Warm anziehen auf Bayerisch
Der Ton im bayerischen Landtagswahlkampf ist rau, sehr viel rauer als noch vor fünf Jahren. Dabei ist die Fortsetzung der Regierungskoalition von CSU und Freien Wählern ohnehin ausgemachte Sache. Ein Lokalaugenschein bei drei Landtagskandidatinnen in Oberbayern.
Schleichend hat die Kälte den Körper in Beschlag genommen, bis es zu spät ist und auch das Licht des anbrechenden Tags nichts mehr gegen das Frösteln ausrichten kann. „Warm anziehn magst di scho, wennd um die Zeit wahlkämpfst“, merkt Ilse Aigner in ihrem dicken Mantel trocken an. Seit 6 Uhr morgens steht die Landtagspräsidentin mit WahlhelferInnen und Personenschützern am Bahnhof von Miesbach, einem 12.500-Einwohner-Städtchen.
Die kleinen Laugen-Kreuze, die Aigner als oberbayerische CSU-Spitzenkandidatin hier verteilt, sollen die zur Regionalbahn eilenden Pendlerinnen und Pendler davon überzeugen, bei der Landtagswahl am 8. Oktober die CSU anzukreuzen. „Wir haben nichts zu verschenken, keine Erst- und keine Zweitstimme. Wir brauchen’s und wir haben es verdient“, sagt sie.
Doch um diese Zeit bringen die MiesbacherInnen nicht einmal der ranghöchsten Politikerin des Freistaats Interesse, Redseligkeit oder gar Bewunderung entgegen. Die Köpfe zwischen die Schultern gezogen, müde und alles andere als gut gelaunt greifen sie nach dem Sackerl und eilen weiter. Ob sie das CSU-Infomaterial während der Zugfahrt überhaupt beachten werden? „Ich schon, das gehört zur politischen Bildung“, meint ein junger Mann, der zuvor kein Hehl daraus gemacht hat, keinesfalls die CSU wählen zu wollen.
Das wird an der Dominanz der seit 1957 durchgehend regierenden Partei nichts ändern. Geht es nach den Umfragen, werden die Zweitplatzierten – die Freien Wähler, die Grünen oder gar die rechtsnationalistische AFD – nicht einmal auf die Hälfte des CSU-Stimmenanteils kommen.
Und doch wird sich auch Ministerpräsident Markus Söder warm anziehen müssen, sollte seine Partei das historisch schlechte Ergebnis von 2018 mit 37,2 Prozent noch einmal unterbieten. Und danach schaut es wenige Tage vor der Wahl aus.
Das mag man gar nicht glauben, als abends zuvor die lange Schlange vor dem Alten Speicher in Ebersberg für den Einlass zum CSU-Bezirksempfang ansteht. Drinnen ist nur wenig Alltags- bzw. Abendkleidung zwischen all den Dirndln, Trachtenjankern und Lederhosen zu sehen.
Zwischen Mondmissionen und politischen Turbulenzen
Markus Söder lässt sich den Druck nicht anmerken, er arbeitet sich wie gewohnt an der Ampelkoalition in Berlin ab. Er zieht mit markigen Sprüchen über die Grünen als Bevormunder-Partei her, die er am liebsten auf den Mond schicken würde – „vom Mondmissions-Kontrollzentrum aus, das in Bayern errichtet“ werden soll. Aber auch sein Koalitionspartner Hubert Aiwanger kommt nicht ungeschoren davon. Immerhin dürfte der Chef der Freien Wähler dank eines menschenverachtenden Pamphlets aus seiner Schulzeit die Christlich-Sozialen einige Prozentpunkte kosten. Ein „Kurt-Waldheim-Effekt“ macht sich bemerkbar. Der ehemalige österreichische Bundespräsident konnte sich im Wahlkampf 1986 nicht mehr an seine Mitgliedschaft in einer SA-Reiterstandarte erinnern. Trotzdem errang er das höchste Staatsamt. Auch damals wirkte die Erzählung von einer „Schmutzkampagne und vergangenen Jugendsünden“.
Aiwanger wird es zwar nicht ins höchste bayerische Amt schaffen, doch mit einem satten Plus am Sonntag wird aus dem kleinen Regierungspartner ein wohl viel stärkerer und lauterer. Das kann Söder nicht gefallen. „Auch wenn der Koalitionspartner gerade zehn Zentimeter über dem Boden schwebt: Ich glaube, er wird noch landen“, ruft Söder.
Der Franke in Oberbayern
„Er ist so authentisch. Man glaubt ihm, was er sagt“, schwärmt eine Dame vom CSU-Chef. Doch nicht alle sehen das so: Hie und da dringen bei Söders 65-minütiger Rede spitze Bemerkungen der Nebenstehenden wie „Des glaubt er doch selber net“ ans Ohr. „Die CSU ist viel zu weit nach links gerückt“, schimpft eine Verwaltungsbedienstete in grauem Walkjanker. Ihren Namen will sie nicht nennen. Der konservativen Basis, also der „arbeitenden Bevölkerung“, wie die resolute Dame meint, sollten wieder mehr Geschenke gemacht werden.
Söder weiß, dass er es als Franke in Oberbayern schwer hat. Er streut der Region an der Grenze zu Tirol dementsprechend Rosen. „Oberbayern inklusive München erarbeitet über 60 Prozent des bayerischen Steueraufkommens, deshalb muss es liebens- und lebenswert bleiben. Und erfolgreich.“ Er lobt die Teamarbeit von sich und der Lokalmatadorin Ilse Aigner, obwohl es kein Geheimnis ist, dass sich die beiden alles andere als grün sind. Applaus, doch klar ist auch: Der „nächste Ministerpräsident“ muss wieder ein Oberbayer sein, sagen viele Besucher der TT. Da ist man sich im Saal einig. An eine Oberbayerin dachten von diesen allerdings niemand.
Zurück in Miesbach
Zurück in Miesbach, das den Anspruch erhebt, die Wiege des Trachtenwesens zu sein. Die 150 Laugen-Kreuze sind verteilt. Dank zahlreicher Schüler, die kurz vor 7.30 einem Zug entstiegen sind, ging es am Ende schnell. Aigner steigt in ihre Dienstlimousine und wird zum nächsten Termin chauffiert.
Im Café nebenan ist inzwischen die Diskutierlaune erwacht und die Stamm-Frühstücker hier lassen ihrem Unmut freien Lauf. „Die Grünen gehören weg“, zürnt eine Frau. Das Flugblatt sei doch nur aufgetaucht, weil man die Grünen in die Koalition hieven wollte, meint sie. Sie und die beiden Männer am Tisch sind CSU-Anhänger – bzw. waren es. „Ich habe diesmal die Freien Wähler angekreuzt“, sagt die Mittdreißigerin, die wie die Kollegen am Tisch und laut Schätzungen bis zu 40 Prozent der Bayern ihre Stimme bereits per Briefwahl abgegeben hat. Wegen der Flugblatt-Affäre müsse man Hubert Aiwanger unterstützen, poltert die Frau weiter:
„Was willst denn, Dirndl?“
So emotional sieht das Gisela Hölscher von den Freien Wählern nicht. Sie steht – trotz des aktuellen FW-Höhenflugs – auf einem aussichtslosen Listenplatz und versucht die Welt dennoch mit ehrenamtlichem Engagement ein wenig freundlicher zu machen. Dass sie bei den Freien Wähler gelandet ist, hat mit der CSU zu tun. Vor Jahren wollte sie dort mitarbeiten. „Was willst denn, Dirndl?“ war die Antwort der Herren, als sie anklopfte. Eine straffe Organisation wie bei der CSU gebe es bei den Freien Wählern nicht, erzählt sie auf einer Bank am Ufer des Tegernsees. Die Sonne wärmt inzwischen von außen, der von Hölscher in einer Thermoskanne mitgebrachte Kaffee von innen – österreichischer Kaffee, wie die ¼-Wienerin betont. „Wir agieren nicht von oben herab wie die CSU, sondern sind tief verwurzelt in unseren Gemeinden und agieren von dort aus.“
Als sie vom Aiwanger-Flugblatt hörte, sei sie zunächst sehr erschrocken. Doch schnell drängten sich ihr auch Fragen auf. Allen voran, warum die Existenz des Flugblatts ausgerechnet zum Start der Briefwahl öffentlich gemacht wurde. Den Umgang Aiwangers mit der Affäre nennt sie aber schon einen großen Fehler. „Er hätte sofort die allerbesten Berater einschalten müssen“, betont Hölscher. Es sei eh ein Wahnsinn, dass Aiwanger das ausgehalten habe. Der Hass der Menschen sei grauenhaft, der Ton im Wahlkampf entsetzlich. Hölschers Mitgefühl gilt keineswegs nur ihrem Parteichef, sondern auch den Grünen, die fürchterlichen Drohungen und Angriffen ausgesetzt seien.
Die Menschen seien zornig, weil „die heile Welt kaputtgeht“, sagt sie, die für ihr soziales Engagement vom Freistaat Bayern just an diesem Tag noch geehrt werden wird. Das Wohnen nennt sie als eine maßgebliche Ursache für die Wut. Die Freigrenze für die Erbschaftssteuer sei mit 400.000 Euro viel zu niedrig für Oberbayern, wo das kleinste Häuschen wegen der horrenden Grundpreise im Wert schon darüberliege, erklärt sie. Auch Mietshäuser müssten deshalb verkauft werden, was wiederum die Mieter in Bedrängnis bringe.
FDP und SPD bekommen den Zorn auf die Ampelparteien nur indirekt zu spüren, indem sie schlichtweg ignoriert werden.
Die Liberalen schafften es in keiner der großen Umfragen über die Fünf-Prozent-Hürde und drohen am Sonntag aus einem weiteren Landtag zu fliegen. Die Kanzlerpartei wiederum verharrt seit Monaten bei kläglichen 9 Prozent. „Die SPD spielt keine Rolle“, räumt Thomas Frank, 15. auf der Oberbayern-Liste, ein. Er erklärt sich eine „gewisse Verdrossenheit“ mit explodierenden Wohnungspreisen, der Flüchtlingsproblematik, den Nachwirkungen von Corona. Aber er ortet auch die Unzufriedenheit mit der Ampel. „Für alles, was die Grünen in Berlin machen, muss ich mich hier rechtfertigen“, schiebt er die Verantwortung auf die Öko-Partei.
Die allerdings lässt mit 15 Prozent in den Umfragen die SPD meilenweit hinter sich, auch wenn sie jetzt von den Freien Wählern um den zweiten Platz gebracht werden könnte.
Die AfD (14 Prozent in Umfragen) spielt sich erneut als Opfer undemokratischer Kräfte auf, die ihr keine Chance auf eine Regierungsbeteiligung gäben und die ihre Auftritte regelmäßig stören. Die Grünen hingegen versuchen, den Hass, der ihnen entgegenschlägt, so gut wie möglich beiseitezuschieben.
Menschliche Wärme wollen sie bei ihren Wahlkampfauftritten vermitteln – so auch am Ludwigsplatz in Rosenheim. Ein kleiner Pingpong-Tisch und Straßenkreiden für die Kinder, eine riesiger Kaffeevollautomat unter einem Sonnenschirm für die Großen. Hier soll man sich wohlfühlen. Heimelig ist den meisten Grünen in Bayern allerdings nicht mehr zumute. Zu den abartigen Drohungen gegen Spitzenkandidatin Katharina Schulze haben sich inzwischen auch Taten gesellt. In Hart-Chieming am Chiemsee war vor einer Wahlkampfveranstaltung ein Stand aufgebaut, an dem Tomaten sowie kleine und große Steine zum Werfen angeboten wurden. Der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sei vom BKA aus Sicherheitsgründen zunächst gar nicht ins Zelt gelassen worden, erzählt Schulze. Und in Neu-Ulm flog am 17. September dann tatsächlich ein Stein in ihre Richtung und die ihres Co-Spitzenkandidaten Ludwig Hartmann.
„Freches Saudirndl“
Allen Bedrohungen zum Trotz: „Ich werde nicht aufhören, ich werde nicht leise sein“, betont die 38-Jährige, die im 2018er-Wahlkampf von vielen CSUlern noch als „freches Saudirndl“ belächelt worden war.
Die Zeit sei nicht einfach, aber Gewalt kein Mittel. „Ich bin für einen Wettstreit der Ideen und biete den Dialog an.“ Bedenklich findet sie allerdings, dass demokratische Mitbewerber zündeln und damit den Hass befeuern. „Wer das Lied der Rechtspopulisten singt, macht deren Chor lauter und größer.“
Am Sonntag ist der Wahlkampf vorbei, und damit dürften die Töne wieder etwas sanfter werden in Bayern. Was folgen wird, steht ohnehin seit Monaten fest: Die Fortsetzung der Regierung aus CSU und Freien Wählern. Das Schicksal der beiden Parteichefs Söder und Aiwanger allerdings, das ist noch nicht 100-prozentig vorhersagbar.
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