Gesellschaft

Blonde Strähnen statt Turban - Afghanische Männer entdecken Mode

Röhrenjeans und westliche Haarschnitte sind bei Männern in der afghanischen Hauptstadt keine Seltenheit mehr - Vorlieben, für die sie die Tugendwächter der radikal-islamischen Taliban verprügelt oder ins Gefängnis gesteckt hätten, als sie zentral an der Macht waren.

Kabul – Turban, Zottelbart, weiter Kittel und als „Accessoire“ eine Kalaschnikow. Das ist das Klischee des afghanischen Mannes, das die meisten Europäer im Kopf haben. Doch in Kabul hat sich das Bild längst gewandelt. Männerboutiquen und Friseursalons boomen. Röhrenjeans und westliche Haarschnitte sind bei Männern in der afghanischen Hauptstadt keine Seltenheit mehr - Vorlieben, für die sie die Tugendwächter der radikal-islamischen Taliban verprügelt oder ins Gefängnis gesteckt hätten, als sie zentral an der Macht waren.

„Die Männer in Kabul haben in den vergangenen Jahre eine große Leidenschaft für ihr Aussehen entwickelt“, sagt Ali Reza, während er seinem Kunden blonde Strähnchen ins Haar sprüht. Der 25-Jährige floh nach der Machtübernahme der Taliban 1996 mit seiner Familie ins Ausland, lernte in Indien das Friseurhandwerk und betreibt heute ein Friseurgeschäft in Kabul. „Einige Medien stellen die afghanischen Männer als wütende Leute mit langen Bärten dar“, sagt Reza. „Ich wurde Stylist, um die Schönheit und das Modebewusstsein der afghanischen Männer zu zeigen.“

Das Interesse an Männermode ist kein völlig neues Phänomen in Afghanistan, doch Krieg und die Herrschaft islamischer Fundamentalisten haben es lange Jahre unterdrückt. Frauen verhüllen sich in der Öffentlichkeit weiterhin - auch wenn unter manchem langen Mantel inzwischen High Heels und Jeans hervorlugen. Deshalb sind es in den Straßen von Kabul vor allem die Männer, die durch ihre modische Aufmachung auffallen.

„Die jungen Männer bringen Fotos von europäischen, amerikanischen und indischen Film- und Sportstars mit und wollen ihre Haare und Bärte genau so geschnitten haben“, sagt der 22-jährige Sayed Mehdi, der als Stylist in einem Modegeschäft arbeitet. Im Geschäft liegen Modezeitschriften aus, die den Männern bei der Suche nach dem passenden Look helfen sollen.

Mujtaba hat sich bei der Kleidung dieses Mal für ein schwarzes T-Shirt und eine aufgerissene Jeans entschieden. Der 27-Jährige erinnert sich noch gut daran, wie ihn Polizisten der Taliban schlugen, weil ihnen sein damals nur leicht modischer Haarschnitt missfiel. „Dann zwangen sie mich, einen schwarzen Turban zu tragen - dabei war ich noch ein Kind“, sagt Mujtaba. Jetzt sitzt er beim Friseur. „Ich möchte einen Bart wie Wali“, weist er den Friseur an und bezieht sich auf den im Ausland lebenden afghanischen Popstar. „Was Mode angeht, wollen wir den Europäern und Amerikanern nicht nachstehen.“

Während der Süden und Osten von Afghanistan unter dem Aufstand der Taliban leidet, ist die Lage in der Hauptstadt und anderen größeren Städten im Norden und Westen des Landes relativ sicher. Dort floriert das Geschäft mit der Mode.

Sayed Abdullah importiert die neuesten Modetrends aus dem Ausland, um die Kundschaft seines Kabuler Ladens zufriedenzustellen. „Die jungen Frauen und Männer wollen die modernsten Marken, wenn sie Jeans, Hemden und Kleider kaufen“, sagt er, während er einer Gruppe junger Männer eine Röhrenjeans zeigt. Abdullah hatte sein Geschäft bereits, als noch die Ende 2001 per US-Invasion gestürzten Taliban in Kabul herrschten. Damals durfte er nur die traditionelle Männerkluft - langes Hemd, weite Hose und Turban - verkaufen. „Der Wandel seither ist enorm.“

2009 wurde Mode auch im afghanischen Fernsehen zum großen Thema - in einer Serie ähnlich „Germany‘s Next Top Model“. „Wir fragten die Leute, ob sie teilnehmen wollten, um ihr Gewand und ihren Stil vorzustellen“, sagt Naseer Ahmed Noori. Der 25-Jährige saß zusammen mit seiner Frau in der Jury der Sendung. Die Reaktion auf den Aufruf überraschte ihn: Tausende meldeten sich - vor allem Männer. Widerstand kam aus dem Klerus, die Serie wurde abgesetzt, soll aber noch heuer wieder aufgenommen werden.

Männer wie Mullah Nakibullah dagegen sehen die Entwicklung kritisch. „Es ist beschämend, zu sehen, wie unsere Männer sich wie Amerikaner oder andere Ungläubige kleiden“, sagt der Mann mit dem Turban auf dem Kopf wütend. Er trinkt gerade Tee gegenüber von Rezas Salon. „Diese Kleidung ist absolut unislamisch und widerspricht unseren Werten. Sie sollten bestraft werden, damit sie sich wieder daran erinnern, dass sie Afghanen und Muslime sind“, sagt er und nimmt einen Schluck. „Die Taliban hätten schon gewusst, was mit ihnen zu tun ist!“ (APA/AFP)