„Social Freezing“-Urteil: Das sagt ein Mediziner über die Gesetzesänderung
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat heute entschieden, dass Social Freezing – das vorsorgliche Einfrieren von Eizellen oder Samenzellen – künftig auch ohne medizinische Gründe möglich ist. Reproduktionsmediziner Andreas Obruca im Gespräch mit der TT.
Wien – Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden: Das ausnahmslose Verbot des Einfrierens von Eizellen für eine spätere Befruchtung ohne medizinischen Grund ist unverhältnismäßig und von daher verfassungswidrig.
Die entsprechende Bestimmung im Gesetz wird aufgehoben – wirksam wird das aber erst mit 1. April 2027. Bis dahin gilt eine Übergangsfrist, in der der Gesetzgeber neue Regeln ausarbeiten muss. Künftig soll das Einfrieren von Eizellen („Social Freezing“) in Österreich grundsätzlich möglich sein, ähnlich wie in vielen anderen europäischen Ländern. Es werden nun Aufklärungspflichten, Altersgrenzen, Werbebeschränkungen und Kostenthemen neu definiert.
Reaktion auf Gesellschaft
Auslöser war der Antrag einer Frau, die aus privaten Gründen Eizellen einfrieren wollte. Bisher war dies nur bei medizinischer Begründung möglich, zum Beispiel im Vorfeld einer Chemotherapie. Mit der Entscheidung reagiert der Verfassungsgerichtshof auf gesellschaftliche Entwicklungen und stärkt das Recht auf Familien- und Privatleben.
Reproduktionsmediziner Andreas Obruca begrüßt die neue Regelung ab 2027 als Schritt in die Selbstbestimmung: „Das Durchschnittsalter der Mütter steigt laufend und liegt jetzt bereits bei über 30 Jahren. Das freiwillige Lagern der eigenen ‚jüngeren‘ Eizellen bietet vor allem Frauen mehr Flexibilität und Wahlfreiheit bei der Lebensplanung“, so der Mediziner.
Welche drei Regeln braucht Österreich jetzt konkret bis 2027, damit Social Freezing fair und sicher umgesetzt wird?
Andreas Obruca: Drei Punkte sind besonders wichtig:
Alterslimits für das Verwenden der eigenen Eizellen. Derzeit gibt es dafür keine Grenze. Sinnvoll wäre im internationalen Vergleich die Verwendung bis zum 50. Geburtstag freizustellen.
Des Weiteren faktenbasierte Empfehlung und Aufklärung. Die österreichische IVF-Gesellschaft ist derzeit dabei, gemeinsam mit den anderen Fachgesellschaften Empfehlungen zu erarbeiten. Hier geht es neben der Risikoaufklärung vor allem auch um die Erfolgsaufklärung. Wir wissen, dass aufgrund der Eizellalterung die Anzahl genetisch defekter Eizellen laufend zunimmt. Deshalb wird auch alterskorrelierend eine immer höhere Anzahl von Eizellen zur Vorsorge benötigt. Ab einem gewissen Alter ist es nicht mehr sehr wahrscheinlich, genügend Eizellen einlagern zu können. Hier werden wir entsprechende Empfehlungen vorbereiten.
Und es geht um Kosten: Hier herrscht weitgehender Konsens, dass Social Freezing eine Privatleistung bleiben wird. Umso unverständlicher ist aber die Tatsache, dass es keine finanzielle Unterstützung für medizinisch indizierte Fertilitätsprotektion („medical freezing“) gibt. Die Tatsache, einer Brustkrebspatientin vor einer Chemotherapie die Möglichkeit zu nehmen, ihre Fruchtbarkeit zu retten, weil sie sich die Fertilitätsprotektion nicht leisten kann, ist eines Sozialstaates unwürdig.
Ab welchem Alter empfehlen Sie Social Freezing?
Obruca: Das beste Alter wäre 25 bis 30, sobald eine Frau sich im Klaren ist, kurzfristig keine Schwangerschaft zu wollen, ab 35 wird es deutlich schwieriger, genügend Eizellen zu gewinnen.
Schafft die Entscheidung nun echte Parität oder sehen Sie noch weitere Asymmetrien?
Obruca: Ich sehe einen wesentlichen Schritt Richtung Selbstbestimmtheit der eigenen Fruchtbarkeit, auch die Tatsache, dass Männer jetzt z. B. vor einer Vasektomie ihren Samen einfrieren können, erleichtert hier vielleicht die Entscheidung und hilft Verantwortung zu übernehmen. Natürlich sind noch wesentliche Punkte offen – vor allem die Möglichkeit als alleinstehende Frau eine Kinderwunschbehandlung in Österreich in Anspruch nehmen zu dürfen. Hier sehen wir unbedingten Handlungsbedarf, das klischeehafte Familienbild des Fortpflanzungsmedizingesetzes aus den 90er-Jahren an die gesellschaftliche Realität anzupassen.
Bis die Aufhebung greift im April 2027: Was raten Sie Frauen jetzt? Warten?
Obruca: Auf jeden Fall in einem Kinderwunschzentrum beraten lassen. Falls sich eine mögliche medizinische Indikation findet, kann die Behandlung jederzeit begonnen werden. Warten ist dann eine Option, wenn es aufgrund von Alter und Eizellreserve (AMH-Messung) keine Verschlechterung bedeutet. Falls doch, ergibt sich vielleicht gerade dadurch wieder ein Grund für ein bereits derzeit erlaubtes medical freezing.