Weltpolitik

Burmesische Presse blüht nach Jahrzehnten der Diktatur auf

In Burma wird die bisher strenge Zensur allmählich gelockert. Das Lockern geht so weit, dass der oberste Zensor die eigene Zensurbehörde sogar abschaffen will.

Rangun – Die Karikatur eines Hammers, mit dem der Richter im Sitzungssaal für Ordnung sorgt - und aus dem Hammer windet sich ein Wurm - etwa eine Anspielung auf faule Justiz? Dass die Wochenzeitung „The Voice“ ihre Leser mit diesem Bild gerade erheitern wollte, ging den Zensoren denn doch zu weit. Mit einem roten Filzstift strichen sie das Kunstwerk aus dem Voraus-Exemplar. Dennoch: die staatlichen Zensoren sind seit dem Ende der Militärdiktatur vor einem Jahr sehr zahm geworden. Die Lockerung der Pressezensur ist eines der spürbarsten Zeichen der Zeitenwende. Kurz vor der Nachwahl am 1. April, die Freiheitsikone Aung San Suu Kyi ins Parlament bringen dürfte, feiern die burmesischen Medien die neue Freiheit.

„Wir müssen unsere Zeitung zwar immer noch vor Veröffentlichung vorlegen, aber die Zensoren sind viel entspannter geworden“, sagt Kyaw Min Swe, Chefredakteur der Zeitung mit einer Auflage von 83.000. Er breitet in seinem Büro in Rangun das jüngste Exemplar auf dem Tisch aus. Einige Absätze sind gestrichen. Behördenkritik etwa. Aus einem Artikel über Mobbing strich der Zensor das Zitat einer Mutter, die sagte, die Schulbehörde kümmere sich nicht um das Problem. Auch ein Witz fällt dem Rotstift zum Opfer - aus Sorge, darin könnte Kritik an der Ernsthaftigkeit der neuen Regierung liegen: „Warum trinkst du so viel?“ fragt eine Ehefrau ihren Mann. „Es ist doch wie früher“, sagt er. „Es hat sich zwar viel geändert, aber die Menschen halten an ihren alten Gewohnheiten fest.“

Kyaw hat auch eine zensierte Ausgabe aus dem Jahr 2008 aufgehoben. Ganze Artikel, halbe Seiten sind gestrichen. „Wir durften nichts über die Nationale Liga für Demokratie (Partei von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi) schreiben, nichts gegen China, nichts über Korruption“, sagt Kyaw. „Jetzt tasten wir uns vor und testen die Grenzen.“ In einem bemerkenswerten Interview mit dem Sender „Radio Freies Asien“ warb der Chef der Zensurbehörde, Tint Swe, für seine eigene Abschaffung: „Pressezensur steht nicht in Harmonie mit demokratischer Praxis“, sagte er. „Die Zensur sollte bald abgeschafft werden.“

Ex-General Thein Sein, den die Junta nach wenig fairen Wahlen mit haushohem Sieg für Vasallen des Militärs vor einem Jahr als Präsidenten installierte, hat alle mit seinem Reformtempo überrascht. Die Presse blüht nach jahrzehntelangem Drangsalieren richtig auf. Unpolitische Magazine für Wirtschaft, Sport und Unterhaltung brauchen jetzt vor der Veröffentlichung gar nicht mehr vor den Zensor. Die Journalisten nutzen das aus. Das „Teen“-Magazin interviewte unter dem unschuldigen Titel „Jugend und Wandel“ frisch entlassene politische Gefangene, die über den „Wandel“ - die Haft - in ihren jungen Jahren berichteten. „Wir hatten keine Beschwerden“, sagt Herausgeberin Ma Thida. Die Ärztin und Schriftstellerin, die wegen Oppositionsarbeit fünfeinhalb Jahre im Gefängnis war, prescht auch in ihrem Literaturmagazin vor. Mit der Kurzgeschichte einer Frau, die über ihre Zeit im Flüchtlingslager berichtet, weil die burmesische Armee gegen ihr Volk Krieg führte. Der Zermürbungskrieg der Arme gegen ethnische Minderheiten war bisher absolut tabu.

Obwohl das Militär Schulen und Universitäten als Hort der Opposition ausmachte und gnadenlos herunterwirtschaftete, ist der Bildungshunger in Burma geblieben. „Es gibt schon mehr als 200 Wochenzeitschriften“, sagt Ma Thida. Im Mai will sie die Toleranz der Regierenden erneut testen, mit einer neuen politischen Wochenzeitung. Der „Myanmar Independent“ soll Themen der ethnischen Minderheiten zum Schwerpunkt haben - undenkbar noch vor wenigen Monaten.

Die Medien hätten eine ganz besondere Verantwortung in den Zeiten des Wandels, sagt Kyaw. „Wir sind auch Opfer des alten Regimes, aber wir dürfen nicht emotional urteilen“, meint er. „Wir müssen kühl analysieren und die Regierung auch loben, wo es gebührt. Dann werden sie uns ernst nehmen und auch auf unsere Kritik hören.“ Inzwischen geht er so manches kalkulierte Risiko ein. Wenn er den Rotstrich des Zensors nicht nachvollziehen kann, lässt er den Text im Blatt - bisher ohne Folgen. „Früher wäre ich für so etwas im Gefängnis gelandet“, sagt er. Bei dem Hammer mit dem Wurm hat er allerdings doch einen Rückzieher gemacht.