Erinnerungen der Nachbarn an NS-Mordanstalt Hartheim
Über die größte Euthanasieanstalt im Deutschen Reich, Schloss Hartheim im oberösterreichischen Alkoven, hat Regisseur Thomas Hackl mit Kollegin Martina Hechenberger eine neue Dokumentation gedreht. Der Zugang war, durch die Erzählungen von Schlossnachbarn sowie Hinterbliebenen von Tätern und Opfern eine Reportage über das grauenhafte Vernichtungssystem zu schaffen. Premiere von "Schloss Hartheim - Die NS-Mordanstalt" ist Samstagabend um 20.15 Uhr auf ORF III.
Hackl ist in Alkoven geboren und unweigerlich mit der Geschichte des Schlosses aufgewachsen. Jahrzehntelang sei über das "traurige Erbe geschwiegen worden", heißt es in der Dokumentation. Gabriele Hofer-Stelzhammer, Nachbarin des Schlosses, erinnert sich, dass jedes Jahr vor den Befreiungsfeiern des KZ Mauthausen um den 4. Mai "Menschen in Bussen gekommen sind, die anders gesprochen haben". Für die Opfer und deren Hinterbliebene habe es viele Jahre keine Möglichkeit für wirkliches Gedenken gegeben, weil die Gemeinde im Schloss Sozialwohnungen eingerichtet hatte. Jene Besucher im Mai seien den Bewohnern "eigentlich lästig gewesen", sagt Hofer-Zimmermann.
Erst 2003 wurde der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim eröffnet. Hackl hofft, dass mit der neuen Dokumentation jenes "traurige Erbe" besser von den Leuten im Ort angenommen wird. Vielleicht auch deshalb, weil er als "einer von ihnen" leichter Zugang zu den Alkovenern mit ihren persönlichen Erinnerungen fand.
Olga Stoiber, Tochter der Bäckerei im Ort, erinnert sich, wie sie als kleines Mädchen mit ihrer Mutter Brot zum Schloss gebracht und durch eine geöffnete Küchentür in den Innenhof des Schlosses geblickt hat. Es sei "so viel geschrien" worden, am Boden sei ein Mädchen mit einem schönen Kleid angebunden gewesen, das wisse sie noch. "Mein Lebtag habe ich das nicht aus meinem Kopf" herausgebracht, sagt die betagte Dame im Rollstuhl mit wässrigen Augen in die Kamera.
Für zehn Reichsmark wurden Behinderte und psychisch Kranke aus Anstalten nach Hartheim deportiert und dort umgehend ermordet. Drei Stunden habe es von der Ankunft bis in das Krematorium gedauert. Über einen "infernalischen Gestank", der über den Ort Alkoven und den Feldern lag, spricht der Zeitzeuge Karl Schuhmann in einer Archivaufnahme von 1999. Sein Foto vom Schloss mit aufsteigendem schwarzen Rauch aus dem Krematorium ist das bisher einzige bekannte Dokument von der Verbrennung. Sein Sohn Wolfgang meint heute, es dürfte im Spätherbst 1940 oder im Frühjahr 1941 gemacht worden sein.
Im Rahmen des geheimen Euthanasieprogramms der Nazis mit dem Codenamen T4 wurden in Hartheim von Mai 1940 bis August 1941 insgesamt 18.000 Psychiatriepatienten und Behinderte, für die Nazis "lebensunwertes Leben", vergast. Als die Geheimhaltung aufzufliegen drohte, ordnete Adolf Hitler die Einstellung der T4-Aktion an. Doch das Morden in Hartheim war damit nicht zu Ende. Bis 1944 wurden dort 12.000 arbeitsunfähige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter vergast.
Die Betroffenheit von Gerhard Brandstetter ist zu spüren, als er 80 Jahre später im Gang des heutigen Gedenk- und Lernort Schloss Hartheim davon berichtet, wie er in einem Film über den Aufstand im KZ Sobibor erstmals von der fürchterlichen Vergangenheit seines Großonkels gehört habe. Nach der Leitung der Euthanasieanstalt Hartheim wurde der Verwandte Kommandant in dem polnischen KZ und war "für den Tod von über 230.000 Menschen verantwortlich". Der Großneffe "hat es irgendwie nicht gepackt", dass er nichts davon wusste. Als Angehöriger könne man derartiges "nicht ignorieren, es bleibt etwas zurück", sagt Brandstetter, auch wenn es keine Erbschuld gebe. "Schuld haben die Täter, sonst niemand."
Und einer dieser Täter kommt gegen Ende der knapp 50-minütigen Dokumentation zu Wort. Autor und Journalist Walter Kohl hat 1997 mit dem stellvertretenden Direktor von Hartheim, NS-Arzt Georg Renno, ein Interview geführt. Für seine Taten wurde der Euthanasiearzt aufgrund attestierter Verhandlungsunfähigkeit nie verurteilt. Kohl spielt jene mit Kassettenrekorder aufgezeichnete Passage ab, in der Renno das Vergasen im Schloss beschrieb. Sein uneinsichtiges Resümee: "Also da hab ich für meine Person absolut ein gutes Gewissen. Denen ist nichts passiert - den Leuten. So 'nen Tod möchte ich haben."
Die persönlichen Geschichten, die Hackl aufgespürt hat, gehen tief unter die Haut. Zusammen mit aktuellen Forschungsergebnissen wird in der Dokumentation das dunkle Kapitel der deutschen und österreichischen Geschichte berührend aufbereitet.