„Alles Gute kommt von oben“

Der Herrgott gibt‘s, sein Diener nimmt’s

Alles Gute kommt von oben. Das weiß Otto Walch schon lange. Vor mehr als 15 Jahren hat der Pfarrer eine Solaranlage neben dem Widum in Elbigenalp gebaut. Jetzt tüftelt er an Turbinen, die im Kirchturm Windenergie erzeugen sollen. Über eine Idee, die nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Und einen technikaffinen Seelsorger mit höheren Zielen.

Fortschritt fällt nicht einfach so vom Himmel. Bis aus dem ersten, manchmal vielleicht eigenartig erscheinenden Einfall etwas Greifbares wird, braucht es oft Jahre. Und Geduld. Rückschlage sind vorprogrammiert.

Otto Walch kann ein Lied davon singen. Er sitzt an diesem kalten Wintermorgen auf der Eckbank in der Stube des Widums von Elbigen­alp und blättert in seinem Notizbuch. Der Oberlechtaler Pfarrer – graues Haar, grauer Rauschebart, über dem karierten Hemd eine sportliche Fleecejacke – hat mit den Skizzen und Berechnungen, die in diesem kleinen Heft geschrieben stehen, Großes vor.

„Alles Gute kommt von oben“, sagt Walch und zeigt am Holzkruzifix vorbei zum Fenster raus. „Der Herrgott gibt uns die Sonne, die dann Böen entstehen und Regen fallen lässt, der Flüsse und Seen füllt.“ Die Menschheit müssten dieses Geschenk nur besser nutzen.

Eines der gravierendsten Probleme der modernen Gesellschaft ließe sich so lösen, der Energiehunger stillen – und zugleich die Schöpfung schützen. Der 65-Jährige glaubt fest daran, weist immer wieder darauf hin.

Weil ihm nur Reden nicht liegt, hat er im Feld neben seinem Zuhause bereits vor mehr als 15 Jahren eine Solaranlage gebaut. „Als stille Predigt und um den Menschen zu zeigen: Auch in Tirol kann Sonnenstrom gewonnen werden.“

Frischer Wind

Sein Plan ging auf. Irgendwann musste der nächste her. Seit einigen Monaten tüftelt Walch nun schon an kleinen Turbinen, die im Glockenstuhl eines Kirchturms Windenergie erzeugen sollen.

„Als Landeshauptmann Anton Mattle zum ersten Mal erklärte, dass große Windkraftwerke bei uns denkbar sind, hat es bei mir angefangen zu rattern", sagt Walch. "Über YouTube und mit Büchern habe ich mich an das Thema herangeführt, viel gelernt. Fachmann bin ich allerdings keiner, sondern ein klassischer Autodidakt.“

Völlig aus der Luft gegriffen ist Walchs Idee aber dennoch nicht. Einen Prototypen, den er mit Hilfe seiner Aufzeichnungen aus Pappe gebastelt hat, kann der Pfarrer schon vorzeigen. „Wenn das funktioniert, können wir irgendwann zumindest die Elektrizität produzieren, die wir für die Beleuchtung des Gotteshauses brauchen.“

Ein kleiner Beitrag. Immerhin.

Flaute in Tirol

1426 große Windkraftwerke gab es Ende des Jahres 2023 in Österreich, die rund 3885 Megawatt erzeugen und somit rein theoretisch 2,55 Millionen Haushalte versorgen könnten.

Der Hauptteil dieser Anlagen befindet sich im Osten des Landes – in Niederösterreich (797), dem Burgenland (461) und der Steiermark (118). Im Westen steht gar keine. Auch nicht in Tirol.

Das soll sich bald ändern, zumindest wollen das die politischen Verantwortungsträger so. Vor zirka einem halben Jahr wurde von der Regierung eine Potenzialstudie präsentiert, laut der zwischen Kufstein, dem Arlberg und Brenner bis zu 160 Windkraftanlagen verwirklicht werden könnten.

Mit diesen wäre es möglich, bis zu 1200 Gigawattstunden zu erzeugen und damit bis zu 4,9 Prozent des jährlichen Energiebedarfs des Landes. Für das erste Großwindrad wurde eine Prämie von 100.000 Euro ausgelobt.

Neun Masten

Irgendwelche Boni interessieren Pfarrer Otto Walch nicht. Er investiert sein Geld mit Spaß an der Freude. Mehrere tausend Euro, seine Ersparnisse, hat der technikaffine Seelsorger im vergangenen Jahr allein für Windmessungen ausgegeben. „Damit ich schauen kann, wie die Strömung am Kirchturm ist und wie viel Energie sich da erzeugen lässt.“

In Elbigenalp und zwei anderen Pfarren hat er Geräte – ein kleines Rad und ein Sensor – an drei Meter langen Stangen befestigt, die jetzt aus den Fenstern der Glockenstühle ragen.

Alle vier Wochen vermerkt er die Werte in seinem Notizbuch. „Inzwischen bin ich um viele Erfahrungen reicher.“ Wie aber kommt jemand auf so eine Idee? „Um mit Wind gut Strom zu produzieren, braucht es Höhe. Einen Masten. Und ich habe in meinem Zuständigkeitsbereich neun davon stehen.“

Wenn du ständig den Rindviechern nachspringst, hast du jede Menge Zeit zum Grübeln
Otto Walch, Pfarrer

Die „Lust am Macheln“, wie Walch es nennt, treibt ihn schon von Kindesbeinen um. Geboren wurde er in Steeg, im obersten Lechtal, unweit seiner derzeitigen Wirkungsstätte, als eines von neun Kindern auf einem kleinen Hof.

Schon im Alter von drei Jahren musste der Bauernsohn im Sommer die Tiere auf der Hochalm hüten. „Wenn du 150 Stück zu betreuen hast, ständig den Rindviechern nachspringst, dann legst du einige Kilometer zurück“, erzählt der Pfarrer. „Und du hast natürlich auch jede Menge Zeit zum Grübeln. Als Bub habe ich an einem kleinen Bächlein improvisierte Wassermühlen gebaut. Seitdem bin ich technikbegeistert und liebe das, an solchen Sachen zu arbeiten.“

Nach Abschluss der Volksschule in seinem Heimatort besuchte Walch das Paulinum in Schwaz, schloss später ein Studium der Theologie und Philosophie ab. Zum Priester geweiht wurde er im Jahr 1979, übernahm anfangs die Pfarren Pill und Pillberg, dann jene in Tux, Finkenberg und Ginzling. Vor mittlerweile fast 20 Jahren kehrte der Geistliche in das Lechtal zurück.

Dort steht Walch jetzt, im Schatten des Elbigenalper Kirchturms, zupft die Ärmel der Jacke zurecht und schubst die Blätter des kleinen Windrads in seiner Hand an, damit es sich dreht.

Seine Augen leuchten, wie die eines Buben, dessen improvisiertes Wasserrad sich in der Strömung des Bergbachs dreht. Und aus dem Pfarrer wird der leidenschaftliche Hobby-Ingenieur. Er spricht nicht vom Kreuz, sondern von Kilowattstunden, nicht über die Vergebung der Sünden, sondern die Volt einer Batterie, nicht über das Presbyterium, sondern das Potenzial seiner Idee.

„Wir müssen den Mut haben, der Wissenschaft eine Chance zu geben. Die grundlegenden Erkenntnisse haben wir ja schon gemacht“, sagt Walch. „Bei der Windkraft ist das eigentlich ganz einfach. In Tirol werden nie Hunderte riesige Räder stehen, davon bin auch ich überzeugt. Aber warum nicht eine Reihe von mittleren aufstellen? Das würde die Landschaft weniger beeinträchtigen und trotzdem einiges liefern. Wieso passiert das nicht?“

Solche Fragen stellt sich Walch durchgehend, grübelt unzählige Stunden darüber. Seine Erfindung kann ein Teil der Antwort werden.

"Die Initiative finde ich geradezu super"

Wenn auch nur ein sehr, sehr kleiner, sagt Martin Jaksch-Fliegenschnee. Er ist Sprecher der IG Windkraft, ein österreichischer Verein, der sich als Interessenvertretung für Windenergiebetreiber, -hersteller und -förderer versteht.

„Die Initiative des Pfarrers finde ich gut, geradezu super, weil sie für ein wichtiges Thema sensibilisiert“, meint Jacksch-Fliegenschnee. „Und es kann nur von Vorteil sein, wenn sich auch die Kirche verstärkt damit beschäftigt.“ 340 Terawattstunden Energie werden bundesweit jedes Jahr verbraucht, davon entfallen auf den reinen Strom derzeit nur rund 70 Terawattstunden.

„Um die Energiewende zu schaffen“, gibt der IG-Windkraft-Sprecher zu bedenken, „braucht es neben dem Einsatz aller verfügbarer Techniken eben die großen Windräder. Auch in Tirol. Schon rein rechnerisch. Eine dieser Anlagen kann in etwa 5000 Haushalte mit Strom versorgen."

Um dieselbe Menge an Elektrizität zu produzieren, seien rund 1800 bis 2000 kleinere Windräder notwendig. „Trotzdem ist es gut, wenn wir das Potenzial dort nutzen, wo es vorhanden ist.“

Ein Kampf gegen Windmühlen?

Ob das auch für die Kirchtürme im Oberlechtal gilt, muss sich zeigen. Pfarrer Walchs Messungen werden noch einige Zeit dauern. „Ich will da ganz sichergehen und fundierte Zahlen haben, damit die Argumente für den Plan auch auf guten Beinen stehen.“

Partner für die Umsetzung der eigentlichen Turbine sucht er noch. „Wenn eine Forscherin oder ein Forscher, möglicherweise Schulklassen einer Höheren Technischen Lehranstalt Interesse haben, da eine Kooperation zu starten, sollen sie sich gerne bei mir melden. Ich hoffe, dass in zwei Jahren so ein Ding gebaut werden kann. Vielleicht.“

Ein Kampf gegen Windmühlen? Nein, meint der 65-Jährige. „Auch wenn ich oft schräge Blicke kassiert habe und die Dorfbewohner sich eventuell manchmal fragten, ob ich ganz sauber bin.“

Mittlerweile habe sich der Wind allerdings gedreht. „Alle erneuerbaren Energien sind ein Geschenk vom Herrgott“, sagt Walch. „Und eine immer größer werdende Menge an Menschen versteht das. Sogar hier in Tirol.“

Vor einiger Zeit habe er von einer Anhöhe bei Steeg über die Grenze in Richtung Deutschland geschaut. „Dort hatten sie überall Photovoltaikanlagen – auf den Dächern und Ställen. Bei uns war das damals kein Thema. Inzwischen aber tut sich was. Wer sich mit derlei Dingen beschäftigt, sie anspricht, rennt offene Türen ein. Nicht nur in der Politik, auch bei den Leuten.“

Fortschritt fällt eben nicht vom Himmel. Es braucht Zeit. Und Menschen wie Otto Walch, die alles daransetzen, dass aus einem vielleicht eigenartig erscheinenden Einfall irgendwann dann etwas Greifbares wird.

Von Benedikt Mair (Text) und Thomas Böhm (Bilder)

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