Gesellschaft

Es regnet Geld über Braunschweig

Im deutschen Braunschweig sind die Menschen in diesen Tagen mit einem großen Rätsel beschäftigt: Ein Unbekannter überschüttet Bedürftige und gemeinnützige Institutionen mit großen Geldbeträgen. Die Spekulationen um den anonymen Spender gehen weit über die Grenzen Deutschlands hinaus.

Von Miriam Hotter

Im Märchen vom Sterntaler fallen die Sterne als Silbertaler vom Himmel, ein armes Waisenkind sammelt sie auf. In Braunschweig im deutschen Bundesland Niedersachsen regnet es keine Silbertaler, sondern mehrere 500-Euro-Scheine, gebündelt in weißen Briefumschlägen, die an Bedürftige gehen. Die Braunschweiger bewegt zurzeit vor allem eine Frage: Wer ist der anonyme Wohltäter?

Sicher ist nur, dass der Unbekannte offenbar ein großes Herz hat und jenen Menschen unter die Arme greifen will, die Unterstützung gut gebrauchen können. Fast immer wiesen zuvor Artikel in der Braunschweiger Zeitung auf den Verwendungszweck hin: Eine Kinderkrippe, ein Museum, eine Bibliothek, vier Kirchengemeinden, ein Gymnasium, zwei Suppenküchen für Arme, die Sternsinger, ein Hospiz und die Braunschweiger Opferhilfe haben sich bereits über unerwarteten Geldsegen freuen dürfen. Zu Weihnachten zeigte sich der Gönner besonders großzügig: Der Pförtner des Rathauses fand 50.000 Euro in einem Umschlag – samt fünf Artikeln, an wen die Beträge gehen sollen.

Die Geldumschläge werden meist in Briefkästen oder unter die Fußmatte gelegt. Aber immer mit der Absicht, keine Spuren zu hinterlassen, die auf die Identität des Wohltäters schließen lassen. Wer der glückliche Empfänger des Geldes sein soll, ist hingegen immer klar. „Der Spender oder die Spenderin macht ein rotes Kreuz an jene Stelle im Zeitungsartikel, die auf den Empfänger hinweist“, erzählt Henning Noske, Lokalchef der Braunschweiger Zeitung.

Dass es immer Berichte seines Blattes sind, die den Wohltäter zum Handeln bewegen, freue ihn natürlich. Aber dieses „spektakuläre Geschehen komme bei jedem gut an“. Medien aus aller Welt berichteten bereits über den edlen Ritter aus der Hansestadt. Bis Australien und Buenos Aires reicht inzwischen der Ruhm des großzügigen Spenders. Ein elfjähriger Argentinier hat in einer Fernsehreportage von dem Spendenmärchen erfahren und per Internet die Zeitung über die Notlage seiner Familie informiert. Bald darauf erhielt der Bub 2000 Euro vom Braunschweiger Wohltäter. Die 250.000 Braunschweiger selbst sprechen bereits von einem Wunder.

Kein Wunder ist allerdings, dass die Tatsache „die Zeitung schreibt über jemanden und der Unbekannte zahlt“ auch Begehrlichkeiten weckt. Immer mehr Vereine und gemeinnützige Organisationen fragen bei der Redaktion der Braunschweiger Zeitung an, ob man nicht einmal über sie berichten könnte. Denn mit einer Summe von 10.000 Euro wüsste man schon einiges anzufangen. „Das machen wir aber nicht“, betont Noske, obwohl er die Anrufer verstehen könne. „Jeder, der von der Geschichte hört, überlegt sich, was würde ich denn mit so viel Geld machen?“

Ob es sich bei dem anonymen Schenker vielleicht um einen ausgetüftelten Werbegag handelt oder wirklich „nur“ um einen uneigennützigen Wohltäter, ist so unbekannt wie der Spender selbst. Während kritische Münder von einer Marketingstrategie einer Firma reden, glaubt Noske nicht an einen Werbeschmäh. „Das ist absoluter Quatsch. Das würde nach hinten losgehen“, ist er die Spekulationen leid. Diese Verschwörungstheorien seien nicht ernst zu nehmen. Sicher sei nur, dass „Er“ oder „Sie“ selbst aus Braunschweig kommt. Nur so viel steht fest: Der Unbekannte muss offensichtlich ziemlich wohlhabend sein – insgesamt hat er schon rund 200.000 Euro in seiner Heimatstadt verteilt. Der Spender hat möglicherweise sogar erste Nachahmer gefunden: Im 40 Kilometer entfernten Helmstedt fand eine Kirchenmitarbeiterin unlängst 3000 Euro im Briefkasten. Dass es sich hier um eine andere Person handeln müsse, belegen die Geldscheine. Im Gegensatz zu den Geldkuverts in Braunschweig, in denen sich ausschließlich 500-Euro-Scheine befanden, steckten in dem Umschlag in Helmstedt nämlich 50- und 100-Euro-Scheine.

Geldscheine hin oder her, gebrauchen konnten es die jeweiligen Empfänger allemal. Die Stadtbibliothek in Braunschweig konnte ihr Hörbuch-Angebot erweitern, die Kinderkrippe hat sich ein Klettergerüst angeschafft, eine Suppenküche kaufte sich ein Fahrzeug und das Naturhistorische Museum erhielt Geld für den Erhalt von vier Dioramen – das sind Schaukästen, in denen mit Modellfiguren und -landschaften oft historische Szenen dargestellt werden. Besonders freuen durfte sich ein Bub, der seit einem Schwimmunglück schwer behindert ist.

Nur persönlich bedanken können sich die Beschenkten nicht. Es ist der Wunsch des Gönners, weiterhin anonym zu bleiben. Deshalb hat die Redaktion der Braunschweiger Zeitung auch versprochen, die Identität des Spenders nicht zu ermitteln, etwa durch einen Lockartikel oder Versuche, den Täter auf frischer Tat zu ertappen. Daran hält sie sich auch. Denn vergraulen möchten die Braunschweiger ihn (oder sie) auch ganz bestimmt nicht.