Demokratie als lästige Fassade
Wer ist Putin? Russischer Patriot oder despotischer Diktator? Ein Mann ohne Gesicht, sagt ein neues Buch.
Von Christoph Mair
Innsbruck –Er selbst inszeniert sich gern martialisch und patriotisch – als Verteidiger von Stabilität und Sicherheit in Russland. Wladimir Putin, der erst am vergangenen Sonntag unter dem Eindruck wochenlanger Proteste und unter dem Vorwurf massiver Wahlfälschung zum dritten Mal zum Präsidenten gewählt worden ist.
So dominant und kühl berechnend der starke Mann im Riesenreich heute auftritt, so unspektakulär, ja zufällig, war der Beginn seiner Karriere. Das ist die erste erhellende Erkenntnis eines lesenswerten Buches über Putin („Der Mann ohne Gesicht“), geschrieben von der russisch-amerikanischen Journalistin Masha Gessen.
Als sich Ende der Neunzigerjahre die Entourage (genannt „die Familie“) des in jeglicher Hinsicht abgewirtschafteten russischen Präsidenten Boris Jelzin nach einem geeigneten Nachfolger umsah, kam der ehemalige KGB-Offizier Wladimir Putin ins Spiel. Ein, wie ihn auch seine Fürsprecher nannten, farbloser Typ sollte verhindern, dass im Machtkampf um Jelzins Nachfolge die Kommunisten das Ruder übernehmen und womöglich noch dem ersten Präsidenten Russlands und einstigen Hoffnungsträger strafrechtlich nachsetzen.
Aus dem vermeintlichen Lückenfüller wurde ein machtbesessener, skrupelloser Despot, der sich mit der Hilfe einer kleinen, unter ihm reich gewordenen Oberschicht (Oligarchen) und eines Terrorapparates an der Macht hält. So schildert Masha Gessen Wladimir Putin. Nach ihren jahrelangen, peniblen Recherchen gehen sowohl die Morde an der kritischen Journalistin Anna Politkowskaja als auch am Geheimdienstagent Alexander Litwinenko auf das Konto Putins. Schließlich kann der Zar keinen Widerspruch brauchen.
Auch die verschiedenen Terroranschläge, u. a. in Beslan, sieht sie vom Geheimdienst inszeniert, um den Mythos von den äußeren Feinden Russlands, den Putin selbst so gern auf der Zunge trägt, wachzuhalten – getreu der KGB-Parole: Das Land ist so stark wie die Angst, die es verbreitet.
Es ist ein mutiges Buch, das Gessen vorlegt, nicht zuletzt deswegen, weil sie selbst in Russland lebt. Ihre politische Biografie des russischen Präsidenten, die einem „Schwarzbuch Putin“ gleicht, basiert auch auf vielen Interviews mit Beteiligten, deren Sichtweisen die Autorin einander kommentiert gegenüberstellt. Der Leser kann sich so ein Bild machen, zwischen oft lächerlich wirkenden öffentlichen Erklärungen und den Vorgängen hinter den Kulissen.
Masha Gessen. Der Mann ohne Gesicht. Wladimir Putin, eine Enthüllung. Piper, 23,70 Euro.