Kein Handicap für die Karriere
Ob mit oder ohne Behinderung – in manchen Tiroler Firmen ist jeder Mitarbeiter ein voll integriertes Teammitglied.
Von Barbara Egger
Westendorf –„Den Integrationspreis verdienen ganz andere. Vor allem größere Betriebe in Tirol“, dachte Edith Kiederer bisher. Da hat sich die Chefin der Zimmerei Kiederer in Westendorf geirrt. Holzbau Kiederer erhielt im vergangenen Herbst den Tiroler Integrationspreis 2011 des Bundessozialamtes, Landesstelle Tirol, in der Kategorie „Nachhaltige Beschäftigung von Menschen mit Behinderung“. „Wir waren überrascht, dass auch wir einen Preis bekommen haben“, meinen die Chefleute Josef und Edith Kiederer bescheiden. „Es ist anscheinend nicht selbstverständlich, dass Betriebe Menschen mit Behinderung einstellen. Bei uns ist es das. Wir sind ein Familienbetrieb und sicher sehr sozial eingestellt“, so Edith Kiederer.
Das sah auch die Integrationspreis-Jury so. „Seit mehreren Jahrzehnten beschäftigt die Firma Kiederer Menschen mit einem Handicap – und das mit der größten Selbstverständlichkeit und ohne viel Aufhebens davon zu machen“, bestätigt Sozialamtschef Walter Guggenberger. Tatsächlich fanden und finden im 1948 gegründeten Zimmerei- und Tischlerbetrieb immer wieder Menschen mit Behinderung Arbeit. Das Hauptgeschäft von Holzbau Kiederer sind Holzhäuser, Dachstühle, Balkone, Treppen und Tischlerarbeiten. „Wir beschäftigen insgesamt 27 Mitarbeiter, vier davon haben eine Behinderung. Die Mitarbeiter mit Handicap kommen alle aus unserem Ort. In einem Dorf mit 3000 Einwohnern schaut man aufeinander, auch dass die Menschen am Arbeitsplatz integriert sind.“
Von Gesetzes wegen müsste die Firma Kiederer pro 25 Mitarbeiter nur einen behinderten Mitarbeiter einstellen. „Wenn die Leute aus dem Dorf zu uns kommen und fragen, ob sie bei uns arbeiten dürfen, gibt es aber kein Warum.“ Im Berufsalltag gehe das so weit, dass man gar nicht unterscheide zwischen Menschen mit Behinderung und Menschen ohne. „Bei uns werden Mitarbeiter mit Behinderung genauso behandelt wie jeder andere auch. Sie sind so gut integriert, dass sie im Unternehmensalltag nicht als anders wahrgenommen werden.“
Hans arbeitet seit mehr als dreißig Jahren bei Holzbau Kiederer. In wenigen Wochen geht er in Pension. Zwar äußerlich kaum erkennbar, wurde der Körper des gelernten Tischlers nach einem Motorradunfall in jungen Jahren schwer beeinträchtigt. „Hans hat Tischlerarbeiten verrichtet. Wenn es ihm gesundheitlich nicht so gut ging, hat er das Team beim Holzstreichen, beim Schmirgeln oder bei anderen Hilfsdiensten unterstützt.“
Thomas und Alexander sind erst wenige Jahre im Betrieb und setzen sich für ihr berufliches Fortkommen, soweit es ihre gesundheitliche Verfassung zulässt, mit allen vorhandenen Kräften ein. Dafür werden sie von den Chefleuten bzw. ihren direkten Vorgesetzten, den Tischler- und Zimmermeistern, im Rahmen ihrer integrativen Berufsausbildung gefordert und gefördert. Thomas absolviert eine Tischlerlehre im dritten Lehrjahr, Alexander hat vor einem Jahr eine Lehre als Zimmerer begonnen.
Patrick ist seit neun Jahren als Techniker und Planer bei der Zimmerei Kiederer beschäftigt. Der heute 30-Jährige verlor mit 21 Jahren seinen linken Arm bei einem Unfall am Bahnhof Wörgl. „Patrick war damals genauso alt wie unser eigener Sohn. Wir dachten, wie froh wir als Eltern wären, wenn es unser Sohn wäre, der eine Chance auf Arbeit bekäme.“ Dennoch zögerten die Chefleute bei der Einstellung. „Patrick war eigentlich der einzige Mitarbeiter, bei dem wir darüber nachgedacht haben, ob wir ihn nehmen sollten oder nicht“, sagt Edith Kiederer im Rückblick.
„Der Techniker bzw. Planer ist in einem Zimmereibetrieb ein zentraler Job. Da kommt es auf jeden Millimeter beim Zeichnen an.“ Und obwohl klar war, dass Patrick nicht alle Aufgaben eines Technikers, wie auf Leitern rauf- und runterklettern, übernehmen kann, entschied sich Familie Kiederer, den jungen Mann einzustellen. Patrick hat schließlich vor seinem Unfall nicht nur Spitzenleistungen als nordischer Kombinierer und ÖSV-B-Kader-Mitglied erbracht, sondern auch eine Lehre als technischer Zeichner mit Auszeichnung abgeschlossen. „Mein Mann hat den Patrick alles gelehrt, was er als Techniker wissen muss, ihn also komplett umgeschult. Patrick macht heute seinen Job zu 110 Prozent.“ Patrick selbst gefällt seine Arbeit sehr gut. „Ich habe ein eigenes Büro und Aufgabengebiet. Alles läuft gut. Wir sind ein eingespieltes Team.“