Donaufestival: CocoRosies Familienbaum bietet surreale Verästelungen
Wien/Krems (APA) - Gemeinsam mit ihrer Schwester Sierra steht sie seit Jahren für ätherische Musik außerhalb einengender Genregrenzen, für L...
Wien/Krems (APA) - Gemeinsam mit ihrer Schwester Sierra steht sie seit Jahren für ätherische Musik außerhalb einengender Genregrenzen, für Live-Auftritte mit ebenso ansprechender wie verstörender Umsetzung und einen angenehm unangepassten Gestus im Popbusiness: Bianca Casady von CocoRosie passt in keine Schubladen und kommuniziert in Interviews gerne auch mal in Zeichensprache. „Wir haben uns immer schon ziemlich unabhängig gefühlt“, erklärte die US-Künstlerin, die mit Sierra beim diesjährigen Donaufestival für die Kuratierung des ersten Wochenendes (28. bis 30. April) zuständig zeichnet, an dem auch vier neue Performances des Duos am Programm stehen.
Dabei werden auch die Gattungen gesprengt: Biancas „Nightshift“ ist morbid-surreales Tanztheater, das, ebenso wie das Konzert „Die achte Nacht“, vor wenigen Wochen im Hamburger Kampnagel aus der Taufe gehoben wurde. Ihre Schwester bringt die Uraufführung des experimentellen Opern-Projekts „Soul Life“ nach Krems, und schließlich werden für „Harmless Monster“ eingesendete Fan-Videos verwertet und mit Musik unterlegt. „Es gibt Überschneidungen bezüglich der Themen“, meint Bianca gegenüber der APA, teils habe man zusammen an den verschiedenen Projekten gearbeitet. „Aber ein verbindendes Konzept dahinter ist nicht wirklich vorhanden. Es ist einfach eine Möglichkeit, etwas ganz Neues auszuprobieren und uns künstlerisch weiter zu bringen.“
Neben Oper, Theater und Tanz (Bianca ist bei „Nightshift“ auch für die Regie verantwortlich) wird es von CocoRosie aber künftig weiterhin Musik geben, aktuell arbeite man gerade an neuen Songs. „Nachdem wir diese Theater- und Tanzprojekte gemacht haben, wurden wir auch davon inspiriert, diese Dinge in die Performance von CocoRosie zu integrieren“, resümiert die derzeit in Paris lebende Künstlerin. „Statt zwischen den einzelnen Gattungen zu wechseln, werden wir das Bild von CocoRosie damit erweitern und öffnen.“ Die neuen Songs werden in Krems aber wahrscheinlich nicht zu hören sein: Im Juni sollen erste Singles kommen (etwa „We Are On Fire“), das Album dann im Herbst.
Für das Konzert „Die achte Nacht“ darf man sich dennoch „neues“ altes Material erhoffen: „Da es eine Kollaboration mit der indischen Band Rajasthan Roots ist, werden wir die älteren Lieder anders präsentieren. In gewisser Art und Weise mussten wir sehr anpassungsfähig sein, um mit ihnen zu arbeiten. Es war ein sehr mysteriöses Experiment, aber wir sind glücklich damit.“ Ebenso positiv sieht das erste Resümee nach der Premiere von „Nightshift“ in Hamburg aus, wobei: „Das bedeutet nicht, dass das Stück bei künftigen Aufführungen keine Arbeit mehr erfordert“, wie Bianca zu bedenken gibt. „Es ist noch immer sehr roh, weil es erst am Ende entstanden ist. Jedes Mal, wenn wir es in einem neuen Umfeld zeigen, muss es durch eine Transformation gehen und sieht wieder anders aus.“
Inhaltlich geht es dabei um „Ausgestoßene und darum, einen intimeren Blick auf die Einsamkeit und Entfremdung dieser Menschen zu werfen“, erklärt die Musikerin. Ein Mädchen wird in junge Jahren verlassen, wandelt sich vom Hausmädchen zur Prostituierten und landet schließlich auf einem Friedhof. „Sie fällt im Laufe des Stücks mehr und mehr auseinander und wird zu einer gebrochenen Person“, so Bianca, die damit auch die Distanz, die oft zu solchen Menschen aufgebaut wird, beleuchten will. „Wir bemerken sie gar nicht. Weder ihre Menschlichkeit, noch nennen wir ihre Namen.“ Die finale Botschaft des Stücks kommt von der Ausgestoßenen selbst: „Es ist okay, mich zu bemerken und meinen Namen zu nennen.“
Die Figur findet in der Video-Performance „Harmless Monster“ ihre Weiterentwicklung, zwölf eingeschickte Fan-Filme wurden dafür ausgewählt. „Es gab mehr als 300. Ich habe aber gemischte Gefühle diesbezüglich“, erklärt Bianca. „Viele der Filme passten nicht zum Thema. Es war um ehrlich zu sein schwer, jene Beiträge zu finden, die uns wirklich inspiriert haben.“ Der künstlerisch beizeiten nicht zu kontrollierende Aspekt eines solchen offenen Aufrufs gefalle ihr aber durchaus: „Es war sehr herausfordernd. Man weiß einfach nie, was man bekommt.“
„Die Vertreibung ins Paradies“, wie das diesjährige Motto des Donaufestivals lautet, ist für Bianca auch eine Phrase, die sehr gut zu CocoRosie passt, die Kunst als Vehikel sehen, eine eigene Realität und Jenseitigkeit zu erzeugen. Wohl auch etwas, das sie und ihre Schwester mit Künstlern wie Antony, Laurie Anderson oder Sissy Nobby gemein haben, die von den Beiden für das erste Wochenende nach Krems eingeladen wurden. „Es war viel Arbeit. Aber ich liebe diese Idee, eine Art Familienbaum aufzustellen: wir im Zentrum und davon ausgehend die Verästelungen.“
(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E - http://www.donaufestival.at)