25 Jahre „Big Brother“

Aus der Realität wurde Reality: Wie in einem Container TV-Geschichte geschrieben wurde

Kandidaten der ersten und Moderatoren der zweiten Stunde: Zlatko, Oliver Geissen, Aleks Bechtel, John, Andrea und Jürgen Milsk (von links).
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Vor 25 Jahren zogen erstmals Kandidaten in den „Big Brother“-Container. Die Aufregung um die erste deutschsprachige Reality-TV-Show war gewaltig. Heute wirkt die Sendung beinahe harmlos.

Köln – Thomas Gottschalk und Günther Jauch, Joko und Klaas, Ernie und Bert - das Fernsehen kennt viele Männerfreundschaften. Eine ganz eigene begann irgendwo in Hürth bei Köln während der ersten „Big Brother“-Staffel. Der Blick fiel auf einen imposanten Kragenbereich. „Als Erstes fiel mir an ihm sein gewaltiger Nacken mit drei dicken Speckrollen auf“, notiert Jürgen Milski in seinen Erinnerungen („Ich sag's“). „Was für ein Typ (...).“

Der Typ hieß Zlatko – und im Jahr 2000 waren seine Nackenfalten wohl berühmter als viele Promis des Landes. Im Männerverbund mit Kumpel Jürgen wurde er über Nacht zum Star. „Big Brother“ war der Urknall des Reality-TV. In diesen Tagen (1.3.) liegt die erste Folge – damals bei RTLzwei – genau 25 Jahre zurück.

Heute wirkt es fast surreal, was sie auslöste.

Gastauftritt von Toni Polster

Alle zwei Wochen nominierte jeder Bewohner zwei Kandidaten, die seiner Meinung nach das „Big Brother“-Haus verlassen sollten. Diese Entscheidung wurde isoliert von den anderen Teilnehmern in einem speziellen Raum getroffen – ein Moment der Wahrheit, nur für den Kandidaten und die Fernsehzuschauer. Das Publikum wiederum entschied per Abstimmung, wer ausziehen musste. Dieses Prozedere setzte sich fort, bis nur noch drei Finalisten übrig blieben. Am Ende lag die Entscheidung erneut bei den Zuschauern: Wer von ihnen sollte die Siegprämie erhalten?

Doch das Spiel bestand nicht nur aus Warten auf das Votum der Zuschauer. Wöchentliche und tägliche Aufgaben sorgten für Abwechslung und die Möglichkeit, sich kleine Belohnungen wie Musik oder besondere Mahlzeiten zu sichern.

Die erste Staffel begann am 28. Februar 2000 und endete nach exakt 102 Tagen am 9. Juni desselben Jahres.

Gewonnen hat letztlich John Milz. Gegen Ende der Staffel stattet der damalige ÖFB-Team-Stürmer Toni Polster den Container-Insassen einen Besuch ab.

Wie kam es dazu?

Ein Grund: Die ausgehenden 1990er-Jahre waren ein Zeitalter ohne Smartphones. Wer in andere Lebenswelten blicken wollte, musste den Fernseher einschalten – und „Big Brother“ stillte dieses Bedürfnis auf extreme Weise.

Die Sendung versprach die ununterbrochene Beobachtung normaler Menschen – vom Pickelausdrücken vor dem Spiegel bis zum Nickerchen auf dem Sofa. Gleichzeitig gelang es, die mitunter banalen Vorgänge in einem Container in Hürth zu einem Forum für die großen Fragen der Zeit hochzustilisieren.

Der niederländische TV-Produzent John de Mol entwickelte die Sendung.
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Von Orwell in den Container

Der Titel deutete Anspruch an. George Orwell machte den Satz „Big Brother is watching you“ („Der Große Bruder sieht dich“) in seinem Roman „1984“ zum Sinnbild totalitärer Herrschaft.

Unter der Ägide des niederländischen Show-Erfinders John de Mol bedeutete der „große Bruder“ nun Unterhaltung in Reinform – ganz im Sinne der Spaßgesellschaft, in der sich Deutschland damals wähnte.

Zlatko und Jürgen machte „Big Brother“ zu Promis. Jedenfalls für einige Monate.
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„Man hat damals nicht geahnt, dass es so einschlagen würde, wie es dann eingeschlagen ist“, sagt Rainer Laux – damals dabei und noch heute eine prägende Figur im „Big Brother“-Universum.

Gerade startete eine neue „Big Brother“-Staffel (Episoden laufen bei Sat.1 und sind bei Joyn abrufbar). Produziert wird sie von EndemolShine Germany in Zusammenarbeit mit Rainer Laux Productions.

Der Hit war nicht garantiert

In den Niederlanden lief „Big Brother“ bereits mit starken Quoten und medialer Aufmerksamkeit, erinnert sich Laux. „Aber Holland war und ist gesellschaftlich auch ein bisschen liberaler. Man wusste also nicht, ob es in Deutschland ebenso funktionieren würde.“

Doch es funktionierte – und wie. Die Quoten waren stark, auch am Container bewegte sich was. „Am Anfang war dort nichts los“, sagt Laux. „Dann standen auf einmal fünf Fans dort, dann 20, dann 30. Und als Zlatko auszog, waren es plötzlich 10.000.“

Alex Jolig nahm an der ersten Staffel teil. Im Fernsehen war er zuletzt 2020 im Trash-Format „Prominent getrennt“ zu sehen.
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Zlatko (Hobby: PlayStation spielen) wurde zum Archetyp des „Big-Brother-Stars“. Fangemeinden formierten sich („Die Zeugen Zlatkos“), um den Industriemechaniker aus Nattheim zu feiern.

Mit Busenfreund Jürgen plauderte sich Zlatko mit bodenständigem Charme in die Wohnzimmer der Nation. Ein Beispiel? Jürgen fragt Zlatko, was er davon halte, „dass Helmut Kohl hetero“ sei. Zlatkos Antwort: „Ist mir doch egal. Ist doch sein Ding.“

Ein Wagen, nur von Händen demoliert

Laux erinnert sich lebhaft an den Abend, als Zlatko bei „Big Brother“ rausflog und 200 Meter zum Studio chauffiert wurde. „Dieser Wagen war danach ein Totalschaden“, so Laux. „Seine Sicherheit war nie in Gefahr, aber die Menschen, die am Rand standen, hatten das Auto auf diesen 200 Metern mit ihren Händen demoliert, weil sie Zlatko nahe sein wollten.“ Danach habe es Krisentreffen mit Stadt, Feuerwehr und THW gegeben, um sich auf die Massen vorzubereiten.

John Milz gewann 2000 die erste „Big Brother“-Staffel. Später arbeitete er einige Jahre als Radio-Moderator. Inzwischen hat er sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
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Drinnen im Container hatte man nur eine vage Vorstellung davon, was draußen los war. „Unsere Vorstellungskraft reichte nicht aus, um zu glauben, dass das in ganz Deutschland so ein Hype ist“, sagt Jürgen Milski. Als Nachzüglerin Sabrina einzog, wurde sie im Container ausgefragt: „Hör mal, wer guckt das hier? Das ist doch total langweilig. Wir leben doch hier einfach nur. Oder ist das schon abgesetzt worden?“

Warnungen vor Wahrung der Menschenwürde

Die Wahrnehmung im Container stand im totalen Kontrast zum Wirbel draußen – auch zur Kritik. Manche prophezeiten den kulturellen Untergang. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) etwa warnte, die Show verstoße gegen das Grundgesetz.

Der legendäre, erste „Big Brother“-TV-Container in Köln-Hürth.
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Milski fand das und findet es bis heute unsinnig. „Ich habe mich ja bewusst dafür entschieden, gefilmt zu werden“, sagt er. „Die wahre Gefangenschaft begann für mich erst mit dem Bekanntheitsgrad.“

Und die Kandidaten von damals – Jana, Zlatko, Manuela, Kerstin, Alex, Verena, Sabrina, Andrea, Jürgen, John – seien im Vergleich zu heutigen Reality-Teilnehmern doch harmlos gewesen. „Wenn man das vergleicht mit den Vollidioten, die heute bei den Reality-Formaten teilnehmen, die wirklich völlig schmerzfrei sind und alles tun würden, um Sendezeit zu bekommen“, sagt Jürgen Milski, „dann waren das damals echt noch nette Leute.“ „Big Brother“ hat auch diesen „Vollidioten“ den Weg geebnet. (dpa, APA, TT)