Neue Männlichkeit

Schwach sein ist nicht vorgesehen

So kann Männerfreundschaft auch aussehen – nahbar und jenseits gesellschaftlicher Erwartungen.
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Das Ideal vom starken, autonomen Mann hält sich hartnäckig – und verhindert oft, dass Männer sich rechtzeitig Hilfe suchen.

Was es heißt, ein „moderner Mann“ zu sein, ist heute schwerer zu beantworten denn je. „Vor 30 oder 50 Jahren war es klarer, da waren Geschlechterrollen eindeutiger“, sagt Paul Scheibelhofer, Assistenzprofessor für Geschlechterforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck. „Heute gibt es viele Möglichkeiten, ein Mann zu sein – aber wir schleppen noch immer alte Bilder mit uns herum.“

Männlichkeit ist kein Naturzustand – sie wird erlernt.
Paul Scheibelhofer, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck

Trotz einer Vielfalt an Lebensentwürfen bleibe das klassische Bild vom starken, autonomen Mann bestehen – und wirke tief in das Selbstverständnis vieler hinein. Zweifel, Unsicherheiten oder Hilfsbedürftigkeit gelten für viele nach wie vor als Schwäche. „Die Vorstellung, man müsse alles alleine schaffen, ist weit verbreitet. Gefühle zu zeigen oder Unterstützung zu holen, ist für Männer auch heute oft noch tabu“, so Scheibelhofer.

Entfremdung als zentrales Problem

Diese überkommene Vorstellung von Männlichkeit habe nicht nur gesellschaftliche, sondern auch psychische Folgen. „Das klassische Männlichkeitsbild schafft Distanziertheit – zur Welt, zu anderen und oft auch zu sich selbst“, erklärt Scheibelhofer. Um hart, unerschütterlich und führungsstark zu wirken, entwickeln viele Männer einen Schutzschild. „Aber dieses Abschotten führt oft zu Entfremdung, was emotionale Nähe erschwert – sowohl zu Partnerinnen als auch zu Kindern oder Freunden.“

Männerfreundschaften sind dabei häufig um Aktivitäten herum organisiert, wie Sport oder gemeinsame Hobbys. „Das können enge und langjährige Verbindungen sein, aber sie bleiben oft inhaltlich oberflächlich“, so Scheibelhofer. Wer regelmäßig mit Freunden wandern geht oder im Verein spielt, spricht deshalb noch lange nicht über Beziehungskrisen oder persönliche Sorgen. Diese emotionale Zurückhaltung zieht sich bis in den privaten Nahraum – und verstärkt die Tendenz zur Isolation.

Was Jungen früh lernen, prägt ihre Rolle als Männer.
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Gesundheit wird in diesem Zusammenhang ebenfalls zum geschlechtergeprägten Thema: Denn gesund zu sein, sei für viele Männer weniger eine bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Wohlbefinden als vielmehr die Fähigkeit, einfach zu funktionieren – solange es irgendwie noch geht.

Beratung ja – aber oft erst im Ernstfall

Männer holen sich seltener und später Hilfe – das zeigen Studien seit Jahren. „Viele haben lange nicht das Gefühl, dass sie überhaupt Unterstützung brauchen“, sagt Scheibelhofer. Wer gelernt hat, Probleme mit sich selbst auszumachen und keine Schwäche zu zeigen, nehme innere Krisen oft gar nicht als behandlungsbedürftig wahr. Psychische Belastungen werden heruntergespielt oder verdrängt – bis sie sich nicht mehr ignorieren lassen.

„Bei vielen braucht es erst eine deutliche Krise, damit überhaupt über eine Therapie nachgedacht wird“, schildert der Experte.

Dabei stehen zahlreiche Anlaufstellen offen, etwa Psychotherapie oder spezialisierte Männerberatungen wie der Verein „Mannsbilder“ in Tirol. „Aber wir dürfen nicht glauben, dass spezielle Beratungen allein das Problem lösen. Wenn alle Männer, die etwa die Hälfte der Gesellschaft ausmachen, Hilfe so häufig in Anspruch nähmen wie nötig, stünde das gesamte System vor einer echten Belastungsprobe“, sagt Scheibelhofer.

Veränderung beginnt in der Erziehung

Was muss also getan werden, um mit alten Rollenbildern zu brechen? Scheibelhofer sieht die Verantwortung auf vielen Ebenen: „Die Medien sollten das Thema nicht nur zu bestimmten Anlässen aufgreifen, sondern kontinuierlich sichtbar machen, wo neue Männlichkeitsbilder entstehen.“

Auch Politik, Vereine und Arbeitswelt müssten sich selbstkritisch fragen, wie sehr sie noch an klassischen Männlichkeitsnormen festhalten – und wie sie aktiv Veränderung fördern könnten. „Ein Chef, der sagt: ‚Ein Papa, der nicht in Karenz geht, ist kein guter Mitarbeiter‘ – das verändert etwas. Und wenn dieser Chef selbst ein Jahr in Karenz geht, dann wirkt sich das positiv aus.“

Schließlich komme der Pädagogik eine zentrale Rolle zu: Geht man – wie in der Geschlechterforschung – davon aus, dass Geschlecht gesellschaftlich geformt wird und Verhaltensweisen erlernt sind, müsse genau dort angesetzt werden: Jungen sollte der Zugang zu Fürsorglichkeit, Achtsamkeit und Emotionalität genauso offenstehen wie Mädchen.