Drogenkrieg in Mexiko: Hintermänner bleiben ungeschoren
Der Papstbesuch steht im Schatten der Gewalt der Drogenkartelle.
Mexiko-Stadt - Keinem Mexikobesucher, auch Papst Benedikt XVI. nicht, bleibt laut Kathpress erspart, sich mit der grausamen Realität des Drogenkriegs in dem Land auseinanderzusetzen. Am heftigsten toben die Kämpfe der Kartelle in den Bundesstaaten Chihuahua, Sinaloa, Sonora, aber auch in Mexiko-Stadt, das der Papst allerdings ohnehin meidet. Staatspräsident Felipe Calderon begann nach seiner Wahl 2006, Tausende Soldaten in die umkämpften Gebiete zu schicken, um für Sicherheit zu sorgen.
Medien berichten täglich die gruseligen Details des kriminellen Alptraums. Zerschnittene Körper werden in Salzsäure aufgelöst, Gesichtern wird die Haut abgezogen, im Internet zeigen Videos von Kartellmitgliedern, wie Menschen bei lebendigem Leib der Kopf abgesägt wird, in Cuernavaca ging Fahndern ein 14-Jähriger vom Sinaloa-Gang ins Netz, der schon als Elfjähriger Kehlen durchgeschnitten hatte.
Allein am vergangenen 20. Februar kamen bei einem Gefängnisaufstand nahe Monterrey mindestens 44 Häftlinge ums Leben. Ursache war ein Streit zwischen rivalisierenden Gruppen in der Anstalt in Apodaca. 30 Häftlingen gelang die Flucht.
Die Drogenkrieger terrorisieren auch die Straßen. Laut Statistik der renommierten Zeitung „Reforma“ waren 2011 erstmals mehr als 12.000 Tote zu beklagen. Nach Angaben von lokalen und US-amerikanischen Behörden, Zeitungen und Wissenschaftlern dürften seit 2006 zwischen 40.000 und 50.000 Personen im Drogenkrieg ihr Leben verloren haben.
Größe und Vagheit dieser Schätzungen sagen viel über die Unübersichtlichkeit und Unkontrollierbarkeit der Situation aus. Der Regierung erlaubt das, hartnäckig die These zu verbreiten, mehr als 90 Prozent der Toten seien selber in die organisierte Kriminalität verwickelt gewesen. Als im Herbst 2011 die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ bei verantwortlichen Ministern nach Belegen für diese These fragte, stieß sie jedoch auf Schweigen. Laut Bericht von „Human Rights Watch“ wurden von rund 35.000 Tötungen, die zwischen 2007 und 2010 begangen worden waren, nur knapp 1.000 durch die Bundesbehörden untersucht. 330 Verdächtige wurden festgenommen, 22 Täter verurteilt.
Der mexikanische Staat sei im Begriff, auf weite Strecken gegenüber dem organisierten Verbrechen zu kapitulieren: Diese pessimistische Einschätzung formulierte deshalb der Bischof von Saltillo, Raul Vera Lopez. Das jetzige Konzept der Regierung Calderon bestehe aus Armee-Razzien an ausgewählten Orten. Dabei komme es oft zu schwersten Menschenrechtsverletzungen; Verhaftungen würden vorgenommen - allerdings handle es sich nie um die wirklichen Verantwortlichen. „Die Hintermänner - oft Politiker - werden geschont“, so Vera Lopez.
Die Bevölkerung fühle sich durch diese Aktionen nicht geschützt, sondern im Gegenteil beunruhigt. Für die Hintermänner sei Straflosigkeit die Regel, wozu eine willfährige Justiz beitrage. Scharfe Kritik übte Vera Lopez in diesem Zusammenhang sowohl an den Oberstaatsanwaltschaften als auch am Obersten Gerichtshof. Offensichtliche Fälle von schweren Verbrechen wie Menschenhandel, Kinderpornografie, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung seien wegen Verwicklung höchster Regierungskreise manipuliert worden.
Die Leiterin der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft (Procuraduria General de la Republica/PGR), Marisela Morales Ibanez, begründet die verschwindend geringe Verurteilungsquote wiederum damit, dass in den meisten Fällen die - notorisch ineffektiven - Lokalbehörden zuständig seien.
Raul Benitez, ein Sicherheitsexperte der Nationaluniversität UNAM, sieht den Hauptantrieb der Gewaltspirale in den Konflikten zwischen den Kartellen. Unbestreitbar ist für ihn, dass der von der Regierung angeordnete Armeeeinsatz geholfen habe, kriminelle Strukturen zu zerschlagen. Wären die Kartelle nicht so vehement in die Defensive gedrängt worden, hätten sie weiterhin unbehelligt ökonomische und politische Macht kumuliert. Das größte Defizit ortet Benitez in der Korruptionsbekämpfung. Ohne durchgehend saubere staatliche Institutionen könnten die Kartelle nicht entscheidend geschwächt werden.
Das Vorschussvertrauen, das viele Mexikaner Staatspräsident Calderon anfänglich entgegenbrachten, dürfte längst aufgebraucht sein. Calderon darf aber ohnehin laut Verfassung nicht wieder kandidieren.
Doch wie die Anwärter auf die Präsidentennachfolge 2012 ihr Versprechen, der Gewalt ein Ende zu bereiten, verwirklichen wollen, ist schleierhaft. Weder der Linke Andres Manuel Lopez Obrador, der erneut antreten wird, noch der große Favorit Enrique Pena Nieto von der Langzeit-Monopolherrschaftspartei PRI (Partido Revolucionario Institucional), noch die möglichen Kandidaten der Regierungspartei Accion Nacional zeigen eine Alternative auf. (APA)