Noch einige offene Fragen

Gaza-Deal in greifbarer Nähe: Feuerpause könnte unmittelbar bevorstehen

Nach über einem Jahr, könnte es in Gaza nun zu einer Feuerpause kommen. Auch zu einer Freislasung der Geiseln soll es kommen.
© EYAD BABA

Noch herrscht viel Unklarheit über eine offizielle Annahme des Vorschlags durch die Hamas. Demonstrationen in Tel Aviv sprechen sich teilweise für und gegen eine Einigung aus.

Doha/Tel Aviv/ Gaza – Eine Einigung über eine Feuerpause in Gaza und eine Freilassung von Geiseln steht offenbar unmittelbar bevor. Am Mittwochnachmittag bestand allerdings noch Unklarheit darüber, ob die Terrororganisation Hamas dem Deal mit Israel bereits offiziell zugestimmt hat. Während ein israelischer Vertreter davon sprach, Hamas-Militärchef Mohammed Sinwar habe den Plan angenommen, hieß es aus dem Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, es gebe noch keine Antwort der Hamas.

Zuvor hatten mehrere Quellen gegenüber israelischen und internationalen Medien von einer nahen offiziellen Einigung bei den indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas im katarischen Doha gesprochen. Die von den Vermittlern Katars vorgelegte Plan könne gar bereits am heutigen Mittwoch unterzeichnet werden, sagte ein israelischer Vertreter am Mittwoch gegenüber Medien. Wie der israelische Radiosender Kan mit Berufung auf eine palästinensische Quelle berichtete, sei bei einem Treffen von Hamas-Anführern vergangene Nacht eine Einigung über die Zustimmung erzielt worden.

Ein hochrangiger Hamas-Beamter hatte am späten Dienstagabend gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters gesagt, dass die palästinensische Gruppe noch darauf warte, dass Israel Karten vorlege, die zeigten, wie seine Streitkräfte sich aus dem Gazastreifen zurückziehen.

Islamischer Jihad beteiligt sich an Verhandlungen

Nach Darstellung von Vertretern der Vermittler-Staaten Katar, Ägypten und USA sowie der Kriegsparteien Israel und Hamas ist eine Einigung in greifbarer Nähe. Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, sagte, er hoffe, dass ein Abkommen noch diese Woche erreicht werden könne.

Die von der Times of Israel zitierten arabischen Unterhändler spekulierten, dass eine Einigung in dem seit mehr als 15 Monaten andauernden Krieg am Mittwoch oder am Donnerstag in Form einer gemeinsamen Erklärung der USA, Katars und Ägyptens bekanntgegeben werden könnte. Die drei Länder vermitteln zwischen Israel und der Hamas, da diese nicht direkt miteinander verhandeln. Die militante Gruppe Islamischer Jihad, die auch Geiseln im Gazastreifen hält, erklärte, sie schicke ebenfalls eine hochrangige Delegation nach Doha.

Demonstranten sind für einen Deal - und dagegen

In der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv versammelten sich am Dienstagabend laut örtlichen Medien Tausende Menschen in der Hoffnung, dass die Islamisten dem Entwurf einer Vereinbarung zustimmen, die unter anderem die Freilassung von Geiseln der Hamas im Austausch gegen palästinensische Häftlinge aus Israels Gefängnissen vorsieht. In Jerusalem protestierten indes Hunderte gegen einen solchen Deal. „Ein freigelassener Terrorist ist der Mörder von morgen“, sagte einer der Teilnehmer.

Israels Ministerpräsident Netanyahu beriet sich laut der „Times of Israel“ mit dem Verhandlungsteam sowie Mitgliedern des Sicherheitsapparats. Die Familien der Geiseln würden so bald wie möglich über den neuesten Stand informiert. Eine Vereinbarung müsste vom Sicherheitskabinett und der gesamten Regierung gebilligt werden. Bei seinem Besuch in Rom sagte der israelische Außenminister Gideon Saar am Dienstag, er glaube, dass eine Mehrheit der israelischen Koalitionsregierung eine Gaza-Vereinbarung unterstützen würde.

Krankenhäuser und medizinische Teams in Israel bereiten sich bereits auf die Behandlung der bei einer Einigung freizulassenden Geiseln vor, wie das „Wall Street Journal“ berichtete. Vielen der beim Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführten Geiseln dürfte es körperlich wie psychisch sehr schlecht gehen. Ziel sei es, alle 98 Geiseln zurückzuholen, sagte ein israelischer Regierungsvertreter - auch wenn unklar ist, wie viele von ihnen noch am Leben sind. Unter den Verschleppten sind Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft, darunter auch ein Österreicher.

Details des geplanten Deals

Die angestrebte Waffenruhe sei zunächst auf etwa 42 Tage beschränkt, sagte der Regierungsvertreter. Die Freilassung der Geiseln würde sich voraussichtlich über Wochen erstrecken. In einer ersten Phase sollten 33 „humanitäre Fälle“ freikommen. Es gehe um Frauen, Kinder, Menschen über 50 sowie Verletzte und Kranke, erklärte der Informant. Man gehe davon aus, dass die meisten am Leben seien.

Beide Seiten hätten sich darauf geeinigt, dass die Hamas am ersten Tag drei Geiseln freilässt, berichtete der britische Sender BBC unter Berufung auf einen palästinensischen Offiziellen in Doha. Danach würde Israels Armee mit dem Rückzug ihrer Truppen aus den bewohnten Gebieten Gazas beginnen. Sieben Tage später würde die Hamas demnach vier weitere Geiseln freilassen. Israel wiederum würde den Vertriebenen im Süden des Gazastreifens erlauben, in den Norden zurückzukehren, allerdings nur zu Fuß über die Küstenstraße, hieß es.

Übergabe soll in mehreren Phasen erfolgen

Israel habe sich außerdem bereit erklärt, rund 1000 palästinensische Häftlinge freizulassen, darunter etwa 190, die eine Haftstrafe von 15 Jahren oder mehr verbüßt haben, berichtete die BBC. Auch nach Beginn der Waffenruhe sollen israelische Soldaten in einer Pufferzone am Rande des Gazastreifens und in weiteren Gebieten bleiben, um die Sicherheit der israelischen Grenzorte zu gewährleisten, erklärte der israelische Regierungsvertreter.

Verhandlungen über die zweite Phase sollen am 16. Tag der Umsetzung beginnen. In dieser Phase sollen die restlichen Geiseln freikommen und Israels Truppen abgezogen werden, bevor in der dritten und letzten Phase des Abkommens der Krieg endgültig beendet werden soll. Man werde Gaza nicht verlassen, bis alle Geiseln zu Hause seien, betonte der israelische Regierungsvertreter.

Israel setzt Angriffe auf Gazastreifen fort

Ungeachtet der unter Hochdruck laufenden Gespräche setzte das israelische Militär seine Offensive in dem Palästinenser-Gebiet nach eigenen Angaben fort. In einer gemeinsamen Mitteilung der Armee mit dem israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet hieß es am Mittwoch, in den vergangenen 24 Stunden seien etwa 50 „Terror-Ziele“ im Gazastreifen angegriffen worden.

Die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA berichtete von mindestens 36 Toten und zahlreichen Verletzten bei neuen Angriffen in verschiedenen Teilen des weitgehend zerstörten Küstenstreifens. In der Nacht habe die Luftwaffe ein „Kontroll- und Kommandozentrum“ angegriffen, das sich in einem ehemaligen Schulgebäude in Daraj Tuffah befunden habe. Dort habe sich ein „Terrorist in ranghoher Position“ aufgehalten, hieß es von israelischer Seite.

Ausgelöst worden war der Krieg durch das beispiellose Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 mit mehr als 1.000 Toten. Seither wurden nach palästinensischen Angaben im abgeriegelten Gazastreifen mehr als 46.600 Menschen getötet und mehr als 110.000 verletzt. Die nicht überprüfbaren Zahlen unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern. (APA)