Zivilisten niedergemetzelt

Mehr als 1000 Tote: Was hinter den Massakern in Syrien steckt

Kämpfer der neuen syrischen Machthaber an der Mittelmeerküste in der Provinz Latakia.
© AFP/Kadour

Syrien droht wieder in den Bürgerkrieg zu rutschen. In zentralen Rollen: Versprengte Anhänger des alten Regimes, brutale Jihadisten im Dienst der neuen Machthaber, ausländische Mächte sowie eine Übergangsregierung, die viele Hoffnungen enttäuscht hat.

Damaskus – Durch die jüngste Gewalt in Syriens Provinz Latakia sollen mehr als 1000 Menschen ums Leben gekommen sein. Drei Viertel der Toten seien Zivilisten aus der Minderheit der Alawiten, berichtete die Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Wochenende. Die Organisation hat ihren Sitz in Großbritannien und verfügt nach eigenen Angaben über Hunderte Informanten in Syrien.

Die Rede war von Massakern, verübt von Kämpfern der neuen Machthaber. Es ist der schlimmste Ausbruch von Gewalt in Syrien seit Jahren. Anstelle einer Stabilisierung droht dem Land jetzt der Rückfall in den Bürgerkrieg.

Was hat die Gewalt ausgelöst?

Nach dem Sturz des Assad-Regimes Anfang Dezember zogen sich viele seiner Anhänger und Mitstreiter in die westliche Provinz Latakia zurück. Dort liegt das Hauptsiedlungsgebiet der Minderheit der Alawiten, der auch die Familie Assad angehört. Am Donnerstag soll es in der Provinz zu einer Serie von koordinierten Attacken auf Kräfte der neuen Machthaber gekommen sein. Diese führten Verstärkung heran; es kam zu heftigen Kämpfen.

Was ist über die Massaker bekannt?

Am Rande der Kämpfe soll es zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen sein. Zeugen berichteten von wahllosen Erschießungen, Demütigungen und Plünderungen. Straßen seien mit Leichen übersät. Dem Anschein nach handelte es sich um Racheakte gegen Alawiten, die unter dem Assad-Regime in einer privilegierten Position waren.

Wer soll die Racheakte verübt haben?

Laut den Berichten sollen vor allem ausländische Jihadisten aus den Reihen der Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) an den Massakern beteiligt gewesen sein. Diese Miliz hatte Anfang Dezember den Diktator Bashar al-Assad gestürzt. Ihr Anführer Ahmed al-Sharaa fungiert seitdem als selbst ernannter Übergangspräsident, mit dem auch Europa ins Gespräch kommen wollte.

Was sagen die neuen Machthaber?

Vertreter räumten ein, dass es „Verstöße“ gegeben habe. Al-Sharaa selbst erklärte, die aktuelle Entwicklung bewege sich im Rahmen der „erwartbaren Herausforderungen“. Zugleich mahnte er bei einer Rede in einer Moschee, die am Sonntag per Video verbreitet wurde: „Wir müssen die nationale Einheit und den inneren Frieden bewahren.“

Flammt der Bürgerkrieg wieder auf?

Diese Gefahr besteht. Die Gewalt erinnert erstens daran, dass die neuen Machthaber nicht das gesamte Land kontrollieren – und offenkundig auch nicht alle ihre Kämpfer. Zweitens schürt die Gewalt Ängste unter Minderheiten. Anhänger des Assad-Regimes versuchen, sie gegen die neuen Machthaber zu mobilisieren, schrieb das Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington. Im Hintergrund sollen auch ausländische Mächte mitmischen – etwa Russland, der Iran und Israel.

Was wurde aus dem nationalen Dialog?

Die neuen Machthaber haben viele Hoffnungen enttäuscht. Bisher ist es ihnen nicht gelungen, eine Regierung zu bilden, die alle Bevölkerungsgruppen einschließt. Sicherheitslage, Verwaltung und Verfolgung von Kriegsverbrechen lassen zu wünschen übrig. Die Attacken vom Donnerstag gelten als gezielter Versuch, das Bemühen um Stabilisierung und Zusammenarbeit zu hintertreiben. (TT, dpa, KAP)