Verhandlungen laufen wieder

Stocker und Kickl geben sich versöhnlich, Mahrer hält FPÖ für „nicht regierungsfit“

ÖVP-Chef Christian Stocker (Mitte) gab sich nach Kritik aus seiner Partei an Kickl am Dienstag versöhnlich.
© ROLAND SCHLAGER

Am Dienstag wollen ÖVP und FPÖ weiter verhandeln. Dazu überlieferte die ÖVP der FPÖ Papiere mit „Grundlinien“. Indes warf Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer den Freiheitlichen vor, „möglicherweise nicht regierungsfit“ zu sein.

Wien – Die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP sind am Dienstag im Parlament fortgesetzt worden. Die Chefverhandler gaben sich vor dem Treffen eher versöhnlich. Die Verhandlungen gingen selbstverständlich weiter, so ÖVP-Chef Christian Stocker. FP-Chef Herbert Kickl sprach von „fünf guten Jahren“, die man bescheren wolle. Das Innenministerium sei am besten bei der FPÖ aufgehoben. Scharfe Töne kamen von WKÖ-Präsident Harald Mahrer und ÖVP-EU-Mandatar Reinhold Lopatka.

Weder Kickl noch Stocker ließen sich vor Beginn der Verhandlungen in die Karten schauen. Das Innenministerium sei „ein wichtiges Ressort“ und eine freiheitliche Kernkompetenz, „mit dieser Einstellung gehen wir in die Verhandlungen“, sagte Kickl auf die Frage, ob seine Partei auf dem von beiden Seiten beanspruchten Ministerium beharren werde. Es gehe um die inhaltliche Basis, daraus würden sich auch die Ressortverantwortlichkeiten ableiten, meinte Stocker.

Wer nicht konsensbereit ist, und sich nur im Machtrausch befindet, der ist möglicherweise nicht regierungsfit.
Harald Mahrer, WKÖ-Präsident

Scharfe FPÖ-Kritik aus ÖVP-Reihen

Indes mehrten sich kritische Stimmen aus den Reihen der ÖVP. Wirtschaftskammer-Chef Mahrer, einer der maßgeblichen ÖVP-Verhandler, hatte der FPÖ noch vor Gesprächsbeginn die Rute ins Fenster gestellt: „Wer nicht konsensbereit ist, und sich nur im Machtrausch befindet, der ist möglicherweise nicht regierungsfit“, wurde er in der Krone zitiert. In der FPÖ wollte man das auf APA-Anfrage nicht kommentieren.

Kritik kam auch vom Obmann der Wiener Volkspartei, Karl Mahrer. „Meine kritische Haltung zu Herbert Kickl hat sich zuletzt erneut bestätigt“, sagt er zum Standard. „Kickl will offenbar keine stabile und handlungsfähige Regierung – er setzt auf totale Kontrolle und Macht. Wir setzen auf Verantwortung. Herbert Kickl muss sich endlich klar werden, was er möchte – sonst scheitert er.“ ÖVP-EU-Delegationsleiter Lopatka hält eine Einigung auf eine Koalition mittlerweile für „sehr, sehr unwahrscheinlich“, sagte er gegenüber der Kleinen Zeitung. Er sieht seitens der FPÖ keine Bereitschaft für einen pro-europäischen Richtungswechsel: „Da hat es wenig Sinn, noch weiter zu tun.“

Mikl-Leitner fordert von Kickl Kompromissfähigkeit, Absage an SPÖ- und NEOS-Avancen

Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wandte sich am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz in St. Pölten an Kickl. „Wenn ich Bundeskanzler dieser Republik werden will, dann ist das auch eine ganz große Verantwortung. Mit dieser Verantwortung verbunden ist natürlich auch die Kompromissfähigkeit und vor allem auch die Fähigkeit, Brücken zu bauen, um Kompromisse und gemeinsame Zugänge zu schaffen.“ Die SPÖ wiederum habe „retrosozialistische Forderungen“ erhoben und ÖVP und NEOS bei den Dreierkoalitions-Gesprächen „vom Verhandlungstisch gedrängt“. Dass man nun vorgebe, die Hand sei ausgestreckt, „das scheint mir unglaubwürdig zu sein“, befand Mikl-Leitner. Eine von den NEOS aufs Tapet gebrachte Option einer Minderheitsregierung stelle sich aktuell aufgrund der laufenden Regierungsverhandlungen nicht.

Der Kärntner ÖVP-Landesparteiobmann Martin Gruber betonte gegenüber dem ORF, dass niemand vom Verhandlungstisch aufgestanden sei: „Es gibt ganz klare rote Linien vonseiten der ÖVP – wenn es Bewegung gibt von der FPÖ, dann ist eine Zusammenarbeit möglich.“

ÖVP übermittelte Papier mit „Grundlinien“

Am Vorabend hatten sich die Chefverhandler nach tagelangen Querelen erstmals wieder zusammengesetzt. Die ÖVP übergab dabei der FPÖ ein zweiseitiges Papier mit „Grundlinien“, die außer Streit gestellt werden sollten, etwa eine klare europäische Positionierung. Ob der Termin Fortschritte bei den strittigen Fragen - allen voran die Besetzung des Innenministeriums - gebracht hat, blieb offen.

Nach dem rund 90 Minuten langen Treffen am Montagabend hatten die Chefverhandler den Besprechungsraum im Parlament ohne Kommentar für die wartenden Journalisten durch den Hinterausgang verlassen. Dem Vernehmen nach soll die Stimmung bei der kurzen Sitzung besser gewesen sein als zuletzt, auch wenn von einem Durchbruch zumindest noch keine Rede war. Die ÖVP war dem Vernehmen nach zuletzt vor allem wegen inhaltlicher Differenzen äußerst skeptisch.

ÖVP übermittelte Papier mit „Grundlinien“

In dem von der ÖVP an den Verhandlungspartner übermittelten Papier mit dem Titel „Gemeinsame Grundlinien außer Streit stellen“, das auch der APA vorliegt, werden für die ÖVP zentrale Punkte erörtert. Diese Themenbereiche und Positionen seien für „jede österreichische Bundesregierung – unabhängig von Partei und Ideologie – wesentlich“, heißt es darin.

Eine „klare proeuropäische Positionierung und internationale Zusammenarbeit“ wird darin als „Grundlage der Bundesregierung“ genannt. Um mit „einer Stimme in Europa“ zu sprechen, müssen die Positionen Österreichs innerhalb der Bundesregierung „gemeinsam koordiniert“ und dann entsprechend in den EU-Gremien umgesetzt werden, heißt es darin.

Russischer Angriffskrieg müsse verurteilt werden

Als weitere „Grundlinie“ wird unter anderem eine Verurteilung des russischen Angriffskriegs genannt. Die Bundesregierung „sieht Russland als Bedrohung, besonders für Europa“. Auch müsse die Regierung auf internationale Kooperationsmöglichkeiten setzen sowie auf eine „Stärkung der Resilienz Österreichs“ gegen die Einflussnahme aus dem Ausland. Dies betreffe insbesondere Spionage, Desinformation und Einflussnahme auf demokratische Wahlen.

Auch die „Rechtsstaatlichkeit“ wird betont. Grundlage sei die Rechtsordnung, insbesondere die österreichische Verfassung und die Gesetze, aber auch die EMRK, die EU-Verträge, sowie die Rechtsprechung der Gerichtshöfe wie dem VfGH, EGMR und EuGH. Hier zielt die ÖVP wohl auf kolportierte Wünsche der FPÖ ab, wonach EU-Recht nicht in Form der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH-Vorrang vor nationalem Recht haben soll. Auch solle die Bundesregierung „effektive Maßnahmen gegen Fake-News und Desinformation“ setzen – auch dieser Punkt war laut durchgedrungenen Verhandlungsprotokollen bis zuletzt offenbar Streitpunkt.

ÖVP fordert Bekenntnis zu Sky Shield

In Sachen Sicherheit fordert die Volkspartei auch die „neutralitätskonforme“ Verteidigung des Luftraums gegen Raketen und Drohnen. Genannt wird von der Volkspartei hier explizit die geplante europäische Einkaufsplattform „Sky Shield“, gegen die sich die FPÖ bis zuletzt vor allem mit Verweis auf Neutralitätsbedenken ausgesprochen hatte. Auch die Notwendigkeit der international „uneingeschränkten“ Zusammenarbeit der Geheimdienste wird als „oberste Priorität“ genannt.

Ein klares Bekenntnis und geeignete Maßnahmen werden auch bezüglich der Abgrenzung gegen politische und religiöse Extreme gefordert – dies gelte für Linksextremismus, Rechtsextremismus oder religiös motivierten Extremismus wie dem politischen Islam, gleichzeitig wird der Schutz von Minderheiten betont. Wohl auf Wohlwollen der FPÖ stoßen dürfte der Punkt, wonach vorübergehend keine neuen Asylanträge mehr angenommen werden sollen und der Familiennachzug ausgesetzt werden soll, um einer „Überforderung“ zu begegnen.

Streit über Ressortverteilung

Inwieweit der in der Vorwoche ausgebrochene Streit wegen der unterschiedlichen Vorstellungen bezüglich der Ressortverteilung thematisiert wurde, blieb vorerst offen. In der Vorwoche kam es zu einer Unterbrechung der Verhandlungen, nachdem die FPÖ der ÖVP am Dienstag eine Liste mit entsprechenden Vorschlägen unterbreitet hatte. Die Blauen stellten Forderungen nach Innen- und Finanzressort sowie EU-, Medien- und Kulturagenden auf. Die ÖVP berief ihren Parteivorstand ein, danach herrschte rund zwei Tage sogar komplette Funkstille zwischen den Verhandlungsspitzen.

Erst nach einzeln abgehaltenen Terminen mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen verständigten sich FPÖ-Chef Herbert Kickl und ÖVP-Obmann Christian Stocker am vergangenen Donnerstagnachmittag auf die Fortsetzung der Gespräche, die mit einem kurzen Treffen am Freitag wieder aufgenommen wurden.

Innenministerium weiter der Knackpunkt

Obwohl am Wochenende dann offiziell keine Gespräche eingetaktet waren, dürften FPÖ und ÖVP bei der Ressortaufteilung dennoch zumindest einen Teilschritt nach vorne gemacht haben. So sollen die Freiheitlichen dem Verhandlungspartner das Außenministerium angeboten haben, dem künftig auch wieder die EU-Kompetenzen zufallen sollen. Sollte die ÖVP das Angebot annehmen, dürfte der Bereich Verfassung und Deregulierung im dann blau geführten Kanzleramt bleiben, hieß es aus ÖVP-Verhandlerkreisen zur APA.

Zuletzt hatte die ÖVP zudem Bereitschaft signalisiert, auf die Finanzen zu verzichten. Für die ÖVP ist es laut APA-Informationen aber „untragbar“, dass sowohl Finanz- als auch Innenressort den Freiheitlichen zufallen. Eine kolportierte Lösung für das Innenressort, wonach dieses aufgeteilt werden könnte, dürfte nach APA-Informationen eher vom Tisch sein.

Inhaltliche Differenzen

Inhaltlich dürfte ebenfalls noch einiges zu besprechen sein. Am Wochenende wurden Verhandler-Protokolle aus den Untergruppen publik, in denen zahlreiche Punkte noch auf „rot“ gestellt waren. Demnach will die FPÖ etwa eine Teilnahme am WHO-Pandemievertrag verhindern und plädiert für einen Ausstieg aus der NATO-Partnerschaft für den Frieden. Gestrichen werden soll im Sinne der FPÖ auch die CO₂-Bepreisung. Auch eine Anhebung des Grundwehrdienstes auf acht Monate und des Zivildiensts auf zwölf Monate sowie „Schmerzensgeld“ für die Coronavirus-Maßnahmen schweben den blauen Verhandlern vor.

Bundespräsident für alle Szenarien gerüstet

Seitens der Bundespräsidentschaftskanzlei betonte man indes am Montag, man sei auf alle Szenarien vorbereitet. Sollten die Koalitionsverhandlungen platzen, gibt es mehrere mögliche Szenarien: Neben Neuwahlen oder erneuten schwarz-roten Verhandlungen besteht auch die Option, dass der Bundespräsident eine Expertenregierung einsetzt – diese müsste freilich von einer Mehrheit im Parlament gestützt sein.

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