dem neuen geschäftsführenden ÖVP-Chef Christian Stocker sind laut Experten Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP nun ziemlich wahrscheinlich geworden.
Die weitere Entwicklung werde nun davon abhängen, wie FPÖ-Chef Herbert Kickl reagiert, sagte Meinungsforscher Peter Hajek zur APA. Für Politikberater Thomas Hofer sind die Tore in Richtung einer FPÖ-ÖVP-Zusammenarbeit „sehr weit“ geöffnet worden.
Kickl-Gegner in ÖVP leiser geworden
Hofer wie auch Hajek verwiesen auf die Aussagen von Van der Bellen vom Sonntag. Dieser hatte erklärt, dass „die Stimmen innerhalb der ÖVP, die eine Zusammenarbeit mit Kickl ausschließen, leiser geworden sind“ und sich damit ein neuer Weg aufgetan habe. Auch schloss der Präsident nicht aus, Kickl den Regierungsbildungsauftrag zu erteilen.
„Ich glaube, dass mit der Änderung dieser Linie bei Van der Bellen und auch der ÖVP (...) die Tore sehr weit in Richtung einer blau-schwarzen Zusammenarbeit geöffnet wurden“, sagte Hofer im APA-Gespräch. Selbst wenn Van der Bellen wie in einer Präambel (wie es im Jahr 2000 Klestil von der ÖVP-FPÖ-Regierung und Wolfgang Schüssel gefordert hatte) etwa ein Bekenntnis zu Menschenrechten, Medienfreiheit und EU einfordern würde, könnte das FPÖ-Chef Herbert Kickl „wohl umschiffen“.
Koalition mit FPÖ für ÖVP besser als Neuwahlen
Hajek verwies auf die Aussagen Stockers, wonach die ÖVP ein allfälliges Gesprächsangebot der FPÖ zu Koalitionsverhandlungen annehmen wolle: „Die Wahrscheinlichkeit, dass es in Richtung Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP geht, ist sehr hoch“. „Jetzt kommt es darauf an, wie Kickl reagiert – auch auf die Personalia Stocker“, sagte der Meinungsforscher mit Blick auf teils sehr scharfe Worte des geschäftsführenden ÖVP-Chefs in Richtung Kickl.
Dass die ÖVP nun entgegen ihrer klaren Ankündigung im Nationalratswahlkampf (und auch bis zuletzt), mit einer FPÖ unter Herbert Kickl nicht koalieren zu wollen, über Bord wirft, ist für die Experten den Umständen geschuldet. Der Gang in eine solche Koalition sei „kurzfristig“ für die ÖVP besser als Neuwahlen, weil bei letzteren davon auszugehen sei, dass die Volkspartei die 26,3 Prozent aus dem Urnengang vom 29. September nicht mehr erreicht, sagte Hajek.
Man wisse aus Umfragen, dass die ÖVP derzeit nur sehr wenige Wähler aus dem blauen Teich mobilisieren könnte, auch nicht mit Sebastian Kurz an der Spitze. „Neuwahlen wären ein echtes Hochrisikospiel gewesen“, sagte auch Hofer.
Krisensituation für ÖVP
„Dementsprechend ist das kurzfristig die freundlichere Option für die ÖVP“, so Hajek. Gleichzeitig verwies er auf mögliche negative Folgen für die Volkspartei: „Mittel- und langfristig hat die ÖVP ein Problem.“ Es sei die Frage, wie die ÖVP-Wähler darauf reagieren. Denn mit einem solchen Schritt verliere die ÖVP möglicherweise weiter an Unterscheidungskraft zur FPÖ. Auch bestehe die Möglichkeit, dass die FPÖ weitere Wähler aus dem konservativen Lager gewinnen könnte.
Auch verwiesen Hajek und Hofer auf das Wahlversprechen der ÖVP und insbesondere von Ex-Parteichef Karl Nehammer, mit der FPÖ unter Kickl nicht zu koalieren: Enttäuschte ÖVP-Wähler „aus dem bürgerlich-liberalen Segment“ könnten damit eventuell zu den NEOS abwandern, so Hajek. Die ÖVP sieht er derzeit „am Abgrund“, es sei „bemerkenswert“, dass niemand anderer als der bisherige Generalsekretär die Partei übernimmt. „Wirklich bemerkenswert“ sei auch, dass sowohl ÖVP als auch SPÖ mit dem Scheitern der Verhandlungen nicht mehr bewiesen hätten, „dass sich die Republik auf sie verlassen kann“.
„Die FPÖ nun auf den Schild zu heben, das ist für einen Teil der ÖVP-Wählerschaft sicher schwer zu verkraften. Es ist sicher eine Krisensituation für die Partei“, ergänzte Hofer. Der Politikberater verwies ebenfalls auf die oft harschen Worte Stockers in Richtung Kickl. „Stocker wird sich seine Zitate oft vorhalten lassen müssen, aber er wird das aushalten“ – auch, weil er „vermutlich nicht als nächster ÖVP-Spitzenkandidat in eine neue Wahl gehen wird“. (APA)
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