Nach Anschlag in Villach

Terror, Gewalt und Krieg: So lernen wir, mit Unsicherheit in Tirol zu leben

Landespolizeidirektor Helmut Tomac und Chefpsychologin des Roten Kreuzes Barbara Juen sprechen bei „Tirol Live“ über Unsicherheiten in der Bevölkerung.
© Böhm Thomas

Die renommierte Psychologin Barbara Juen gibt Tipps, wie man mit Ängsten umgeht. Landespolizeidirektor Helmut Tomac spricht über die Sicherheitslage in Tirol.

Innsbruck – Betroffenheit, Wut, Angst – und die Welt scheint aus den Fugen. Auf den Terroranschlag in Villach, bei dem ein 14-Jähriger getötet und weitere Menschen verletzt wurden, reagieren Menschen unterschiedlich und doch irgendwie gleich. Das Grundvertrauen in andere ist verloren, das Gerechtigkeitsgefühl erschüttert, Unsicherheit greift um sich. Dabei ist Österreich eines der sichersten Länder der Welt. Beim Global Peace Index reiht es sich nach Island und Irland auf Platz drei.

Woher kommen also diese Ängste und wie sollen wir damit umgehen? Barbara Juen unterrichtet solche Dinge nicht nur an der Universität Innsbruck. Als Chefpsychologin beim Roten Kreuz schult sie Kriseninterventionsteams weltweit. Im Interview bei „Tirol Live“ betont sie, wie wichtig es ist, dass gerade nach Terroranschlägen die Sicherheit und die Gemeinschaft im Zentrum stehen, und nicht noch mehr Wut, Gewalt und Rache-Gedanken. Denn damit eskaliert die Situation.

📽️ Video | Rot-Kreuz-Chefpsychologin Barbara Juen bei „Tirol Live“

Entgegen aller Ängste, die Menschen nun möglicherweise haben – etwa vor Menschenansammlungen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln – rät sie: Alltagsroutine leben – um bewusst wieder das Vertrauen in (fremde) Menschen zurückzugewinnen. Hintergrundinformationen sammeln – um das, was geschehen ist, auch einordnen zu können. Terroranschläge, Gewalt und Morde sind eine Seltenheit. Und: Notfallplan überlegen. Mit der Familie und den Liebsten klären, was im Falle eines Unfalls, aber auch in weniger dramatischen Situationen, wenn etwa das Kind den Schulbus verpasst, zu tun ist. Das gibt Sicherheit.

„Es ist wichtig, dass man sich selbst die Chance gibt zu begreifen, dass solche Ereignisse zumindest in unserer Gesellschaft nicht die Norm sind, sondern die Ausnahme. Und, dass wir uns sicher fühlen können in unserer Welt“, sagt die 65-Jährige. Der Fokus sollte also darauf liegen.

Barbara Juen ist u.a. fachliche Leiterin des Kriseninterventionsteams des Roten Kreuzes und schult dafür Teams für den Einsatz bei Naturkatastrophen, Krieg und Terroranschlägen.
© Axel Springer

Lernen, mit der Unsicherheit zu leben

Einstellung kann das Wohlbefinden und infolge ein Miteinander stark beeinflussen. Nicht nur die ganz persönliche, sondern eine kollektive. „Denn wir müssen erst einmal eine Akzeptanz und ein Verständnis dafür entwickeln, dass man nicht immer alle Dinge kontrollieren kann. Für uns (ÖsterreicherInnen) bedeute das einen Lernprozess“, sagt Juen. Global gesehen waren Terroranschläge, Kriege und Naturkatastrophen immer präsent. „Wir haben in Westeuropa lang in der Illusion gelebt, dass wir davon ausgenommen sind. Viele Menschen haben nun ein Problem mit der Unsicherheitstoleranz.“

Auch die Vorstellung der westlichen Welt, im Leben müsse immer alles besser werden, missfällt der Psychologin. „Das Leben geht immer auf und ab. In anderen Kulturen, zum Beispiel im Asiatischen, ist es ganz normal, dass man die Veränderung als Norm sieht und nicht die Stagnation.“

Polizei warnt vor Überreaktion

Lieber auf Daten als auf Emotionen baut Tirols Landespolizeidirektor Helmut Tomac bei diesem Thema. Auch er plädiert trotz möglicher Verunsicherung dazu, sich auf die Fakten zu konzentrieren.

📽️ Video | Landespolizeidirektor Helmut Tomac bei „Tirol Live“

„Ich glaube, man muss ganz einfach Klarheit schaffen und sagen, zu 100 Prozent verhindern wird man solche Geschehnisse (wie den Terroranschlag in Villach – Anmerkung d. Redaktion) niemals können. Wir sind aber angehalten, alles Mögliche zu unternehmen, um solche Geschehnisse möglichst zu verhindern. Und da gibt es eine Vielzahl an Maßnahmen. Das beginnt bei der Prävention, das beginnt aber auch außerhalb der exekutiven Arbeit, bei der wichtigen Arbeit von NGOs. Das geht also weiter über polizeiliche Präsenz hinaus.“

Kriminalstatisik zeigt keine Auffälligkeiten

Wenngleich einzelne in den sozialen Medien oder an Stammtischen krakeelen, man könne sich nun in Städten nicht mehr auf die Straße wagen, ohne angepöbelt, überfallen oder gar mit einer Waffe verletzt zu werden, sei fern der Realität. Tomac verweist auf die Kriminalstatistik, die Zahl der Vorfälle mit Hieb- und Stichwaffen hätten sich in den vergangenen Jahren „in keinster Weise auffällig entwickelt “.

Landespolizeidirektor Helmut Tomac erklärt im Gespräch mit TT-Redakteurin Jasmine Hrdina, weshalb nicht flächendeckend Waffenverbotszonen, Poller und Videoüberwachungskameras eingesetzt werden können.
© Axel Springer

Auf TikTok wirbt der ehemalige Innsbrucker Gemeinderat Gerald Depaoli dafür, dass sich jede/r mit einem Pfefferspray ausstatten sollte. „Das ist zu einfach gedacht (...) Hier wird durchaus polarisiert, teilweise politisches Kleingeld gemacht. Und das ist, glaube ich, der Situation nicht zuträglich.“

Was kann aber jede/r Einzelne tun? Tomac: „Die Augen offen halten, auf den Nachbarn schauen, Dinge, die er wahrnimmt, der Polizei zur Anzeige, zur Kenntnis bringen. Sensibilität an den Tag legen, das ist durchaus wünschenswert.“

🎧 Podcast | Rot-Kreuz-Chefpsychologin bei „Tirol Live“

🎧 Podcast | Landespolizeidirektor bei „Tirol Live“

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