Bilanz nach fünf Jahren

„Bregret“ statt Brexit: Warum immer mehr Briten den EU-Austritt bedauern

In der Nähe des britischen Parlaments werben regelmäßig ein paar Unermüdliche für den schnellen Wiedereintritt in die Europäische Union.
© IMAGO/WIktor Szymanowicz

Die Wortschöpfung „Bregret“ aus Brexit und „regret“ (bedauern, bereuen), erfreut sich in Großbritannien großer Beliebtheit. Fünf Jahre nach dem EU-Austritt des Landes gibt es kaum jemanden, der ein positives Fazit zieht.

Nur ein paar Meter vom britischen Parlament entfernt demonstrieren regelmäßig ein paar Unermüdliche. Mit großen EU-Fahnen und Bannern werben sie für den schnellen Wiedereintritt in die Europäische Union. Manchmal wird dazu gesungen, zu lesen ist: „Wir sind immer noch hier, weil der Brexit immer noch Mist ist.“

Das mag wie ein kleiner, trauriger Protest vor den Tausenden Touristen auch aus Deutschland wirken, die jeden Tag nach Westminster pilgern. Es ist fünf Jahre nach der historischen Abspaltung, aber längst die Mehrheitsmeinung.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gaben im Januar 55 Prozent der befragten Erwachsenen an, es sei falsch gewesen, für den EU-Austritt zu stimmen, nur 30 Prozent halten den Schritt immer noch für eine gute Idee. Die Wortschöpfung „Bregret“ aus Brexit und „regret“ (bedauern, bereuen), erfreut sich großer Beliebtheit.

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An diesem Freitag jährt sich der schicksalhafte Schritt der britischen Regierung, der jahrelange Verhandlungen und Proteste vorausgingen, zum fünften Mal. Kaum jemand zieht ein positives Fazit. „Die Brexit-Befürworter versprachen ein neues Zeitalter“, schreibt die Zeitung Independent. Ein halbes Jahrzehnt später sei das Ziel in vielen Bereichen aber verfehlt.

Britische Wirtschaft fährt mit „plattem Reifen“

Der Auswertung „The Brexit Files: from referendum to reset“ zufolge hat sich die Einschätzung bestätigt, dass der Brexit wirtschaftlich eine Art „platten Reifen“ für Großbritannien bedeuten würde, wenn auch keinen Autounfall. Einer anderen Studie aus dem vergangenen September zufolge leidet insbesondere der Außenhandel mit der EU immer stärker. Im- und Exporte seien stark eingebrochen, heißt es in dem Bericht der Aston University in Birmingham.

Zwischen 2021 und 2023 – den Jahren unmittelbar nach dem britischen Austritt aus der EU-Zollunion und dem Binnenmarkt – sank der Wert der britischen Warenexporte in die EU demnach um 27 Prozent, der Wert der Importe um 32 Prozent. In jedes EU-Land wurden 1645 Arten britischer Produkte weniger exportiert. Dies traf kleinere EU-Volkswirtschaften stärker als größere wie Deutschland.

Der lahmende Handel hat für die Briten Folgen im Alltag – Vieles ist schlicht teurer. Ein Beispiel: Vor Weihnachten berichtete der Guardian von inzwischen nötigen zusätzlichen Bescheinigungen für die Einfuhr von Weihnachtsbäumen. Ein niederländischer Händler berichtete vom Rechnungsposten „Brexit-Kosten“. Diese spürt am Ende auch der Kunde.

Migrationsdebatte hält bis heute an

Ein, wenn nicht der, zentrale Faktor in der jahrelangen Brexit-Debatte war die Zuwanderung nach Großbritannien. Zum einen wegen der Sorgen vor einem Arbeitskräftemangel, zum anderen wegen der Stimmungsmache von Rechtspopulisten gegen Einwanderer. Die Konservativen versprachen, durch den EU-Austritt würden die Grenzen dicht sein, die Migrationszahlen sinken. Eingetroffen ist das Gegenteil.

Zwar sank die Migration aus der EU nach Großbritannien, die Nettozuwanderung (Einwanderung minus Auswanderung) aus Nicht-EU-Ländern erreichte aber Rekordhöhen. „In der Praxis bedeutete dies, dass viele der arbeitsintensiven Niedriglohnbranchen, die mit einem Rückgang des Migrantenanteils gerechnet hatten, stattdessen Zuwächse verzeichneten“, steht in „The Brexit Files“.

Ende 2023 erließ die damalige konservative Regierung erneut neue Regeln und Beschränkungen, um die Migration zu reduzieren. Pflegekräfte und Menschen, die zum Studieren kommen, können beispielsweise ihre Partner oder Kinder nicht mehr ohne Weiteres mit nach Großbritannien bringen. Die seit Sommer regierende Labour-Partei von Premierminister Keir Starmer hat einen „umfassenden Plan“ zum Umgang mit der Migration angekündigt.

Einfluss auf europäischer Bühne

Starmer war zuletzt mehrere Schritte auf die EU zugegangen, von einem Neuanfang in den Beziehungen ist die Rede. Die Verbindungen zu den „europäischen Freunden“ müssten vertieft werden, steht im Parteiprogramm. „Mit Labour wird Großbritannien außerhalb der EU bleiben. Aber um die Chancen, die vor uns liegen, zu nutzen, müssen wir den Brexit zum Erfolg führen.“

Keir Starmer kommt am Montag als erster britischer Premier seit dem Abschied aus der Gemeinschaft im Zuge eines informellen Treffens zum Thema Verteidigung in Brüssel mit seinen EU-Amtskollegen zusammen. Eine erste konkrete Übereinkunft zwischen den beiden Seiten könnte laut Experten noch heuer erzielt werden.

„Ich denke, es wird in der ersten Hälfte dieses Jahres eine Art Neustart in den Sicherheitsbeziehungen geben – im Frühjahr wird hoffentlich ein Partnerschaftsabkommen erzielt, das dann auf längere Sicht wahrscheinlich zu einem Vertrag wird“, sagte der Direktor des Centre for European Reform, Charles Grant, jüngst voraus. Jannike Wachowiak vom Thinktank „UK in a Changing Europe“ erwartet Ähnliches: „Das erste, was wir wahrscheinlich sehen werden, ist eine Art gemeinsame, nicht bindende Erklärung zu Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung.“ Auch sie sieht gute Chancen dafür bereits in der ersten Jahreshälfte.

Kritikern geht die Wiederannäherung jedoch viel zu zaghaft voran, zumal Starmer über eine erhebliche Mehrheit im Parlament verfügt. Das renommierte Magazin Economist forderte den Premier in seiner jüngsten Ausgabe auf, über eine Rückkehr in Binnenmarkt und Zollunion oder zumindest über eine Angleichung bei Produktstandards nachzudenken. (dpa, TT.com)

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