Ukraine meldet russischen „Rekord-Angriff“, Selenskyj stellt Bedingungen für Rücktritt
So viele Drohnen-Angriffe in einer Nacht gab es laut Kiew seit Kriegsbeginn noch nie. Der ukrainische Präsident erklärte, er sei im Tausch für einen NATO-Beitritt seines Landes zum Rücktritt bereit.
Kiew – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagt, er sei bereit, sein Amt aufzugeben, wenn dies Frieden in der Ukraine bedeute. So könne er seinen Rücktritt gegen den Beitritt der Ukraine zur NATO eintauschen, erläuterte Selenskyj auf einer Pressekonferenz am Sonntag in Kiew. Er fügte hinzu, er wolle US-Präsident Donald Trump als Partner der Ukraine und nicht nur als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland sehen. Nur eine Vermittlung sei "nicht genug".
Unterdessen sagte der US-Sondergesandte Steve Witkoff, er erwarte, dass noch in dieser Woche ein Abkommen über den Zugang der USA zu den wichtigen Mineralvorkommen der Ukraine unterzeichnet werde. Selenskyj habe erkannt, dass die USA viel für die Ukraine getan hätten "und dass das Abkommen unterzeichnet werden muss. (...) Ich denke, sie werden es noch diese Woche unterzeichnen."
Selenskyj sagte indes, er weigere sich anzuerkennen, dass die Ukraine den USA 500 Milliarden Dollar für die Kriegshilfen schulde. Diese Zahl war von Trump wiederholt genannt worden. Selenskyj erklärte zudem, der von den USA angestrebte Deal für ukrainische Bodenschätze sehe vor, dass die Ukraine zwei Dollar für jeden erhaltenen Dollar US-Hilfen zurückzahlen solle. Selenskyj fügt hinzu, er wisse, wie man mit ernsthaften Leuten Vereinbarungen schließe.
267 russische Drohnenangriffe in einer Nacht
Russland hat die Ukraine in der Nacht auf Sonntag nach Angaben der ukrainischen Armee mit so vielen Drohnen angegriffen wie nie zuvor seit Beginn der Invasion des Landes im Februar 2022. Insgesamt seien im Luftraum über dem Land 267 unbemannte Flugobjekte festgestellt worden, es handle sich um einen "Rekordwert" für einen einzigen Angriff, erklärte ein Sprecher der ukrainischen Luftwaffe am Sonntag im Onlinedienst Facebook.
138 Drohnen habe die Luftabwehr abgefangen, 119 seien "verloren" gegangen, ohne Schaden anzurichten, fügte der Sprecher hinzu. Zu den weiteren zehn Drohnen machte er keine Angaben.
Die ukrainische Armee erklärte jedoch in einer Mitteilung im Onlinedienst Telegram, die Hauptstadtregion Kiew und weitere Regionen des Landes seien "getroffen" worden. Aus der zentralukrainischen Stadt Krywyj Rih meldeten die zuständigen Regionalbehörden einen Raketenangriff, bei dem am späten Samstagabend ein Mann getötet worden sei.
Moskau meldet Zerstörung von 20 Drohnen
Das russische Verteidigungsministerium meldete seinerseits, zwanzig von der Ukraine aus gestartete Drohnen seien "zerstört" worden. Die ukrainische Armee greift seit Beginn des russischen Angriffskriegs immer wieder Militärstützpunkte und Industrieeinrichtungen auf russischem Gebiet an - mit dem erklärten Ziel, russische Angriffe zu verhindern und die Nachschubwege der russischen Armee zu unterbrechen.
Russland meldete zudem die Einnahme weiterer Dörfer im Osten der Ukraine. Die Siedlungen Ulakly und Nowoandriiwka in der Region Donezk seien erobert worden, teilte das Verteidigungsministerium mit. Die russische Armee rückt im Osten der Ukraine seit einiger Zeit stetig vor.
Selenskyj ruft USA und Europa zu Zusammenhalt für Frieden auf
Selenskyj setzt auf Unterstützung der USA, will aber keine Vereinbarungen mit Washington zum Nachteil der Ukraine. Er erwarte von Trump Verständnis und Mitgefühl für sein von Russland angegriffenes Land. "Sicherheitsgarantien von Trump sind sehr nötig", sagte Selenskyj.
Auch Wirtschaftsvereinbarungen könnten Teil der Sicherheitsgarantien seien. Bei den Verhandlungen über einen US-Anteil an wertvollen Rohstoffen der Ukraine habe der erste Vertragsentwurf aber "nicht den Anforderungen entsprochen". Man könne über vieles reden, auch über Gas und Öl. Gleichzeitig müsse klar sein, dass die Ukraine dafür Sicherheit bekomme.
Die USA wollten ihre Unterstützung der vergangenen Jahre im Nachhinein teils zu Krediten erklären. "Wir können Finanzhilfen nicht als Schulden anerkennen", sagte Selenskyj. Für weitere Hilfen könne die Ukraine aber bezahlen.
Schallenberg: Keine Verhandlungen über Ukraine ohne Ukraine
Bundeskanzler und Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sagte beim Besuch der Ukrainischen Samstagsschule in Wien der ukrainischen Bevölkerung auch weiterhin Österreichs volle Unterstützung zu. "Seit drei Jahren herrscht in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ein brutaler Krieg, mitten in Europa tritt Russland das Völkerrecht mit Füßen. Und seit drei Jahren verteidigen die Ukrainerinnen und Ukrainer mit außerordentlichem Mut nicht nur ihre eigene Zukunft und Souveränität, sondern auch unsere Freiheit und unsere Werte", betonte Schallenberg.
Die heute fast 96.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Österreich seien ein "wichtiger Teil unserer Gemeinschaft geworden", so der Bundeskanzler weiter. Russland rief Schallenberg auf "diesen brutalen Krieg endlich zu beenden". "Es muss ein umfassender, gerechter und dauerhafter Frieden sein, der auf dem Völkerrecht fußt und die ukrainischen und unsere Interessen garantiert. Daher kann es keine Verhandlungen über die Ukraine ohne die Ukraine und ihren demokratisch gewählten Präsidenten Selenskyj geben."
Lopatka: Friedensverhandlungen ja, aber mit der Ukraine
Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Reinhold Lopatka, forderte eine Einbindung der Ukraine und der Europäer in die Verhandlungen. "Entscheidend ist dabei, dass es weder Friedensverhandlungen über die Ukraine ohne die Ukraine, noch Verhandlungen über die Sicherheit in Europa ohne die Europäer geben darf - Ukraine, EU und Großbritannien müssen mit am Tisch sitzen", verlangte Lopatka, der als Vizepräsident der parlamentarischen Versammlung der OSZE auch deren Sonderbeauftragter für den parlamentarischen Dialog mit der Ukraine ist.
"Wir brauchen eine enge und aktive EU-US-Zusammenarbeit zur Stärkung der Ukraine und zum Erreichen eines gerechten, nachhaltigen und umfassenden Friedens, der auf dem Völkerrecht fußt und die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine respektiert", so Lopatka in einer Aussendung zum dritten Jahrestag des Überfalls der Ukraine durch russische Truppen am Montag. (APA/AFP)