Eine Sperre, die viel Staub aufwirbelt
Rund vier Monate lang ist eine staubige Schotterpiste die einzige Straßenverbindung in die Gemeinde Fendels. Warum Gäste manchmal schwitzen und Pendler lieber mit der Seilbahn in die Arbeit fahren?
Die Sichtweite beträgt wenige Meter, unter den Reifen knirschen Schotter und Sand, während der VW Polo über einige Bodenwellen holpert. Zwei Autos weiter wirbelt ein Lkw ungeheure Staubwolken auf, die die Aussicht verdunkeln und gegen die auch die Scheinwerfer machtlos sind. Was nach der Rallye Paris-Dakar ausschaut, jener Abenteuerfahrt, bei der Rennfahrer jedes Jahr Wüsten und Steppen durchqueren, ist die Straße ins Bergdorf Fendels.
Rallye á la Fendels
Seit 10. Juli ist die kleine Gemeinde, die auf 1350 Metern Seehöheüber dem Oberinntal liegt, mit dem Auto nur mehr über eine abenteuerliche nicht asphaltierte Forststraße erreichbar. Die Fendler Straße ist gesperrt.
Die 4,6 Kilometer lange Schotterpiste führt mehr als 500 Höhenmeter hinauf zum Burgschrofen. Es ist eine schmale und vor allem steile Odyssee für die Autofahrer, die sich trauen. Gegenverkehr dürfte jetzt auf der engen Fahrbahn keiner kommen. Dafür ist kein Platz. Es gilt eine Einbahnregelung.
Zu jeder vollen Stunde öffnet sich ein Zeitfenster von fünf Minuten für Fahrzeuge, die von Fendels Richtung Prutz wollen. Zu jeder halben Stunde darf man wieder auf den Berg. Dann stauen sich oft schon die Autofahrer – und bei manchem auch der Frust.
„Die Bremsen laufen heiß“, stöhnt Hassan, der mit einem Kastenwagen über die unebene Fahrbahn schaukelt. Der Lieferfahrer muss dienstlich fast jeden Tag hinauf. Für ihn ist die Situation sehr schwierig, wie er erklärt. Er muss auch gleich weiter nach Fiss, Serfaus und Nauders.
Andere haben nicht so viel Stress – und trotzdem keine Freude mit dem Umweg. „Einfach schrecklich!“, stöhnt Joachim, der mit seinem Sohn im Auto sitzt. „Die Bremsen stinken“, ärgert er sich über die ungewohnte Fahrt über die Schotterpiste, von der er beim Urlaubsantritt vollkommen überrascht wurde: „Das ist nicht gut fürs Auto.“ Die Anreise hat er vor allem als „staubig und langsam“ in Erinnerung. „Hätten wir das gewusst, wären wir nach Fließ oder Fiss gefahren.“
Dabei hat die Sperre einen ernsten Hintergrund: „Wir machen das nicht aus Jux und Tollerei“, erklärt Robert Zach von der Verkehrsabteilung des Landes. Drei Millionen Euro investiert das Land in die Sanierung der beiden Tunnel auf der Fendler Straße. Eine Sperre der Verbindung war während der Arbeiten unumgänglich. Hätte man den Verkehr einspurig aufrechterhalten, würden die Arbeiten doppelt so lange dauern.
Es seien schon Steinbrocken von der rohen Tunneldecke auf die Fahrzeuge gekracht. Nun werden die Tunnel saniert und ausgebaut. Das sei auch ein Wunsch aus der Gemeinde gewesen.
Aber auch die Notstraße hat man vor Beginn der Arbeiten massiv verbessert. „Wir haben allein 100.000 Euro in neue Leitplanken investiert“, erklärt Zach. So wurden entlang der Straße Gefahrenstellen abgesichert. Auch Felssicherungen wurden vorgenommen. Man wisse, dass es für die Bewohner von Fendels keine einfache Situation sei
Oben in Fendels merkt man nichts von der Straßensperre. Die Staubwolken haben sich längst verzogen. Im Örtchen mit 283 Einwohnern parkt nur da und dort ein besonderes staubiges Auto. Ob man jetzt öfter zum Gartenschlauch greift?
„Wenn du es waschen willst, wasch es. Und sonst wäschst du es halt nicht“, lacht ein Anrainer. Es sei halt einmal so mit der Straßensperre. „Da kann man nichts ändern.“ Großen Ärger habe man deshalb aber nicht. Während viele Fendler sehr entspannt mit der Situation umgehen, trifft das nicht auf alle Urlauber zu.
Nicht ganz so „gechillt“ wirken Anton und Isabell, wenn sie sich an ihre Anreise mit ihrem Campingbus erinnern. Ganz erholt haben sie sich davon noch nicht. Das Urlauberpaar aus Belgien konnte aufgrund fehlender Sprachkenntnisse die großen Infotafeln auf Deutsch nicht lesen. Sie fuhren gegen die Einbahn. „Wir sind hinauf, als jeder heruntergefahren ist. Alle waren so aufgebracht und haben geschrien“, sagt Isabell. Niemand habe ihnen die Regeln erklärt. „Wir sind fast gestorben.“
„Es war wirklich gefährlich“, sagt Anton. „Wir haben vor jeder Kurve gehupt, um auf uns aufmerksam zu machen.“ Vor allem das Anfahren war ein Problem. „Wir hatten wirklich eine harte Zeit.“
Pragmatisch sieht die Situation hingegen Bürgermeister Stefan Köhle. „Schwierig ist es für die Gäste“, räumt er ein. „Die Fendler Einheimischen haben das schon akzeptiert. Der ein oder andere schimpft natürlich.“ Wichtig sei aber, dass die Tunnel saniert und erweitert werden.
„Der Wermutstropfen ist, dass wird die Tunnel vier Monate umfahren müssen.“ Der Bürgermeister hat das Gefühl, dass seine Gemeindebürger ihre Besuche im Tal inzwischen etwas reduzieren. Und viele Fendler helfen sich inzwischen ganz anders.
Wie Eugen Schranz. Er fährt inzwischen mit der Seilbahn zum Arzt. „Mir ist es schade ums Auto. Ich habe zwar kein neues – trotzdem.“ Von Fendels führt eine Umlaufseilbahn in die Talgemeinde Ried. Dort haben viele Fendler inzwischen ihr Auto am Bergbahn-Parkplatz abgestellt. Der Pensionist hat sich für die drei Monate eine Karte gekauft. Auch der Einkauf wird in der Gondel transportiert. Das sei zwar nicht so bequem, aber was will man ändern. Die Sicherheit sei wichtig, versteht er die Notwendigkeit der Straßensperre – und viele Möglichkeiten für eine Umfahrung gebe es nicht.
In südamerikanischen Megacitys haben Seilbahnen längst den Personenverkehr zwischen den Stadtteilen übernommen – ganz ohne Skifahrer und Wanderer. In Fendels zieht man nach.
7 Uhr an der Talstation der Bergbahn Ried-Fendels. Hier fängt der Tag früher an als sonst, während der Sperre haben die Seilbahnen ihren Betrieb von 7 bis 18 Uhr am Abend ausgeweitet – speziell für die Pendler.
Eine seiner „Kundschaften“ an diesem Morgen ist Jennifer, die in Fendels wohnt, aber in Serfaus im Tourismus arbeitet. „Für mich funktioniert die Lösung mit der Seilbahn gut. Mein Wagen hat keinen Allrad, und wenn es regnet, ist die Straße ziemlich rutschig“, erklärt sie, warum sie nicht so gern am Notweg unterwegs ist. „Sonst haben sie ihn gut hergerichtet.“
„Es nehmen wahnsinnig viele Pendler die Bahn in Anspruch “, sagt Christian Strobl, Betriebsleiter der Bergbahnen Fendels. Inzwischen stehen an die 90 Autos am Parkplatz in Ried – da seien aber auch Gäste dabei, die ihr Auto lieber im Tal stehen lassen, bevor sie den beschwerlichen Weg über die Straße auf sich nehmen. Für die, die auspendeln, ist das Benutzen der Seilbahn an Werktagen zwischen 7 und 9 Uhr sowie zwischen 17 und 18 Uhr gratis. Dafür bekomme das Unternehmen einen finanziellen Ausgleich von der Gemeinde und vom Land. Zudem bietet man eine günstige Karte an, mit der die Fendler für drei Monate um 69 Euro Bahn fahren können.
Für Strobl ist das ein Konzept, das durchaus Zukunft hat. Bislang gibt es überhaupt keine Busverbindung ins Bergdorf. Er kann sich vorstellen, dass die Seilbahn diese Rolle in Zukunft übernimmt – auch nach der Straßensperre, wenn der staubige Notweg längst Geschichte ist.
Inzwichen fängt es zu regnen an - damit sind die Fendler zumindest eine Sorge los. Es staubt nicht mehr - und einige Pkw bekommen eine Gratis-Wäsche.
Von Matthias Reichle