Europas Rückkehr zur Kernenergie – viele neue Reaktoren geplant
Immer mehr EU-Länder rücken von ihren Beschlüssen ab, aus der Atomkraft auszusteigen. Das belgische Parlament folgte am Freitag dem Beispiel Schwedens und der Niederlande.
Brüssel – Fast 40 Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl zeigt sich europaweit eine Renaissance der Atomenergie. In Belgien stimmte eine große Mehrheit im Parlament für eine Verlängerung der Laufzeit bestehender Reaktoren. Viele weitere Länder machen ihren Atomausstieg rückgängig.
Belgien hat aktuell zwei Kernkraftwerke mit sieben Reaktoren – drei wurden allerdings bereits vom Netz genommen. 2003 war der Atomausstieg 2025 gesetzlich festgelegt worden. Bereits 2022 wurde der Ausstieg um zehn Jahre verschoben, nun ist er ganz abgesagt, die Regierung will zudem neue Reaktoren bauen.
Auch Schweden und die Niederlande stiegen aus ihrem Ausstieg aus und kündigten den Bau neuer Reaktoren an. In Spanien hätten eigentlich zwischen 2027 und 2035 alle Reaktoren stillgelegt werden sollen. Mitte Februar stimmte das nationale Parlament jedoch einem Vorschlag der oppositionellen Christdemokraten zur Verlängerung der Betriebszeiten zu.
Viele der EU-Mitgliedsstaaten bauen ihre Kernenergienutzung auch aus, bestärkt zum einen vom Beschluss der EU-Taxonomie-Verordnung, wonach die Atomkraft, aber auch Erdgas unter Auflagen umweltfreundliche Übergangstechnologien seien. Zum anderen machte der Ukraine-Krieg die Energieabhängigkeit von Russland deutlich.
Frankreich bleibt einer der stärksten Atomkraft-Befürworter und investiert massiv in neue Kernkraftwerke sowie in die Entwicklung kleiner modularer Reaktoren. Polens erstes kommerzielles AKW soll ab 2028 gebaut werden, im Jahr 2036 in Betrieb genommen werden und 2039 voll einsatzfähig sein. Ungarn erweitert mit russischer Unterstützung das bestehende Atomkraftwerk Paks.
Auch Tschechien, die Slowakei und Finnland investieren in den Ausbau ihrer Kapazitäten – insbesondere die letzteren zwei argumentieren den Ausbau mit Klimaaspekten und wollen auf diese Weise die Energiewende stemmen.
Italien hatte den Ausstieg aus der Atomenergie als Reaktion auf Tschernobyl ein Jahr später per Volksabstimmung entschieden. 2011 wurde der Wiedereinstieg in einem Referendum abgelehnt. Dennoch arbeitet Italiens Energieminister aktuell einen detaillierten Plan für die Rückkehr zur Kernenergie aus, dies kündigte er im Jänner an. Durch moderne Atomkraftwerke in Kombination mit erneuerbaren Energien könne Italien in die Lage versetzt werden, seine Klimaziele zu erreichen, sagte der Minister. Zugleich könne Italien damit „volle und umfassende Energiesicherheit“ erlangen. Umfragen zufolge ist die Bevölkerung aber weiterhin gegen den Bau von Atomreaktoren.
In Österreich steht der Einstieg in die Kernenergie nicht zur Debatte – im Gegenteil. Es setzt sich auf EU-Ebene konsequent gegen eine Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Energieform ein. Wien klagte deshalb auch vor dem Europäischen Gericht (EuG) gegen die Taxonomie-Verordnung. Wann das EuG sein Urteil fällen wird, ist nicht bekannt. Danach wäre noch ein Einspruch beim Gerichtshof (EuGH) möglich. (TT, APA)