Der Arzt aus der Hosentasche
Ob Bankgeschäfte oder Einkaufen – alles wird via Smartphone erledigt. Da überrascht es nicht, dass Apps auch Krankheiten erkennen. Die Schrittlänge etwa weist auf Parkinson hin – oder gibt Entwarnung.
Er sitzt in unserer Tasche, lauert und notiert. Der virtuelle Spion, dem kleinste Änderungen unserer Gewohnheiten auffallen. Variiert unsere Schrittlänge? Die Kommunikation? Der Puls? Die Stimme? Selbst die Präzision, mit der wir die Buchstaben der Tastatur treffen, entgeht dem Smartphone nicht. Manche Handys begleiten den Besitzer sogar bis in den Schlaf und registrieren dessen Schlafphasen.
Diese gläserne Vorstellung ist ebenso erschreckend wie nützlich. Forscher arbeiten nämlich daran, diese Daten zu verwenden, um Krankheiten vorherzusagen.
Die Vielfalt oder Armut von Telefonaten, ausgetauschten Texten oder besuchten Orten könne auf schwelende Depressionen hinweisen.
Naht die Parkinson-Diagnose?
Variieren neuerdings Druckstärke, Tempo oder Zahl der Fehler beim Tippen, könnten das Indikatoren für eine nahende Parkinson-Diagnose sein. Bei dieser Krankheit verkürzt sich etwa die Schrittlänge – was weder Patienten in spe noch Angehörigen auffallen dürfte, das Handy wittert jedoch vorab, ob sich ein Krankheitsbild entwickelt.
GPS-Handydaten wiederum geben Auskunft darüber, wie es um Früherkennung und Verlauf von Alzheimer steht. Teilnehmer einer Schnitzeljagd, die an einer Beeinträchtigung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit litten, hielten öfter an, um sich zu orientieren, als gesunde Schnitzeljäger. Diese Symptomatik ist ein bekannter Risikofaktor für Demenz.
Das dubiose Muttermal
Immer mehr Apps tüfteln zudem daran, Hautkrebs zu erkennen. Der besorgte Nutzer muss lediglich ein Foto des dubiosen Muttermals machen. Bei Tests erkannten einige dieser Apps wirklich, ob die Hautstelle problematisch werden könnte.
Allerdings waren die genutzten Bilder meist von medizinischen Fachkräften ausgewählt und nicht von Laien fotografiert worden.
„Wie bitte?“
Grund genug für die Stiftung Warentest, sich der Diagnose via Smartphone anzunehmen. Die Tester entwickelten fünf Modellfälle – darunter Symptome eines Bandscheibenvorfalls, einer Angina Pectoris infolge einer Verengung der Herzkranzgefäße und einer Depression. Ein Facharzt und eine Psychotherapeutin bewerteten anschließend die Korrektheit der App-Diagnose.
Wenige Apps, wie „Ada“ und „Symptomate“, überzeugten. Die Künstliche Intelligenz der Apps führt den Nutzer durch einen Frageprozess: „Wann treten Rückenschmerzen, Harndrang oder trockener Husten auf, was verstärkt sie? Schwitzt die Person nachts, fühlt sie sich niedergeschlagen oder erschöpft, leidet sie an Appetitlosigkeit?“ Auch Lichtempfindlichkeit oder veränderte Geruchswahrnehmungen könnten Hinweise geben.
Am Ende dieser Recherche steht bei guten Programmen keine in Stein gemeißelte Diagnose. Vielmehr werden Wahrscheinlichkeiten aufgezeigt: „Neun von zehn Personen mit diesen Symptomen haben eine Sehnerventzündung. Aber es gibt auch deutliche Übereinstimmungen mit Patienten, die an einer Netzhautablösung leiden.“
Doch längst nicht alle virtuellen Helfer sind empfehlenswert. Einige Apps listeten unzählige Krankheiten auf – ohne eine Priorisierung anzugeben. Andere übertrieben und rieten bei Symptomen einer banalen Blasenentzündung, schnellstmöglich den Arzt aufzusuchen.
„Isabel“ stufte Symptome der Angina Pectoris fälschlich als Notfall ein. „Symptoma“ hielt auch eine Rippenfraktur oder Crack-Konsum für möglich. Damit nicht genug der Hiobsbotschaften: „Santias Portal“ reagierte auf depressive Symptome mit Suizidgedanken mit: „Das habe ich nicht ganz verstanden.“ Zudem geraten viele dieser Gesundheits-Apps immer wieder in Kritik – selbst von Stiftung Warentest gerühmte Apps. Einerseits sammeln sie eine Unmenge sensibler Daten, von denen man nicht immer nachvollziehen kann, wer die erhält.
Andererseits stellt sich so manchem Arzt die Frage, was passiert, wenn die App von einem banalen Problem ausgeht, der Patient den Mediziner meidet und sich die reale Diagnose Monate später als fatal erweist.
Kenntnis der Vorgeschichte
Scheint, als wäre es all der Innovation zum Trotz ratsam, bei ernsthafteren Problemen weiterhin einen dreidimensionalen Arzt aufzusuchen. Der kann für eine Diagnose nicht nur Untersuchungen einbeziehen, sondern kennt auch das soziale Umfeld und die Vorgeschichte des Patienten. Selbst eine Videosprechstunde, wie sie in Pandemiezeiten eingeführt und manchmal beibehalten wurde, könnte hilfreicher sein als „Dr. Künstliche Intelligenz“ aus der Hosentasche