Wenn das Internet lügt

Social-Media-Expertin Brodnig: Warum Fake News funktionieren und Journalismus unersetzbar ist

Ende Mai referierte Ingrid Brodnig auf der re:publica in Berlin. Es ist ein Festival, das sich mit der Digitalisierung der Gesellschaft auseinandersetzt. Brodnig sprach dort unter dem Titel „Generation Desinformation?“ über Falschmeldungen, die gezielt für spezifische Altersgruppen auf Plattformen gestreut werden.
© Gregor Fischer/re:publica

Soziale Medien und KI können Journalismus nicht ersetzen. Wohl aber gefährden sie ihn und damit unsere Gesellschaft. Wie mit Fake News umgehen?

Keine Frage. Soziale Medien sind eine Konkurrenz für klassische Medien wie Zeitungen, Radio oder Fernsehen. Auswüchse der anonymen Online-Kommunikation formen unsere Gesellschaft um, mitunter gefährden sie die Demokratie. Denn Plattformen wie Facebook, TikTok, Youtube, Google, WhatsApp, Instagram und X üben enormen finanziellen Druck auf Medienhäuser in Österreich aus. Immerhin kassierten sie im vergangenen Jahr 2,6 Milliarden Euro an Werbeeinnahmen. Das setzen sämtliche österreichische Medien, inklusive ORF, nicht einmal gemeinsam um. Wobei diese im Gegensatz zu den aus dem Ausland agierenden Internet­riesen für gesicherte Informationen sorgen, Arbeitsplätze im Land schaffen und zur Wertschöpfung beitragen. Welche Folgen hat das? Medien sind auf Werbeeinnahmen angewiesen, daran gibt es keinen Zweifel. Der Druck steigt.

Gleichzeitig greifen Google und Künstliche Intelligenz auf jene Informationen zurück, die heimische Medien mühsam und kostenaufwändig recherchiert haben. Und bezahlen dafür, richtig: nichts. Der Journalismus ist in Gefahr und damit auch Meinungsvielfalt und Demokratie. Woher kommen Informationen, wenn es keine sicheren Quellen mehr gibt? In den sozialen Medien werden Desinformation und Fake News längst systematisch gestreut. Oft werden dabei JournalistInnen verteufelt.

Im Februar 2025 wurden in Österreich rund 13 Mio. mit dem Internet verbundene Mobiltelefone (bei 9,2 Mio. EinwohnerInnen) gezählt. 46 Prozent der ÖsterreicherInnen nutzen soziale Medien täglich oder fast täglich
© Bernd Weißbrod

Warum glauben Menschen teils wirre Behauptungen, die sie irgendwo im Netz lesen? Falschmeldungen funktionieren vor allem in emotionalen Ausnahmesituationen, erklärt Social-Media-Expertin Ingrid Brodnig. Davon hatten wir in den vergangenen Jahren genug: Geflüchtete, Pandemie, Kriege, enge Wahlen – alle entfachten hitzige und vor allem emotional geführte Debatten. Brodnig: „Wenn die Stimmung ohnehin angespannt ist, kann eine Falschmeldung umso besser funktionieren, weil Leute dann nicht so genau hinschauen. Weil sie bestätigt werden wollen. Etwa darin, dass ein Kandidat ganz etwas Übles getan hätte, oder dass ihre eigenen Wertvorstellungen genau die richtigen für die Gesellschaft wären.“

Vor-Ort-Recherchen sind gefragt

Regionalzeitungen kommt im Kampf gegen Desinformation und Fake News eine besondere Rolle zu, meint die Publizistin. Besonders, wenn es darum geht, dem Journalismus wieder mehr Vertrauen zu schenken. Falsche Gerüchte greifen in kleinstrukturierten Orten rasend schnell um sich. Kettenbriefe verbreiten sich in diversen WhatsApp-Gruppen wie Lauffeuer.

Zur Person

Ingrid Brodnig ist eine österreichische Journalistin und Publizistin. Sie wurde am 9. November 1984 in Graz geboren und gilt als eine der führenden ExpertInnen des Landes zum Thema soziale Medien. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung und Debattenkultur im Netz. Sie hat bisher sechs Bücher veröffentlicht, die sich u. a. mit Hassrede, Fake News und Journalismus befassen.

Der Klassiker: Ein weißer Van parkt vor der Schule und versucht, Kinder anzulocken. Vor-Ort-Recherchen können hier schnell Wind aus den Segeln nehmen. LokaljournalistInnen kennen die Menschen persönlich, bei denen sie nachfragen, sind ortskundig und können rasch erkennen, ob an einer Geschichte etwas dran ist oder nicht. Brodnig: „Da kann es sein, dass ein Redakteur oder eine Redakteurin auch mal zu einem selbst kommt und Fragen stellt. Das heißt: Lokalzeitungen machen Journalismus wenig abstrakt. Und das ist etwas, das für das Vertrauen sehr wichtig sein kann. Menschen wissen, da gibt es jemanden, wenn ich in einer Region etwas melden oder aufzeigen möchte.“

Weniger Pathos, mehr Ethos und Logos

Die Empörung ist groß. Und wird immer größer. Angefeuert von hochemotionalen Debatten, vielfach in den sozialen Medien. US-Neurowissenschafterin Molly Crocket konnte in einer Studie nachweisen, dass Menschen eher moralische Empörung (Wut und Ekel) empfanden, wenn sie sich über ein Thema im Internet informiert hatten. Hatten sie sich in klassischen Medien wie Zeitungen, Fernsehen oder im Radio, aber auch offline in Gesprächen mit anderen informiert, war dies seltener der Fall.

Brodnig setzt das in Relation: „Das heißt, Internetnutzung scheint mit moralischer Empörung sehr oft Hand in Hand zu gehen. Da ist es wichtig, dass es einen klassischen Journalismus gibt, wo weit weniger Empörung herrscht, der Dinge auch einordnet.“

Online-Debatten geben oft einen verzerrten Ausschnitt der Welt wider, bauschen die ärgerlichsten oder dubiosesten Fälle auf. „Darum ist es gerade in einer Zeit, wo sehr viele hitzige Debatten über Social Media ausgetragen werden, wichtig, dass es auch einen Journalismus gibt, der schon auch manchmal auf Tabubrüche oder Skandale hinweist, aber eben auch eine größere Breite in der Berichterstattung liefert.“

Was kann man überhaupt noch glauben?

Ähnlich verhält es sich bei Fake News, die Redaktionen erreichen, und die dank Künstlicher Intelligenz immer schwerer als getürkt erkennbar sind. Das bringt eine Ambivalenz mit sich, wie Brodnig aufzeigt: „Das Wirklichkeitsgefühl wird erodiert: Man ist gewohnt, dass Fotos oder Videos etwas dokumentieren. Aber es kann eben auch die KI erzeugt haben.

Gleichzeitig beginnen Menschen an realen Bildern zu zweifeln, ob sie echt sind. So passiert beispielsweise vergangenes Jahr bei einer Großdemo gegen Rechtsextremismus in Hamburg. Eine Internetnutzerin zweifelte an der Größe und dem Erfolg der Veranstaltung und behauptete, ein Foto der Menschenmassen sei mit KI generiert worden. Das Foto war echt. Presseagenturen und Medienhäuser wurden aktiv, um das Gegenteil zu beweisen. Dieselben Personen fanden sich aus verschiedenen Blickwinkeln auf Fotos anderer FotografInnen und TeilnehmerInnen wieder. Auch die Polizei bestätigte die sehr hohen Zahlen an Menschen, ebenso wie TeilnehmerInnen und ZuschauerInnen.

Das sei auch ein Vorteil der Regionalzeitung, meint Brodnig. Man kennt die LokalredakteurInnen, die beauftragten FotografInnen oder renommierte Agenturen, mit denen man zusammenarbeitet.

Die digitale Welt gefährdet Journalismus, gleichzeitig gewinnt er dadurch wieder an Bedeutung. Deswegen wird es auch in Zukunft noch JournalistInnen geben, ist Brodnig überzeugt. „Die Frage ist nur, wie viele?“

Gezielt gegen Falschmeldungen vorgehen

Den Kampf gegen Fake News und Desinformation führen Redaktionen nicht allein. Jede/r von uns ist ihnen schon einmal begegnet. Wie reagieren? Brodnig rät: „Zuerst überlegen Sie immer, wie groß ist das Problem und wie wichtig ist Ihnen das Thema.“ Abzuwägen ist die Reichweite einer Falschmeldung. „Ist die zum Beispiel gerade in einer Gemeinde-WhatsApp-Gruppe geteilt worden, wo wahrscheinlich 800 Leute drin sind? Dann ist es gut zu sagen: Das ist mir neulich untergekommen, ich habe aber gemerkt, das stimmt so nicht. Hier findet ihr die Info.“ Bekommen die Meldung ohnehin nur wenige Menschen zu sehen, lohnt sich der Ärger kaum.

Wenn jemand sehr aggressiv postet, werde ich diese Person meist nicht umstimmen können.
Ingrid Brodnig

In Diskussionen dominiert heutzutage häufig Aggression. Ob dahinter ein Chatbot oder ein Mensch steht, ist die eine Frage. Relevant ist für die Social-Media-Expertin vor allem aber das eigene Ziel. „Wenn jemand sehr aggressiv postet, werde ich diese Person meist nicht umstimmen können“, betont Brodnig. Man könne sich aber eine andere Strategie aneignen. „Das kann sein, dass ich mich hinter jene Leute stelle, die in Postings fertiggemacht werden. Dass ich sage, Person XYZ hat das nicht verdient.“ Das gelte im Großen, wie in Diskussionsforen, aber auch im Kleinen, etwa bei jugendlichen Opfern von Cybermobbing.

„Ich kann nicht immer verhindern, dass aggressive oder falsche Dinge gepostet werden. Aber ich kann vielleicht manchmal meine Solidarität und meine Unterstützung mit den Opfern bekunden. Ich habe mit einigen Menschen gesprochen, die so etwas im Netz erlebt haben. Oft habe ich gehört, dass es ihnen gut getan hat, wenn andere sich hinter sie gestellt haben.“

Eine Frage des Zeitmanagements

Wo fängt man an, wo hört man auf? Das Internet ist unendlich, viele Diskurse tun es ihm gleich. Die große Herausforderung sei es, seine eigene Zeit strategisch einzusetzen. „Sehr häufig versuchen wir mit den Leuten zu diskutieren, die am weitesten weg von uns stehen. Das kann man machen, aber man sollte dann immer eine sehr geringe Erwartungshaltung haben. Ich würde vor allem dort meine Zeit investieren, wo ich ein Publikum finde, das noch zuhört.“ Wenn es darum geht, Leuten den Rücken zu stärken, kann ein solcher Post eine große Wirkung haben. Eine, die zu mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft führt. Soziale Medien nur zu verteufeln wäre also einseitig, und das sollte Journalismus nicht sein.

Mehr dazu:

undefined

Verschärfung des Waffengesetzes

Nach Amoklauf in Graz: Das ist das Maßnahmenpaket der Regierung

undefined

Mann wehrt sich in Video

Desinformation über Amoklauf in Graz: Hetzjagd und Morddrohungen gegen jungen Steirer