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Großeinsatz in Syrien gegen Anhänger des Assad-Regimes

Syrien befindet sich nach Assads Sturz im Umbruch
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Im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des gestürzten syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und Sicherheitskräften der neuen Regierung ist es einem Bericht zufolge zu Massakern an der Zivilbevölkerung gekommen. Die "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" teilte mit, sie habe Hinweise auf Exekutionen von mindestens 162 Angehörigen der Minderheit der Alawiten durch Sicherheitskräfte der syrischen Übergangsregierung, darunter auch Frauen und Kinder.

"Es wurden Massaker an der alawitischen Religionsgemeinschaft verübt", sagte der Direktor der in Großbritannien ansässigen Beobachtungsstelle, Rami Abdel-Rahman, der Deutschen Presse-Agentur. Ein Augenzeuge in der Stadt Banias, wo allein 60 Menschen getötet worden sein sollen, sagte der dpa am Telefon, es herrsche totales Chaos. "Unschuldige Menschen, die unbewaffnet waren, wurden entweder in ihren Häusern oder davor vor den Augen ihrer Familien erschossen", so der Mann, der aus Angst vor Repressalien nicht namentlich genannt werden wollte.

Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa wandte sich am Freitagabend an die Bevölkerung. Überbleibsel der gestürzten Ex-Regierung hätten versucht, "das neue Syrien zu testen", sagte er. Al-Sharaa lobte zudem die Reaktion der Sicherheitskräfte und rief deren Gegner auf, ihre Waffen niederzulegen. Jeder, der Übergriffe gegen Zivilisten begehe, werde hart bestraft, kündigte der frühere Rebellenchef an, für den die Auseinandersetzungen der erste große Test seit der Machtübernahme darstellen. "Sie haben sich gegen alle Syrer gewandt und einen unverzeihlichen Fehler begangen. Der Gegenschlag ist gekommen."

Die Massaker erwähnte er nicht direkt. Er richtete jedoch einen Aufruf an "alle Kräfte, die sich an den Kämpfen beteiligt haben" sich den Befehlshabern des Militärs zu unterstellen und "die Stellungen unverzüglich zu räumen, um die aktuellen Verstöße zu kontrollieren".

Im syrischen Staatsfernsehen hieß es, Unbekannte hätten sich in Uniformen der Regierungstruppen verkleidet und die Taten begangen, um einen Bürgerkrieg anzustiften.

Zuvor hatte das Verteidigungsministerium in Damaskus einen "großangelegten" Einsatz gegen Assad-Anhänger im Westen des Landes verkündet. Der Einsatz ziele auf "die Überreste von Assads Milizen und ihre Unterstützer", zitierte die amtliche Nachrichtenagentur SANA aus Sicherheitskreisen.

Das Verteidigungsministerium in Damaskus teilte mit, es wurden zusätzliche Kräfte in die Küstenregion um Latakia und Tartus geschickt. Auch ein Einsatz in Assads Heimatstadt Kardaha wurde begonnen. "Unsere Streitkräfte werden nun in Abstimmung mit den Sicherheitskräften gezielte und präzise Einsätze gegen die dem ehemaligen Regime treu ergebenen Männer ausführen", zitierte SANA einen Vertreter des Verteidigungsministeriums. Assads Anhänger hätten "unsere Streitkräfte und unsere Landsleute verraten", sagte der Ministeriumsvertreter weiter.

Die Auseinandersetzungen spielen sich nach Angaben der Regierungstruppen in der Provinz Latakia an der syrischen Mittelmeerküste ab, einer Hochburg der religiösen Minderheit der Alawiten, der auch Assad angehört. Nach Angriffen von Assad-Sympathisanten am Donnerstag brachen am Freitag schwere Kämpfe aus.

Die Beobachtungsstelle und Aktivisten veröffentlichten Videos, die dutzende Leichen in ziviler Kleidung im Hof eines Hauses zeigten, während Frauen dort in der Nähe weinten. In einem anderen Video werden drei Menschen per Kopfschuss hingerichtet. Die Beobachtungsstelle bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten in Syrien.

Zivilisten berichteten am Freitag von andauernden Kämpfen. "Wir haben die ganze Nacht lang Schüsse und Explosionen gehört", sagte ein Bewohner der bei Latakia gelegenen Stadt Jableh. In Latakia, Tartus und in der weiter im Landesinneren gelegenen Provinz Homs waren Ausgangssperren ausgerufen worden.

Die Regierungskräfte erklärten laut SANA, den ehemaligen General Ibrahim Huweijeh festgenommen zu haben, der für "hunderte Morde" zu Zeiten des Assad-Regimes verantwortlich sein soll.

Kämpfer unter Führung der islamistischen HTS-Miliz hatten Anfang Dezember Damaskus erobert und die jahrzehntelange Herrschaft von Machthaber Assad in Syrien beendet. Assad selbst flüchtete nach Russland.

Während der jahrzehntelangen Herrschaft des Assad-Clans war die Region im Westen Syriens die Hochburgen von dessen Anhängern. Seit ihrer Machtübernahme hat die neue, sunnitisch-islamistisch geprägte syrische Führung wiederholt versichert, die Minderheiten im Land zu schützen. Die Alawiten fürchten jedoch Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Gemeinschaft - sowohl als religiöse Minderheit als auch wegen ihrer Treue zur Assad-Familie.

Die Türkei warnte mit Blick auf die Assad-Anhänger vor "Provokationen", die eine "Bedrohung für den Frieden in Syrien und in der Region" sein könnten, wie ein Sprecher des türkischen Außenministeriums sagte. Die Spannungen in Latakia und Umgebung und die Angriffe auf Sicherheitskräfte der Übergangsregierung könnten die Bemühungen untergraben, "Syrien zu Einheit und Brüderlichkeit" zu führen. Die Türkei, die selbst mehrere tausend Soldaten in Syrien stationiert hat und dort vor allem gegen kurdische Milizen im Nordosten vorgeht, ist ein wichtiger Unterstützer der islamistischen Übergangsregierung in Syrien.

Das saudi-arabische Außenministerium verurteilte im Onlinedienst X die "Verbrechen gesetzloser Gruppen in der Syrischen Arabischen Republik und die Angriffe auf Sicherheitskräfte". Riad bekräftigte zudem seine weitere Unterstützung für die neuen Machthaber in Syrien.

Der österreichische Politologe Thomas Schmidinger hält es für "durchaus möglich, dass Assad hier direkt seine Finger im Spiel hat" und auf eine Rückkehr hoffe. Im Gespräch mit der ZiB 2 schloss Schmidinger am Freitagabend nicht aus, dass in Syrien eine Miliz das alawitische Kernland wieder übernehmen und "dass eine neue Phase eines syrischen Bürgerkriegs entstehen könnte".

Der Berliner Extremismus- und Nahost-Experte Ahmad Mansour wies auf die prekäre Situation der Minderheiten in Syrien und die dadurch bestehende Gefahr für die Stabilität des Landes hin: "Ohne Sicherheitsgarantien für diese Gruppen kann es keinen stabilen Neuanfang geben", schrieb der deutsche Experte arabisch-israelischer Herkunft auf der Plattform X am Freitag. "Die Gewalt in Latakia und Tartus ist ein Vorgeschmack auf das, was geschehen könnte, wenn keine ernsthaften Schutzmaßnahmen für die Minderheiten getroffen werden. Wer denkt, dass Syrien ohne eine Lösung für dieses Problem zur Ruhe kommen wird, täuscht sich gewaltig."

Auch der österreichische Nahost-Experte Walter Posch warnte. Wenn die Kurden in Syrien ihr autonomes Selbstverwaltungsgebiet (AANES, Rojava) nicht bewahren oder im neuen Syrien transformieren könnten, könne ein Zusammenbruch und in Folge Flüchtlingsströme drohen. "Mit Blick auf Syrien ist abzuwarten, inwieweit AANES/Rojava seine Strukturen bewahren oder in irgendeiner Form im neuen Syrien transformieren kann. Sollte dies nicht der Fall sein, ist mit einem Zusammenbruch zu rechnen, der unweigerlich weitere Flüchtlingsströme nach Europa zur Folge haben wird, denen sich erfahrene Kämpfer und Kader anschließen werden", schrieb Posch im am Donnerstag veröffentlichten "IFK-Monitor" des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie Wien.