Seelennot ohne Folklore

Bruno Klimeks Neuinszenierung von Leoš Janáceks Oper „Jenufa“ ist von eindrucksvoller Radikalität – die musikalische Leitung hat Alexander Rumpf.

Von Ursula Strohal

Innsbruck –„Ich komme mit der Wahrheit durch, mit der äußersten Wahrheit“, sagte der über siebzigjährige Leoš Janácek während der Komposition seines Musikdramas „Aus einem Totenhaus“. Zurückgeblendet auf seine rund dreißig Jahre früher entstandene Oper „Jenufa“, die seit Samstag am Tiroler Landestheater zu sehen ist, kann das wie ein Leitspruch über der Neuinszenierung stehen. In seiner Einheit von Regie, Bühnenbild und Choreographie schließt Regisseur Bruno Klimek radikal alles Äußerliche und Dekorative aus.

Jenufa ist schwanger von Stewa. Sie lebt nach dem Tod der Eltern bei ihrer Tante, die hoch geachtet im Dorf den Küsterdienst versieht. In der Müllerfamilie der Buryjas sind die Männer echte Mistkerle, die Frauen halten das Ansehen aufrecht. Die Großmutter hat ihren Enkel Stewa und den Ziehenkel Laca groß gezogen, Ersterer ein Dorfcasanova und Trinker, der andere seelensgut und in Jenufa verliebt.

Die Küsterin versteckt Jenufa bis zur Geburt, dann ertränkt sie am Höhepunkt ihres Bangens um Ehre und Ausgestoßensein das Kind. Stewa hat die Bitte, ihre Ziehtochter zu heiraten, nicht erhört. Jenufa nimmt Lacas Werben an, am Hochzeitstag wird das Kind unter dem Eis des Baches gefunden. Die Küsterin bekennt ihre Tat. Auch jetzt noch steht Laca zu Jenufa, die seine bedingungslose Liebe erkennt und zu erwidern beginnt.

„Es gibt Hoffnung“, sagt Janácek. In der Endphase der „Jenufa“-Komposition war seine Tochter Olga gestorben.

Die Bühne ist ein grauschwarzer Würfel, Salha Fraidl und Julia Scheeler haben für die schwarzen Kostüme viele Farbnuancen gefunden. Da pulsiert kein mährisches Dorfleben, da sitzt Jenufa über einem Kübel, dem sie ihre Übelkeit anvertraut. Das Messer, von dem auch zwischen den Halbbrüdern symbolhaft die Rede ist, liegt in ihrer Hand, sie attackiert das Ungeborene, sie ritzt sich. Rastlos schreitet die alte Buryja das Bühnengeviert aus, verharrt an immer derselben Stelle, die sich mit Bedeutung auflädt. Die Originalfassung der Oper erlaubt der Küsterin, ihren Erinnerungsmonolog zu singen, von einer Ehehölle im strengen Korsett dörflicher Konvention.

Diese zwanghaft gebundene Routine visualisiert Klimek im Chor. Soldaten, Musiker, Bauern, die Volksgruppierungen sind austauschbar und verschmelzen im Bewusstsein des leidenden Individuums zum Kollektiv, das choreographisch und stampfend als amorphe Masse sich entfesselt, zurückzieht oder bedrohlich nahe kommt (vokal nicht ganz so geschärft wie szenisch). Der Kinderwagen wird zum Objekt, an dem sich Wut, Verzweiflung und Schmerz festmachen, als Stewa die Bitten der Küsterin abweist, stößt sie dem Kindeserzeuger den Wagen in den Unterleib. Der Plafond des düsteren Seelenraumes hat sich erdrückend auf die Menschen gesenkt, durch den verbleibenden Lichtschlitz kriecht und krümmt sich die stolze Küsterin mit dem Kind in Richtung Bach.

Es sind starke, dichte Bilder, die Klimek aus der psychischen Not der Menschen heraus schafft, auch aus der Sprache der Musik. Er visualisiert deren Kleingliedrigkeit, ergreifende Lyrik und Wiederholungen, die sich in Jenufas Messer-Manie aber doch allmählich erschöpfen. Insgesamt ein ungeheurer Aufruf zur Empathie, die Mahnung, Mechanismen des Unglücks zu erkennen, frei von Äußerlichkeiten und gesellschaftlichen Zwängen hinzuschauen.

Alexander Rumpf hat die Partitur fest im Griff und lässt doch das Melos strömen, aus dem Graben steigt ein Sog auf, in den ersten Bildern erdrückend laut, dann angemessener. Die Soli kommen präzise, aber das Orchester kann an diesem speziellen Tonfall und reichen Klang noch reifen. Christiane Libor bewältigt die Schwierigkeiten der Jenufa-Partie bravourös mit aus dem Charakter erwachsender Leuchtkraft. Im schwarzen Kostüm streng und groß die Küsterin von Hedwig Fassbender, die diese Frauenrolle mit imposanten, nie aufgesetzten Mitteln einer Singschauspielerin plausibel macht. Christina Kubelka (alte Buryja) hat ihre Stimme noch immer sehr gut zur Verfügung, im Timbre abgesetzt, beide mit schönem Tenor, die Halbbrüder, Vincent Wolfsteiner als Laca und Tilmann Unger als Stewa. Sebastian Kroggel, Andreas Mattersberger, Kristine Cosumeno, Renate Fankhauser, Anne Schuldt, Susanne Langbein und Sophie Mitterhuber runden das Ensemble bestens ab.