Syrien

Überläufer für Assad gefährlicher als bewaffnete Rebellen

Der „Verrat“ des Vize-Ölministers Abdo Hussameldin muss für das syrische Baath-Regime ein Alptraum sein. Sein Überlaufen belegt die fortschreitende Auflösung des äußeren Gürtels der Macht in Syrien.

Von Anne-Beatrice Clasmann/dpa

Istanbul

- Deserteure mit alten Sturmgewehren sind für das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad kein großes Risiko. Viel gefährlicher sind biedere Regierungsbeamte, die sich den Revolutionären anschließen - so wie jetzt der Vize-Ölminister. Der „Verrat“ des Ingenieurs Abdo Hussameldin (Hussameddin) muss für das syrische Baath-Regime ein Alptraum sein. Denn Hussameldin ist nicht nur der ranghöchste Regierungsbeamte, der sich seit Beginn der Proteste vor einem Jahr auf die Seite der Revolutionäre geschlagen hat.

Der Stellvertreter des Ölministers ist auch ein klassisches Geschöpf des syrischen Staates: Ein biederer Apparatschik mit altmodischer Frisur und dem gestelzten Jargon der panarabisch-sozialistischen Baath-Partei. Ihn als radikalen Islamisten oder hitzköpfigen Jungdemonstranten darzustellen, dürfte der staatlichen Propagandamaschine schwerfallen.

Schützende Hülle bröckelt

Wenn ein Mann wie Hussameldin seine Beamtenkarriere sausen lässt und ein hohes persönliches Risiko eingeht, dann kann das nur zwei Gründe haben: Entweder rechnet er mit dem Sturz des Regimes und will hinterher nicht auf der Seite der Verlierer stehen oder sein Gewissen hat ihm keine Ruhe gelassen. Dass der Vize-Minister das Regime öffentlich attackiert, deutet auf eine fortschreitende Auflösung des äußeren Gürtels der Macht hin. Und der innere Zirkel, zu dem der Assad-Clan, die korruptesten Profiteure des Regimes und die Spitzen des Sicherheitsapparats zählen, wird sich ohne diese schützende Hülle aus Parteifunktionären und Politikern vermutlich nicht mehr allzu lange halten können.

Doch auf wessen Seite steht Hussameldin jetzt eigentlich, der Funktionär, von dem die Syrer sagen, er sei im Amt immer bescheiden und nicht korrupt gewesen? In seiner Video-Botschaft lobt er die Deserteure der „Freien Syrischen Armee“ und erwähnt auch den oppositionellen „Syrischen Nationalrat“ (SNC). Der SNC-Vorsitzende Burhan Ghalioun begrüßte Hussameldin prompt in den Reihen der Opposition. Doch der Zusammenhalt, den die oppositionellen Libyer während ihres Aufstands gegen Muammar al-Gaddafi hatten, fehlt der syrischen Opposition bis heute. Ghalioun wird aus dem islamistischen Lager seit Monaten angefeindet. Gegen die Politologin und SNC-Sprecherin Basma Kadhmani ist eine Rufmordkampagne im Gang.

Und auch Hussameldin werfen einige Exil-Syrer jetzt vor, er sei ein Opportunist. „Warum erst so spät?“, fragen sie. Dabei gibt es bereits seit Monaten glaubwürdige Berichte, wonach Regierungsmitglieder, deren Loyalität angezweifelt wird, unter Bewachung stehen und das Land nicht verlassen dürfen. Auch für die Verantwortlichen in Moskau und Peking, die im UNO-Sicherheitsrat seit Monaten Zwangsmaßnahmen gegen Syrien verhindern, hat der empörte Ex-Regierungsbeamte Hussameldin eine Botschaft. In seinem Video sagt er: „Ihr behauptet, Freunde des syrischen Volkes zu sein. Nun, nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Durch eure Haltung werdet Ihr zu Komplizen der Tötungsmaschinerie des Regimes.“