Warum die einen Atomwaffen haben und die anderen nicht dürfen
Spielregeln des Atomzeitalters: Neun Staaten besitzen Atomwaffen, die meisten anderen dürfen keine haben. Wie es zur nuklearen Zweiklassen-Gesellschaft gekommen ist – und welche Konsequenzen das hat.
Wien, Teheran – Der Iran hat die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA ausgesetzt. Präsident Massoud Pezeshkian habe ein entsprechendes Gesetz in Kraft gesetzt, meldeten iranische Staatsmedien am Mittwoch. Damit sind vorerst keine unabhängigen Inspektionen mehr möglich. Das dürfte den Streit um das Atomprogramm des Iran erneut verschärfen.
Wer darf eine Atombombe besitzen?
Für die allermeisten Staaten regelt das der Atomwaffensperrvertrag (Non-Proliferation Treaty, NPT) aus dem Jahr 1968. Derzeit haben 191 Staaten den Vertrag unterzeichnet, 93 haben ihn ratifiziert. Dem NPT zufolge gibt es fünf offizielle Atommächte: USA, Russland (in der Nachfolge der Sowjetunion), China, Großbritannien und Frankreich. Das sind jene Staaten, die vor 1967 bereits Atomwaffen besaßen. Alle anderen Mitgliedstaaten des Vertrags dürfen keine Atomwaffen herstellen oder besitzen.
Warum diese Zweiklassen-Gesellschaft?
Eigentlich sollten laut Artikel 6 des NPT auch die offiziellen Atommächte abrüsten. „Der Atomwaffensperrvertrag war ursprünglich angelegt als Übergang in eine politische Ordnung, in der kein Staat mehr Nuklearwaffen haben soll“, sagt der Innsbrucker Politologe und Rüstungskontroll-Experte Martin Senn. Die Atommächte würden den Artikel 6 aber „nur sehr halbherzig oder gar nicht umsetzen, und in der Folge hat sich die Zweiklassengesellschaft über Jahrzehnte verstetigt“.
Gibt es nicht mehr Atommächte?
Doch. Auch Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea verfügen über Atomwaffen. Aber sie sind keine Mitglieder des Atomwaffensperrvertrags und deshalb nicht an dessen Bestimmung gebunden. Sie gelten als faktische Atommächte. Daneben gibt es Staaten, die früher einmal ein militärisches Atomprogramm hatten, das sie aber nicht weiter betreiben, darunter Südafrika, Ägypten, Brasilien und der Irak.
Was ist mit der Rüstungskontrolle passiert?
Verträge zur Kontrolle und Begrenzung der Atom-Arsenale bestanden nur zwischen den USA und der Sowjetunion/Russland, den mit Abstand größten Atommächten. Der letzte von ihnen – New START – läuft 2026 aus. Derzeit sieht es nicht nach einer Verlängerung aus, geschweige denn nach neuen Abkommen, die womöglich China oder andere einschließen würden.
Dürfen alle die Kernenergie friedlich nützen?
Ja, das hält der NPT ausdrücklich fest. Allerdings erzeugt erst ein ziviles Atomprogramm das Know-how und das Material für die Herstellung von Atomwaffen. Um sicherzustellen, dass die Atomprogramme zivil bleiben, muss deshalb jeder Mitgliedstaat Inspektionen durch die IAEA zulassen. Sie hat ihren Sitz in Wien.
Was ist das Problem mit den Inspektionen?
„Die IAEA kann nur jene Teile eines Atomprogramms überprüfen, die ein Staat von sich aus deklariert“, erklärt Senn. Deshalb hat man sich später auf ein Zusatzprotokoll geeinigt, das es der IAEA erlaubt, „quasi detektivisch zu arbeiten“ und beispielsweise Bodenproben zu entnehmen.
Der Iran hat dieses Zusatzprotokoll aber bisher nicht ratifiziert – und nach dem Krieg droht nun eher das Gegenteil: Laut Senn gibt es derzeit die große Angst, dass der Iran aus dem Sperrvertrag aussteigt. Dann gäbe es gar keine internationalen Inspektionen mehr.
Was passiert, wenn ein Land sich nicht an den Sperrvertrag hält?
Zunächst muss der Gouverneursrat der IAEA feststellen, dass ein Verstoß gegen den Vertrag vorliegt. „Das ist bereits ein sehr politischer Akt“, sagt Senn. Die IAEA meldet dann den Verstoß an den UNO-Sicherheitsrat. Dieser kann Sanktionen verhängen – wie im Fall des Iran – oder sogar militärische Maßnahmen genehmigen. Allerdings verfügen die fünf offiziellen Atommächte im UNO-Sicherheitsrat über ein Vetorecht, mit dem sie ihre Verbündeten schützen.
Bastelt der Iran an einer Atombombe?
Die iranische Führung hat das stets dementiert. Aber sie ließ Uran viel höher anreichern, als für zivile Zwecke notwendig wäre. Ob das zu einer Bombe führen sollte oder als Faustpfand in Verhandlungen gedacht war, ist umstritten. Ebenso umstritten ist, ob das Programm durch die Luftangriffe Israels und der USA vollständig zerstört wurde.
Wie verändern die Luftangriffe das Kalkül in Teheran?
„Wenn das Regime das überlebt, und wenn Komponenten des Nuklearprogramms erhalten geblieben sind, dann werden die Iraner sich ein Beispiel an Nordkorea nehmen und das Programm beschleunigen“, sagt Senn. Grund: „Die Iraner haben gesehen, dass die Strategie, so nahe wie möglich an die Nuklearwaffenkapazität heranzugehen, eine Verwundbarkeit schafft.“
Je schneller ein Land die Schwelle zur Atommacht überschreitet, desto eher überwindet es diese Verwundbarkeit und profitiert von der Abschreckung. Dazu kommt, dass der Iran seine konventionelle Abschreckung – etwa durch Milizen in der Region – durch Israels Angriffe weitgehend eingebüßt hat.
Was passiert, wenn der Iran oder ein anderes Land Atomwaffen baut?
Sollte trotz des internationalen Drucks doch eine neue Atommacht auf der Landkarte auftauchen, kann es zu einem Domino-Effekt kommen – weil Rivalen gleichziehen wollen. Senn spricht von Clustern. Im Fall des Iran betrifft das etwa Saudi-Arabien und die Türkei, vielleicht auch die Emirate.
Zum Cluster um Nordkorea zählen Südkorea und Japan, deren nukleare Abschreckung bisher die USA bereitstellen, während Nordkorea von Russland und China unterstützt wird. Dazu kommen Cluster von bereits existierenden Atommächten, die sich durch die Aufrüstung hochschaukeln. Auf globaler Ebene wären das die USA, Russland und China, und regional China, Indien und Pakistan.
Was ist mit Europa?
Bisher stehen die NATO-Partner unter dem nuklearen Schutz der USA. Zur Abschreckung haben die Amerikaner in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Italien und der Türkei Atomwaffen stationiert. Doch Präsident Donald Trump hat Zweifel aufkommen lassen, ob sich die Europäer auf diesen Schutz verlassen können. Deshalb hat eine Debatte über Alternativen eingesetzt, bisher aber mit mehr Fragezeichen als Antworten.
Eine Variante wäre, dass Frankreich und eventuell Großbritannien ihre nuklearen Fähigkeiten in den Dienst Europas stellen. Doch das wäre eine politische und materielle Herausforderung.
Ist der Traum von einer atomwaffenfreien Welt ausgeträumt?
Nein. Österreich gehörte in der UNO zu den Initiatoren des Atomwaffenverbotsvertrags, der 2021 in Kraft getreten ist. Er soll dazu beitragen, dass Nuklearwaffen international geächtet und verschrottet werden. Anders formuliert: Die schon Ende der sechziger Jahre im NPT vereinbarte Abrüstung soll endlich umgesetzt werden. Die Mehrheit in der UNO unterstützt die Initiative – vor allem Staaten in Lateinamerika, Afrika und Südostasien.
Aber die Atommächte und ihre Verbündeten sowie Staaten in den oben genannten Clustern fehlen. Und derzeit weist die Entwicklung eher in die Gegenrichtung: Die Atommächte rüsten weiter auf.
Schatten in die Wand gebrannt
Vor fast genau 80 Jahren – am 6. August 1945 – zündeten die USA eine Atombombe über der japanischen Stadt Hiroshima. Drei Tage später folgte eine weitere Atombombe auf Nagasaki. Es waren die bisher einzigen Zündungen von Atombomben in einem Krieg.
Hiroshima und Nagasaki wurden seitdem zu Symbolen für den Schrecken von Atomwaffen. 100.000 Menschen starben damals sofort, weitere 130.000 Menschen allein bis Ende des Jahres. Der Blitz der Explosion brannte die Schatten von Menschen in Hauswände ein. Dabei waren die damals verwendeten Bomben – „Little Boy“ und „Fat Man“ – klein im Vergleich zu dem, was heute in den Atomarsenalen steht.
Der Zweck des nuklearen Angriffs ist bis heute umstritten. Befürworter meinen, die Bomben hätten den Krieg vorzeitig beendet. Kritiker sehen andere mögliche Motive, darunter den Test der neuartigen Waffen. (floo)