Komponist Kurt Schwertsik: "Kein Mensch weiß, wer ich bin"
Am 25. Juni feiert Kurt Schwertsik seinen 90. Geburtstag. Der Komponist gilt seit Jahrzehnten als der große Schelm unter den heimischen Tonsetzern, der dem Leben stets mit einem ironischen Zugang begegnet. Anlässlich des epochalen Geburtstages sprach Kurt Schwertsik mit der APA über die Wiedergeburt, die Endlichkeit und die Unendlichkeit sowie über die Frage, warum er früher für Friedensreich Hundertwasser gehalten wurde.
APA: Sie sind nach dem Tod von Friedrich Cerha zum Doyen der heimischen Komponisten aufgerückt. Ist das ein Begriff, mit dem Sie selbst etwas verbinden?
Kurt Schwertsik: Ich habe nicht das Gefühl, dass das irgendjemand interessieren würde. (lacht) Der Doyen bleibt der Cerha.
APA: Wie geht es Ihnen allgemein mit dem Aspekt der Popularität? War es je für Sie relevant, beliebt zu sein?
Schwertsik: Darüber denke ich immer wieder nach. Wie alle Komponisten habe ich das Gefühl, dass ich zu wenig aufgeführt werde. (lacht) Auf der anderen Seite habe ich mich immer gerne besonders angezogen, und lange Zeit war es so, dass viele gesagt haben "Da geht der Hundertwasser", wenn ich in der Stadt unterwegs war. Mir hat das gefallen, weil ich mir dachte: Da lernt man die unangenehmen Seiten des Bekanntseins mit den unangenehmen Seiten des Nicht-Bekanntseins kennen. Aber, um Oscar Wilde zu zitieren, "Das Einzige, das schlimmer ist als Berühmtsein ist nicht Berühmtsein." (lacht) Aber letztlich weiß kein Mensch, wer ich bin. Und die paar, die es wissen, denen ist das völlig egal.
APA: Ihre damalige Hinwendung zur Tonalität ist der entscheidende Punkt in Ihrer Karriere. Nachdem Sie lange als Außenseiter behandelt wurden: Haben Sie heute das Gefühl, den Konflikt gewonnen zu haben?
Schwertsik: Es war mir nie wichtig, in einem Gegensatz zu sein. Karlheinz Stockhausen war immer sehr im Wettstreit unterwegs - das war mir immer fremd. Die Frage, ob ich originell bin, hat mich nie beschäftigt. Ich wollte immer einfach das Komponieren lernen. Ich habe in meiner Zeit in Köln lange mit Stockhausen geredet. Ich habe gemerkt, wie unfundiert gewisse Aussagen waren. Ich war ja zu der Zeit schon einige Jahre Orchestermusiker. Ich habe dann bei einem Auslandsaufenthalt in Rom viele Gedanken niedergeschrieben und festgestellt: Die elektronische Musik liegt mir nicht. Dafür muss man zu viel vorbereiten. Und ich hatte auch den Eindruck, dafür bin ich nicht begabt.
APA: Wie würden Sie allgemein Ihr Verhältnis zum damaligen Neue-Musik-Übervater Stockhausen beschreiben?
Schwertsik: Wir Orchestermusiker haben einen sehr harten Schmäh. Und das Wienerische hat der Stockhausen überhaupt nicht verstanden. Es ist ihm nur merkwürdig vorgekommen, was ich gesagt habe. Es hat mindestens ein halbes Jahr gedauert, bis er über meine Sachen gelacht hat. Ab dann konnte ich aber sagen, was ich wollte. Und ich habe viel gelernt bei ihm. Ich bin einmal mit Stockhausen durch Rom gegangen und habe ihm alles erzählt, was ich mir momentan zur modernen Musik denke. Er hat mir lange Zeit zugehört und dann irgendwann gesagt: "Lieber Schwertsik, es fällt einem schwer, Ihnen mit Liebe zuzuhören." Das habe ich mir eingeprägt! Ich habe aufgehört, mich zu beklagen. Stockhausen hat eine neue Welt für sich erfunden. Diesen Anspruch habe ich nie gehabt.
APA: Die Hinwendung zur Tonalität war also eher ein Prozess als ein Erweckungserlebnis?
Schwertsik: Ich habe damals in London nach langer Zeit Mozart gehört und mir gedacht: "Warum verzichtet die moderne Musik auf diese Klänge?" Manchmal kommt es so über einen. Ich wollte das dann eingemeinden ins Serielle und bin irgendwann draufgekommen: Ich will einfach ganz normale Musik schreiben. Ich musste mir die tonale Schreibweise wieder erarbeiten auf meine persönliche Weise.
APA: Wie geht es Ihnen, wenn Sie alten Stücken von Ihnen wiederbegegnen?
Schwertsik: Das meiste kann ich so hinnehmen. Es gibt einige Arbeiten, da weiß ich, dass sie Mängel haben. Ich kann aber nicht mehr eingreifen. Das Erste, was man lernt, ist, was die anderen falsch machen. Dass man erkennt, was beim eigenen falsch ist, ist der nächste schwierige Schritt. Und das Schwierigste ist zu sehen, wie man es wieder in Ordnung bringt. Oder zu erkennen, dass man vielleicht auch einfach an die eigene Grenze gestoßen ist.
APA: Dabei pflegen Sie heute ja einen vor-romantischen Zugang zur Musik, in der die Leichtigkeit einen Platz hat...
Schwertsik: Der leichte Zugang ist eigentlich ein Merkmal großer Kunst. Auch Bach hatte diesen Ansatz. Ich glaube, das Wichtigste ist die Leichtigkeit - in der Auffassung der Realität. Die Realität, von der wir reden, ist für jeden Menschen eine andere. Man verständigt sich halt auf gewisse Eckpunkte. Die Gefahr ist, die Gegebenheiten als schwer zu betrachten - auch wenn sie schwer sind. Die wahnsinnige Schwere der Sache war mir immer unsympathisch. Die entsetzliche Situation, in der wir leben, muss man halt übertauchen können.
APA: Zugleich muss ich konstatieren, dass Sie beeindruckend fit wirken...
Schwertsik: Mir geht es oberflächlich gut.
APA: Beschäftigt Sie die Endlichkeit?
Schwertsik: Immer. Und die Unendlichkeit.
APA: Planen Sie für Ihr eigenes Begräbnis dereinst? Schreiben Sie Ihr eigenes Requiem?
Schwertsik: Meine eigene Beerdigung? Das interessiert mich ja überhaupt nicht! Das geht mich nicht mehr viel an.
APA: Sie hätten ja die Möglichkeit, den Hinterbliebenen noch etwas zu sagen oder nochmal einen mitzugeben...
Schwertsik: Was man zu sagen hat, soll man zu Lebzeiten sagen. Sollte ich als Geist zuschauen, denke ich mir allenfalls: Die hätten ja auch etwas von mir spielen können! (lacht) Aber ich denke mir, das ist wie auswandern. Wenn man nach Kanada übersiedelt, dann versucht man dort die Sachen aufzubauen - und was hier geschieht, das interessiert einen nicht mehr so. Mein Wunsch wäre, dass es abläuft wie bei der Beerdigung eines Kollegen: Es wurden Anekdoten erzählt über ihn, und es wurde die ganze Zeit gelacht. Wunderbar!
APA: Glauben Sie an Wiedergeburt?
Schwertsik: Es kann sein. Ich habe mir immer vorgestellt, dass die Übel und die Kompliziertheit dieses Mechanismus (zeigt auf sein Gehirn, Anm.) in einem Leben nicht anzuhäufen geht. Bei uns wird dank Freud immer Mutter und Vater beschuldigt. Aber das greift nicht wirklich. Und wie hat ein Mozart alles in dieser Geschwindigkeit schreiben können? Vielleicht hatte er das vorher als irgendein unbedeutender Komponist gelernt, und dann ist es aufgegangen. Das sind halt so meine Ideen.
APA: Wie werden Sie Ihren runden Geburtstag denn feiern?
Schwertsik: Ich freue mich schon seit einem Jahr, dass ich 90 werde. Absurder geht es ja nicht! Als ich 80 wurde, hat meine Frau ein irres Fest veranstaltet. Ich habe versucht, ihr das auszureden, aber sie hat wieder eines organisiert. Sie werkt da im Geheimen, aber ich habe gebeten, dass es nicht zu arg wird.
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)