EU-Beitritt

Erdogan kritisiert Deutschland: „Wir fühlen uns im Stich gelassen“

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat eine mangelnde Unterstützung der deutschen Regierung für einen EU-Beitritt der Türkei beklagt.

Berlin - Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat eine mangelnde Unterstützung der deutschen Regierung für einen EU-Beitritt der Türkei beklagt. „Weil wir Türken so viel Positives für Deutschland empfinden, fühlen wir uns gerade hier im Stich gelassen“, sagte Erdogan der „Bild“-Zeitung (Mittwoch-Ausgabe). „Die deutsche Politik müsste viel mehr für den EU-Beitritt der Türkei tun, weil er die Integration massiv vorantreiben würde.“

50. Jahrestag

Erdogan will am heutigen Mittwoch an einem Festakt der deutschen Regierung zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens in Berlin teilnehmen. Bei der Veranstaltung im Auswärtigen Amt wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprechen. Bereits am Dienstag wurde Erdogan vom deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff in Schloss Bellevue zu einem Gespräch empfangen. Über Inhalte der Unterredung wurde nichts bekannt.

Die Bundesrepublik hatte das Anwerbeabkommen am 30. Oktober 1961 mit der Türkei geschlossen, um dringend benötigte Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen. Viele der damaligen Gastarbeiter holten ihre Familien nach. Heute leben in Deutschland mehr als 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln.

Erdogan kritisierte: „Die deutsche Politik würdigt die Verflechtung der drei Millionen Türken in Deutschland nicht genug.“ Er plädierte für eine doppelte Staatsbürgerschaft für die rund drei Millionen Türken und türkischstämmigen Menschen in Deutschland. „Wenn ein EU-Land wie Frankreich dies schafft, warum kann Deutschland es nicht?“, fragte der türkische Regierungschef. Zudem wandte er sich in scharfer Form gegen die verlangten Deutschkenntnisse für den Zuzug von Familienangehörigen. „Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Voraussetzung erklärt, verletzt die Menschenrechte.“

Die deutsche Staatsministerin Maria Böhmer sagte dazu am Mittwoch: „Die Interview-Äußerungen Erdogans sind kontraproduktiv für die Integration der türkischstämmigen Migranten in Deutschland“. Böhmer, Migrationsbeauftragte der Regierung, forderte, der türkische Staat müsse lernen, die Migranten „loszulassen“.

Auch Innenminister Hans-Peter Friedrich widersprach Erdogan. Er unterstrich, die erste Sprache junger Türken in der Bundesrepublik müsse Deutsch und nicht Türkisch sein. Dagegen hatte Erdogan in der „Bild“-Zeitung vom Mittwoch erneut gefordert, junge Türken sollten zuerst Türkisch lernen.

Deutsch lernen

Bei einem Empfang am Dienstagabend in Berlin wandte sich Erdogan auch erneut an die in Deutschland lebenden Türken und türkischstämmigen Menschen. Sie sollten unbedingt Deutsch lernen, aber ihre Muttersprache nicht vergessen, sagte Erdogan. „Es ist nun an der Zeit für Erfolgsgeschichten und nicht mehr für sehnsuchtsvolle Heimatgeschichten.“ Erdogan wurde von den rund 1000 geladenen Gästen mit Ovationen begrüßt. Er nutzte seinen Auftritt, um auf die Stärke seines Landes hinzuweisen: „Keiner kann das Wachstum und Voranschreiten der Türkei aufhalten.“

Bei dem Auftritt kritisierte der Premier jede Unterstützung für die verbotene Kurdische Arbeiterpartei (PKK) kritisiert. „Nicht nur die Terrororganisation ist verantwortlich, sondern auch jene, die diese geistig und finanziell unterstützen“, sagte Erdogan am Dienstagabend in Berlin. Er verwies unter anderem auf einen Angriff der PKK im Südosten der Türkei, bei dem Ende September eine hochschwangere Frau und ein Kleinkind erschossen worden waren. „Sie sind am Tod des ungeborenen Babys genauso schuldig“, sagte Erdogan. „Der Kampf gegen den Terror ist nicht nur die Angelegenheit eines einzelnen Landes, sondern auch aller, die an die Menschlichkeit glauben.“

Die PKK wird von der Türkei, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft. Sie kämpft seit Anfang der 1980er Jahre für Unabhängigkeit oder größere Autonomie der Kurden-Gebiete in der Türkei. Kurdische Organisationen beklagen eine systematische Diskriminierung ihrer Volksgruppe durch den türkischen Staat. Etwa 45.000 Menschen haben in dem Konflikt ihr Leben verloren. (APA/dpa)

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