„Wir behandeln Menschen und keine Diagnosen!“
Im Rahmen des „Expertise.Dialog.Gesundheit“ sprachen acht Gesundheits-Expert:innen in Innsbruck über Herausforderungen in der Versorgung onkologischer Patient:innen in Tirol – und darüber hinaus.
Eine Krebsdiagnose ist immer ein Einschnitt in das Leben der Betroffenen. Wie patient:innennahe die Versorgung dann gestaltet wird, hat einen wesentlichen Einfluss auf den gesamten weiteren Verlauf. Das beginnt schon ganz am Anfang mit der Diagnosestellung.
Österreichweit gibt es hier große Unterschiede, Tirol ist jedoch sehr gut aufgestellt, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Ewald Wöll (Direktor und Ärztlicher Leiter der Abteilung für Innere Medizin am KH Zams sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie): „Wir haben jüngst bei einer Pressekonferenz in Wien erläutert, welche enormen regionalen Unterschiede etwa bei der Wartezeit auf einen MRT-Termin abseits von Akutfällen bestehen. In den Einrichtungen gibt es an sich genug Geräte, aber anders als in Tirol fehlt in manchen Bundesländern das Personal, sodass es zu Wartefristen von drei bis zwölf Wochen kommen kann.“ Zugleich sieht er massiven Bedarf im Pflegebereich – und identifiziert e-health als Lösungsweg für einen besseren Kommunikationsfluss zwischen Ärzt:innen und Patient:innen.
MMag. Dr. Andreas Huber, Vorstand des Landesinstituts für integrierte Versorgung (LIV) Tirol, stimmt dem zu: „Wir müssen die Patient:innen dorthin bekommen, wo sie je nach Krankheitsgeschichte die beste Versorgung haben, und das kann nur sektorenübergreifend gelingen.“ Zugleich müssen alle Beteiligten den gleichen Informationsstand haben, und darum brauchen wir die Telemedizin.“ Dabei geht es etwa um Chatbots, also KI-gestützte Auskunftssysteme für Anfragen von Patient:innen.
DI Sabrina Neururer, PhD, ist ebenfalls am LIV tätig und erläutert: „Ein derartiges digitales System muss früher oder später Anfragen an Menschen als Expert:innen weitergeben, wenn es nicht mehr weiterweiß. Die entsprechende Umsetzung solcher Systeme ist jedoch aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen häufig komplex und somit teuer.“
„Wir brauchen Strukturen, die von den handelnden Personen möglichst unabhängig sind.“
Prof. Dr. Christian Haring
Und gelernte Österreicher:innen wissen: „Dafür fehlt das Geld“, so Univ.-Prof. Dr. Christian Haring, MAS, Medizinischer Geschäftsführer der tirol kliniken. Einig ist sich die Runde aber dennoch, dass Künstliche Intelligenz einen wichtigen Beitrag zur Versorgung leisten kann und zunehmend auch leistet. Ein greifbares Beispiel sind Vorhersagemodelle für den Bettenbedarf in ähnlichen Situationen wie die Covid-Pandemie. Dr. Neururer dazu: „Solche Modellierungen sind auch für viele andere Krankheiten, aber auch für die Prognose der Auswirkung bestimmter gesundheitspolitischer Maßnahmen möglich – auch im Blick auf die onkologische Versorgung." Wir können damit die Planung der einzelnen Spitäler, aber auch der übergeordneten Gesundheitspolitik bis hin zum Personalbedarf unterstützen.“
Unabhängig von den technologischen Entwicklungen bleibt für die onkologische Versorgung entscheidend, wie die Zusammenarbeit im Gesundheitssystem läuft. Dr. Stefan Oberleit ist Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin und schildert aus dem Alltag in seiner Ordination: „Wir sind als Allgemeinmediziner nur begrenzt für das komplexe Thema Krebs ausgebildet – und oft auch mit der für die Patient:innen belastenden Situation überfordert. Es ist schwer, neben allem anderen auch hier am letzten Stand zu bleiben, aber es ist wichtig, damit wir neben all den dubiosen Ratschlägen im Internet fundierte und abgesicherte Beratung bieten können und diese auch in verständlichen Worten an die Patient:innen bringen.“
„Der Tumor arbeitet vernetzt, also müssen wir das auch tun!“
Prof. Dr. Dominik Wolf
Auch die Zusammenarbeit zwischen dem niedergelassenen Bereich und den Spitälern braucht diese Klarheit, denn: „Der Tumor arbeitet im Netzwerk, also müssen auch wir uns optimal vernetzen“, fordert Univ.-Prof. Dr. Dominik Wolf, Leiter der Universitätsklinik für Innere Medizin V an der Medizinischen Universität Innsbruck. Tumorboards, wo Expert:innen verschiedener Fachrichtungen aus verschiedenen Spitälern gemeinsam Therapieentscheidungen vorbereiten, sind ein Beispiel dafür. Eine andere Möglichkeit, die Dr. Oberleit anregt, wäre eine eigene Maildresse im Spital für krebsspezifische Anfragen von niedergelassenen Ärzt:innen, die dann etwa im Nachtdienst beantwortet werden könnten.
Dr.in Theresa Geley als Gesundheitsdirektorin von Tirol sieht die Rahmenbedingungen für diese Vernetzung bereits positiv: „Die abgestufte Versorgung – also je nach Notwendigkeit im wohnortnahen Krankenhaus oder dem Referenzzentrum an der Universitätsklinik – ist im Regionalen Strukturplan Gesundheit verankert. Für die konkrete Ausgestaltung ist dann die menschliche Komponente entscheidend, denn Vieles hängt letztlich von der guten interdisziplinären Kommunikation und dem sektorenübergreifenden Austausch ab.“ Und Prof. Haring unterstreicht: „Menschen behandeln Menschen und nicht Diagnosen.“ Freilich bedeutet diese unverzichtbare Rolle der leitenden Mediziner:innen auch, dass in der Praxis manches verloren geht, wenn solche Persönlichkeiten ausscheiden. Der generelle Personalmangel im Gesundheitsbereich verschärft dieses Problem noch. Um dem vorzubeugen, braucht es klare und personenunabhängige Strukturen in der Versorgung, worauf Prof. Wolf und Prof. Haring unisono hinweisen: „Wir müssen dringend dafür sorgen, dass Netzwerke zwischen Mediziner:innen an den verschiedenen Stellen auch unabhängig von konkreten Personen funktionieren – im Interesse der Patient:innen!“
Damit diese integrierte Versorgung funktionieren und sich weiterentwickeln kann, braucht es für Menschen mit Krebs klare Patientenpfade, an denen sich der Betroffene orientieren kann. Diese sind am Beispiel Lungenkrebs detailliert im Rahmen von Zertifizierungen umsetzbar, wie Prim.a Ao Univ.-Prof. Dr.in Judith Löffler-Ragg, Leiterin der Abteilung für Pneumologie am LKH Hochzirl-Natters, festhält: „Ideen sind wesentlich, aber wer bringt diese dann auch auf den Boden? Zur Umsetzung braucht es ein professionelles Projektmanagement, das sich darauf konzentrieren kann, multimodale Patientenpfade gut vernetzt umzusetzen. Das können wir als Mediziner:innen nicht nebenbei übernehmen.“ Prof. Haring sieht die Chancen und Herausforderungen dieses Konzepts: „Es gibt – z.B. am Landesinstitut für integrierte Versorgung – viele gute Projekte und auch die nötige Erfahrung, um sie umzusetzen. Manches dauert dann viele Jahre, bis es endlich klappt, aber die Geduld lohnt sich.“
„Die menschliche Komponente ist in der Versorgung entscheidend.“
Dr.in Theresa Geley
Geduld braucht es auch bei einem anderen für die onkologische Versorgung zentralen Thema, nämlich die Gewinnung klinischer Studien. Dass diese für einen Standort und die Patient:innen im Einzugsgebiet enorme Vorteile bringen, ist unbestritten: „Studienmedizin ist Vorsorgemedizin“, so Prof. Wolf. „Wir brauchen klinische Studien, um Spitzenmedizin betreiben zu können. Darum müssen wir den Studienstandort Tirol stärken, denn so kommen wir heute schon an die Medikamente von morgen. Wir haben da ein sehr hohes Niveau erreicht, müssen aber noch attraktiver werden, um hier nicht den Anschluss zu verlieren.“
Letzte Frage: Wie gehen Ärzt:innen mit Patient:innen um, die ihre Therapievorschläge ablehnen?
Es mag Einzelfälle geben, doch in der Regel gilt: „Die Patient:innenzufriedenheit mit Therapien und Versorgung ist in Tirol sehr hoch. Mir persönlich ist immer wichtig, Druck herauszunehmen und die Wünsche von Patient:innen zu respektieren. Ich kann dann immer noch Alternativen aufzeigen und die Folgen jeder einzelnen Option erläutern,“ so Prof. Wolf. Eine Möglichkeit für noch mehr Vertrauen wäre es, so Dr.in Geley, „im Arztbrief Details aus den Beratungen und Erkenntnissen im Tumorboard zu nennen, und zwar so, dass sowohl die weiterbehandelnden Ärzt:innen als auch die Patient:innen sie auch verstehen und nachvollziehen können! Das ist nicht in allen Spitälern Standard, würde den betroffenen Menschen aber ein Mehr an Sicherheit bieten.“ Denn letztlich geht es immer um die Patient:innen und ihre Lebensqualität: Neue Technologien, optimale Strukturen und gute Ideen sind wichtig, aber am Ende des Tages nur ein „Drumherum“ – denn im Mittelpunkt steht immer der Mensch.
Das Gespräch fand im Rahmen des „Expertise.Dialog.Gesundheit“ im September 2025 statt. Der „Expertise.Dialog.Gesundheit“ ist eine Initiative von Bristol Myers Squibb. Dieses Format bringt in den Bundesländern Mediziner:innen sowie weitere Player am Gesundheitssektor zusammen, die ohne eine Vergütung und rein aus fachlichem Interesse aktuelle Entwicklungen und Vorzeigeprojekte beleuchten und vor den Vorhang holen.