Alltag in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Auf anderen Wegen zum gleichen Ziel

Auf der Station für Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeiten 15 Berufsgruppen zusammen, um die Genesung der Patienten zu unterstützen.
© tirol kliniken/Gerhard Berger

In der psychiatrischen Pflege geht es weniger um Infusionen und Spritzen, dafür mehr um Gespräche. Pfleger Markus Aßmann erzählt aus seinem Alltag in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Von Nina Schrott

In einer Sache unterscheidet sich die Pflege in der Psychiatrie und jene auf anderen Stationen wohl kaum: Im Mittelpunkt steht der Heilungsweg und das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten. Die Arbeit des Pflegepersonals auf der Kinder- und Jugendpsychiatri­e der tirol kliniken weicht allerdings schon etwas davon ab, wie man sich den Pflegeberuf allgemein vorstellt, erzählt Diplompflege­r Markus Aßmann. Der 60-jährige gebürtige Vorarlberger leitet die Station seit zweieinhalb Jahrzehnten. Insgesamt kümmern sich dort 26 Personen aus 15 Berufsgruppen, darunter auch Ärzt:innen, Pädagog:innen und Psycholog:innen, um rund 20 Patient:innen bis zur Volljährigkeit. Daneben gibt es eine weitere, auf Kinder- und Jugendpsychiatrie spezialisierte Station, die ein Kollege Aßmanns leitet und größenmäßig vergleichbar ist.

„Wir betreuen die Kinder und Jugendlichen nicht nur in der Klinik, sondern gestalten von früh bis spät ihren Alltag mit ihnen, auch außerhalb“, so Aßmann. „Wir essen mit ihnen, gehen mit ihnen ins Schwimmbad, auf den Spielplatz, ins Einkaufszentrum oder spielen Karten.“ Je nach Krankheitsbild – Essstörung, Sucht, Angststörung, Depression – stellen sich für die jungen Patient:innen unterschiedliche Herausforderungen. „Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, bekommt ein Mädchen mit Essstörung beispielsweise die Aufgabe, sich ein Eis zu kaufen“, erklärt er. Kinder mit auffälligem Sozialverhalten beobachtet er oft beim Spielen mit anderen Kindern. Daraus könne man gut Schlüsse für die weitere Behandlung ziehen.

Vertrauen lernen

Bevor all das passieren kann, bekommen die psychiatrischen Patienten aber zuerst Zeit, Vertrauen zum Pflegepersonal zu schöpfen. „Das Wichtigste für den Heilungsweg ist, dass sich die Kinder und Jugendlichen bei uns gut aufgehoben fühlen“, weiß Aßmann. „Sie müssen erkennen, dass wir es gut mit ihnen meinen.“ Das sei gerade bei jüngeren Patienten und Patientinnen nicht immer leicht, da diese meist unfreiwillig ins Spital kommen und auf einen Schlag von zahlreichen Erwachsenen umgeben sind, die sie nicht kennen. „Das bedeutet ohnehin schon Stress für Heranwachsende. Dazu kommt ihre psychische Ausnahmesituation“, erklärt er.

„Das Wichtigste für den Heilungsweg ist, dass sich die Kinder und Jugendlichen bei uns gut aufgehoben fühlen.“

Markus Aßmann, Leitender Diplompfleger für Kinder- und Jugendpsychiatrie an den tirol kliniken

Zentral sei deswegen, ihre Bezugspersonen ins Boot zu holen – egal ob das Elternteile oder Pädagog:innen aus den Einrichtungen sind, in denen die Mädchen und Burschen gerade leben. „Psychische Erkrankungen kann man nie isoliert betrachten. Da gehören die Patient:innen in ihrer Gesamtheit dazu, ihr Umfeld und ihre Vergangenheit“, so Aßmann. Da man nicht nach Schema F vorgehen könne und sich erst langsam durch Gespräche an die Probleme der Patient:innen vorarbeiten müsse, dauere die Diagnose oft mehrere Wochen. Generell bleiben die Heranwachsenden meist längerfristig auf der Station. Sechs Wochen seien Standard, bei Essstörungen können es auch mehrere Monate sein. Währenddessen besuchen die Patient:innen in einer klinikeigenen Einrichtung die Schule. Krisenbetten für wenige Tage gibt es für Akutfälle aber auch.

Das psychiatrische Pflegepersonal begleitet seine Patienten in Alltagssituationen, um sie besser einschätzen zu lernen – egal ob beim Uno-Spielen, Shoppen oder am Spielplatz.
© tirol kliniken/Gerhard Berger

Früher und heute

Dass psychische Leiden bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren zugenommen haben, bejaht Aßmann. Aber: „Nicht so dramatisch, wie es von der Allgemeinheit wahrgenommen wird.“ Verändert habe sich vor allem das Suchtverhalten. Während die Abhängigkeit früher auf ein, zwei Suchtmittel beschränkt gewesen sei, werde heute mehr ausprobiert. „Es geht eher ums Drogennehmen an sich als um eine bestimmte Wirkung“, so der Pfleger. So werde das Ganze allerdings noch riskanter. Auch Depressionen hätten leicht zugenommen. Das erklärt sich Aßmann unter anderem mit unserer schnelllebigen Umgebung. „Kindern fehlt oft ein Anhaltspunkt, der ihnen zeigt, was okay ist und was nicht.“ Aber auch da unterstützt die Pflege: Sie hilft, Verhalten zu hinterfragen. Weil’s gut gemeint ist.