Polizei veröffentlicht Details zu Amoklauf in Graz: Schüsse fielen während Maturaprüfungen
Bei einer Hausdurchsuchung wurden neben einer nicht funktionstüchtigen Rohrbombe auch Pläne für einen Anschlag gefunden. Die Schwerverletzten waren am Mittwoch in stabilem Zustand.
Graz – Nach dem Amoklauf eines 21-Jährigen in seiner ehemaligen Schule in Graz mit zehn Todesopfern werden weitere Details zur Tat bekannt. So hatten am Dienstag laut der Bildungsdirektion Steiermark Klausuren im Rahmen der mündlichen Matura in dem Gymnasium stattgefunden. Wie die Landespolizeidirektion am Mittwochnachmittag zudem berichtete, seien am Wohnsitz des 21-jährigen Täters neben einer nicht funktionstüchtigen Rohrbombe auch Pläne für einen Anschlag gefunden worden.
„Maturantinnen und Maturanten, deren Prüfungen unterbrochen oder ausgesetzt wurden, können selbst entscheiden, ob sie einen Ersatztermin noch vor dem Sommer wahrnehmen möchten oder ob sie erst im Herbst zu ihren Prüfungen antreten wollen“, erklärte die Bildungsdirektion.
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Verletzte alle stabil
Die Verletzten sind laut Polizei im Alter von 15 bis 26 Jahren. Bis auf zwei Personen mit rumänischer Staatsbürgerschaft sowie eine aus dem Iran handelt es sich bei allen von ihnen um Österreicherinnen und Österreicher. Alle von ihnen waren laut der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft (KAGes) am Mittwoch stabil. Die insgesamt elf Verletzten sind auf drei Grazer Spitäler aufgeteilt. Fünf von ihnen liegen noch auf der Intensivstation.
Eine dieser Personen, die am Dienstag noch in kritischem Zustand war, befindet sich nun wie die anderen in stabilem Zustand. „Folgeoperationen sind bei einem Opfer mit Gesichtsverletzungen und einem weiteren mit Knieverletzung notwendig“, hieß es in einer gemeinsamen Aussendung der Spitäler.
📽️ Video | Schule bleibt geschlossen, alle Verletzten stabil
Bei den jugendlichen Todesopfern handelt es sich um Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 bis 17 Jahren. Auch eine Lehrerin wurde getötet. Ihr Alter wurde aus Datenschutzgründen nicht von der Polizei bekanntgegeben. Bis auf einen Jugendlichen mit polnischer Staatsbürgerschaft handelt es sich bei den Toten laut der Landespolizeidirektion ausschließlich um Österreicherinnen und Österreicher.
Streifen sechs Minuten nach Schüssen vor Ort
Der bewaffnete Täter hatte am Dienstagvormittag – während der seit Dienstag laufenden Prüfungswoche zur mündlichen Matura – mit einer Schrotflinte und einer Pistole die Schule gestürmt. Nach ersten Notrufen gegen 10 Uhr „wegen Schüssen und Schreien“, wie es am Dienstag geheißen hatte, trafen nur sechs Minuten später die ersten Streifen mit schwerer Schutzausrüstung an dem Gymnasium ein, eine Minute später auch die Schnelle Interventionsgruppe (SIG), die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) des Landeskriminalamts und 54 schwer bewaffnete Polizisten der Sondereinheit Cobra.
Wie der Standortkommandant der Cobra Süd, Kurt Kornberger, der APA am frühen Nachmittag in einem Hintergrundgespräch erklärte, seien die Beamten der Spezialeinheit bereits um 10.08 bzw. 10.09 Uhr im Gebäude gewesen, hätten jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt keine Schüsse mehr wahrgenommen. Nach Kontakt mit einem Lehrer im Foyer eilten die Beamten in den dritten Stock, stießen dort in einem Klassenzimmer zuerst auf zahlreiche Verletzte und Tote und um 10.13 Uhr in einer Toilettenanlage auf den in Folge eines Suizids toten 21-Jährigen. Vier Minuten später konnte das Cobra-Team die Sicherheit für die Rettungskräfte herstellen, die nur wenig später in der Schule eintrafen. Um 10.28 sei letztlich das gesamte Gebäude freigegeben worden.
Anschlagspläne richteten sich ebenfalls gegen Schule
Noch am Dienstagnachmittag erfolgte eine Durchsuchung der Polizei am Wohnsitz des Täters in Graz-Umgebung. Dabei wurden ein Abschiedsvideo, das der Täter an seine Mutter geschickt hatte, zusammen mit einem analogen Abschiedsbrief entdeckt, sowie offenbar verworfene Pläne für einen Sprengstoffanschlag gefunden. Der Anschlag habe sich dabei ebenfalls auf das Gymnasium bezogen, wie es von der Landespolizeidirektion auf APA-Nachfrage hieß. Zum Sprengstoff selbst erteilte die Polizei keine Auskunft.
Die verwendete Schrotflinte sowie die Pistole hatte der 21-Jährige legal besessen. „Er hätte sie jedoch unter keinen Umständen führen dürfen“, sagte Polizeisprecher Sabri Yorgun zur APA. Die Tatwaffen werden nun kriminaltechnisch untersucht. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Profil“ war der 21-Jährige in einem Grazer Sportschützenverein aktiv und lernte dort den Umgang mit Waffen. Das bestätigte jedenfalls der Leiter des namentlich nicht näher genannten Vereins dem Magazin. Ein Sprecher der Landespolizeidirektion wollte das weder bestätigen noch dementieren, man könne lediglich auf Basis des derzeitigen Ermittlungsstandes Auskunft geben.
📽️ Video | Mutmaßlicher Täter ist 21-jähriger Österreicher
Eltern von Amokläufer lebten getrennt
Medienberichte darüber, dass der Mann in der Vergangenheit gemobbt worden sein soll, wollte die Landespolizeidirektion auch am Mittwoch weiter nicht bestätigen. Auch Details zur Schulkarriere des 21-Jährigen blieben auf Nachfrage vorerst unklar, ebenso wurden auch Berichte über den AMS-Status des 21-Jährigen nicht von der Polizei bestätigt. Als gesichert gilt laut Polizei nur, dass der 21-Jährige den Wohnsitz bei seiner alleinerziehenden Mutter in Graz-Umgebung hatte. Sein aus Armenien stammender Vater hatte nach der Trennung nicht mehr im Haushalt gelebt.
„Derzeit läuft eine Tatrekonstruktion in der Schule“, sagte Yorgun am Mittwochvormittag. Die Ermittler erhoffen sich davon jedenfalls weitere Erkenntnisse. Auch zur Anzahl der gefallenen Schüsse und den Orten der Schussabgabe innerhalb des Gebäudes verwies Yorgun auf die laufende Rekonstruktion. Mehrere Hundert Personen müssten in diesem Rahmen befragt werden. Auch die Auswertung von Spuren und Datenträgern könnte über die nächsten Tage und Wochen hinweg andauern.
Trittbrettfahrer nahmen Amoklauf zum Anlass für Drohungen
Wie der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, am Mittwoch in der Früh im Interview mit dem Ö1-Morgenjournal sagte, hätten in der Zwischenzeit mehrere Nachahmungstäter den Fall für weitere Drohungen zum Anlass genommen. „Mehrere Nachahmungstäter“, wie Ruf erklärte, seien festgestellt worden. Die Landespolizeidirektion Steiermark wollte auf APA-Anfrage nicht von „Nachahmungstätern“ sprechen, schließlich habe es keinen weiteren Amoklauf gegeben, „aber es gibt Verdächtige, die sich nun darauf stürzen, dass ein Amoklauf stattgefunden hat“, so Yorgun.
Konkret sei am Dienstag unter anderem eine (wie bereits in den vergangenen Wochen unvollendete) Bombendrohung gegen den Grazer Hauptbahnhof eingegangen sowie am Mittwoch auch ein Drohschreiben gegen eine weitere Grazer Schule. „Natürlich haben wir Vorsichtsmaßnahmen getroffen“, sagte Yorgun. Die entsprechenden Ermittlungen gegen solche Trittbrettfahrer würden selbstverständlich parallel geführt. Aus der Bildungsdirektion hieß es, dass es bis auf weiteres verstärkte Polizeipräsenz an allen Grazer Schulstandorten gebe. Die Bundespolizeidirektion verstärkte den Kontakt mit Bildungseinrichtungen und ordnete die verstärkte Bestreifung der Einrichtungen an.
Kriseninterventionsexperten weiter gebraucht
Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krisenintervention des Roten Kreuzes waren am Mittwoch weiter gefordert. „In den nächsten Tagen werden täglich rund zehn Kollegen an den Trauerorten sein und für die Begleitung der betroffenen Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sowie Schüler zur Verfügung stehen“, teilte Sprecher Stefan Loseries mit. Auch die gemeinsam mit Ö3 betriebene Kummernummer (116 123) sei aufgestockt worden. Zudem fänden noch immer laufend Nachgespräche statt, hieß es vom Roten Kreuz. Allein am Dienstag waren rund 200 Eltern und Angehörige sowie 300 Schülerinnen und Schüler betreut worden.
📽️ Video | Krisenintervention: Wie Betroffenen jetzt geholfen wird
Der schulpsychologische Dienst der Bildungsdirektion Steiermark betreut gemeinsam mit dem KIT die rund 300 unverletzten Schüler und Schülerinnen, deren Eltern sowie das pädagogische Personal des BORG Dreierschützengasse. „Wir werden von Schulpsychologen aus ganz Österreich unterstützt, wodurch wir auf ein Team von 30 geschulten Personen zurückgreifen können“, sagte dessen Leiter, Josef Zollneritsch im Gespräch mit der APA.
Man werde jedenfalls bis Freitag vor Ort in der nahe gelegenen Helmut-List-Halle sein, ob der Schulbetrieb am kommenden Montag wieder starten kann, sei „noch in Diskussion“. Neben der Betreuung vor Ort können und werden die Schulpsychologen auch von weiteren Grazer Schulen angefordert: „Es gibt große Betroffenheit. Und es gibt vor allem auch vonseiten der Eltern große Sorge, was Wiederholungstaten anbelangt. Hier ist es wichtig, dass die Betroffenen über ihre Gefühle und Ängste sprechen können, um nachhaltige Traumatisierungen zu verhindern“, sagte Zollneritsch. In den Schulen werden Einzel- und Gruppengespräche angeboten.
📽️ Video | Zusammenhalt und Schock in Graz
Krisen-Sprechstunden auf Ambulanz
Zur Krisenversorgung von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern haben die steiermärkischen Krankenanstalten KAGes tägliche Sondersprechstunden in der Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) am LKH Graz II, Standort Süd eingerichtet. Bei Ängsten, Schlafstörungen, Reizbarkeit, schulmeidendem Verhalten, Depressionen, Trauer-Reaktionen, Gefühlen des Betäubtseins, innerer Leere oder auch andere Veränderungen können sich betroffene, besorgte, symptomatische Jugendliche und deren Eltern melden, um zeitnah niederschwellig Hilfe und Entlastung zu finden, teilte die KAGes mit. Jugendlichen, Eltern und Bezugspersonen wurde geraten, „lieber zu früh als zu spät“ einen Termin zu vereinbaren. (TT.com, APA)
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