Leiden hinter der Fassade
ÖFB-Teamchef Marcel Koller spricht über die Ausbildungsabteilung Bundesliga, die Zukunft von Österreichs Fußball und die Vorzüge der Schweiz.
Die Schweiz und Österreich – so eng beieinander und einander doch so fremd. Wie geht es dem Schweizer als rotweißrotem Teamchef?
Marcel Koller: Hervorragend. Ich spüre so etwas wie eine gemeinsame Wellenlänge. Wie es eben ist, wenn es gegenseitiges Bemühen gibt.
Aus fast aktuellem Anlass wollen wir dennoch das Trennende thematisieren. Timo Konietzka, der Mann, der 1963 das erste Tor der neu gegründeten deutschen Bundesliga erzielte, ist in der Schweiz mit Hilfe der Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit aus dem Leben geschieden. Konietzka war von 1980 bis 1982 Trainer von Grasshoppers Zürich. Wie ging es Ihnen, als Sie von seinem Tod erfuhren? Sind Sie für oder gegen die Sterbehilfe?
Koller: Wenn man sich wie ich mitten im Leben fühlt, ist der Tod ja nicht gerade ein bestimmendes Thema. Aber ich finde die Schweizer Lösung gut. Konietzka muss sehr gelitten haben. Dieses Leiden ist jetzt vorbei. Er wollte es so. Ich verdanke ihm viel. Er hat mich durch die harte Schule des Profifußballs gehen lassen, aber er war auch mein großer Förderer. Ich empfinde Dankbarkeit.
Weg von diesem bedrückenden Thema – hin zu einem, das die Österreicher schmunzeln lässt. Das Schweizer Volk hat gerade in großer Mehrheit gegen die Anhebung des Urlaubs von vier auf sechs Wochen gestimmt. In Übereinstimmung mit der Überzeugung von Marcel Koller?
Koller: Mich betrifft diese Regelung ja nicht. Aber ich glaube, dass das Schweizer Volk in den letzten Jahren ziemlich verantwortungsbewusst abgestimmt hat. Weniger Arbeit führt eben nicht zu größerem Erfolg. Und die Schweiz ist eine Erfolgsgeschichte. Die Leute haben ein Gefühl dafür, dass ihr Wohlstand erarbeitet werden muss.
Hat diese Mentalität auch im Fußball Auswirkungen?
Koller: Ja, das glaube ich. Wir waren neun Mal bei einer WM dabei, 1996 und 2004 auch bei der EM. Wir waren 1994 die Nummer sieben der FIFA-Weltrangliste, sind jetzt an 16. Stelle. Als kleines Land geht das nur mit verstärkten Bemühungen. Ohne Fleiß kein Preis. Und ohne Opferbereitschaft keine großen Siege.
Sie wurden in Ihrer Karriere acht Mal operiert. Und haben stets ein Comeback geschafft. Sonst wären 428 Spiele für Grasshoppers und 55 für die Nation ja nicht möglich gewesen.
Koller: Wer hinter die Fassaden schaut, wird sehen, dass der Profifußball ein hartes Geschäft ist. Talent genügt nicht. Es gehört eine Leidensbereitschaft dazu, die Fähigkeit, sich im oft rigorosen internen Konkurrenzkampf durchzusetzen, die Versagens- und damit auch die Existenzängste zu bändigen. Auf einen bewunderten Kicker kommen meist viele, die an der harten Realität zerbrechen. Das sollte man auch wissen, wenn man Spieler, vor allem junge, kritisiert. Medial vorgeführt zu werden, hält zudem auch nicht jeder aus.
Ihr Vorgänger Didi Constantini ist medial für seine Feststellung geprügelt worden, dass Taktik im Fußball überbewertet sei.
Koller: Zu Unrecht. Weil ich weiß, wie er das gemeint hat. Fakt ist, dass die Taktik nur so gut ist, wie sie von den Spielern umgesetzt wird. Man kann die richtigste Taktik haben – und verliert trotzdem. Die Taktik soll aus einer Mannschaft mehr herausholen. Diese Macht und Wertigkeit hat sie.
Sie werden schon sieben Monate ÖFB-Teamchef gewesen sein, ehe Sie Ihr drittes Länderspiel – am 1. Juni in Innsbruck gegen die Ukraine – gemacht haben. Viele Ihrer Erkenntnisse sind also Theorie. Ist in der Theorie das rotweißrote Team ein starkes?
Koller: Wir haben unbestritten Spitzenspieler. Aber es mangelt in der Breite. Die erste Wahl lässt sich in einem kleinen Land nicht ohne Substanzverlust ersetzen.
Die erste Wahl sind die Legionäre, die zweite sind die Spieler der rotweißroten Bundesliga. Die schwächelt.
Koller: Aber sie hat es geschafft, viele Spieler fürs Ausland top zu machen. Die Liga wird eine Ausbildungsliga bleiben. Jeder Abgang schwächt die Liga. Und deren Ziel muss es sein, diese Schwächung durch die Heranbildung neuer Talente zu kaschieren. So ist es nun einmal. Damit muss man leben. Auch als Teamchef.
Das Gespräch führte Hubert Winklbauer