Streit um Sparkurs

Wilders bringt Regierung in den Niederlanden zu Fall

Ministerpräsident Mark Rutte hat bei Königin Beatrix den Rücktritt seiner Regierung eingereicht. Rechtspopulist Geert Wilders hat die Minderheitsregierung des Landes nach einem Streit um Einsparungen bei der Euro-Rettung zu Fall gebracht.

Den Haag – Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders hat die Minderheitsregierung des Landes nach einem Streit um Einsparungen bei der Euro-Rettung zu Fall gebracht. Der rechtsliberale Ministerpräsident Mark Rutte sah sich am Montag gezwungen, Königin Beatrix den Rücktritt seines Kabinetts anzubieten. Zuvor hatte Wilders, der Chef der rechtspopulistischen Freiheitspartei PVV, verkündet, das Minderheitskabinett aus Ruttes VVD und der christdemokratischen CDA nicht mehr zu unterstützen.

Am Wochenende waren die seit März andauernden Verhandlungen der Rutte-Regierung mit Wilders gescheitert. Ohne die Stimme der PVV kann das Kabinett den Haushalt aber nicht durch das Parlament bringen und auch keine anderen wichtigen Gesetze bestätigen lassen. Das Haager Parlament will darüber sowie über Auswege aus der Krise an diesem Dienstag in einer Sondersitzung beraten. Die Vorgängerregierung war vor zwei Jahren am Streit über den Militäreinsatz in Afghanistan zerbrochen.

Bei Zustimmung der Königin zum Rücktritt müssen in etwa 80 Tagen Neuwahlen stattfinden. Das Rutte-Kabinett soll zunächst als Übergangsregierung im Amt bleiben, kann aber keine wesentlichen Entscheidungen mehr durch das Parlament bringen. Dazu gehört ein Paket von Sparmaßnahmen, die nach Angaben Ruttes erforderlich sind, um die Auflagen des EU-Fiskalpaktes erfüllen zu können.

Bei der EU in Brüssel hieß es, man vertraue trotz der Krise in den Niederlanden darauf, dass Den Haag sich an die europäischen Spielregeln halte. Das Land müsse erreichen, dass das Staatsdefizit wie im Fiskalpakt vorgesehen nicht über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anwächst. Davon sei auch EU-Währungskommissar Olli Rehn (Finnland) überzeugt, erklärte dessen Sprecher vor Reportern in Brüssel. „Dabei geht es nicht um Brüssel, sondern darum, dass dies gut wäre für die Niederlande und ihre Bürger“, sagte er.

Der niederländische Finanzminister Jan Kees de Jager erklärt, das Kabinett in Den Haag wolle ungeachtet der akuten politischen Krise im Parlament „Tweede Kamer“ um Unterstützung für die Sparpläne und die Einhaltung der EU-Regeln nachsuchen. Man hoffe auf Hilfe durch die Opposition für jeweils erforderliche Mehrheiten. Brüssel erwarte auch von den Niederlanden, dass sie bis zum 30. April verbindliche Pläne zur Begrenzung des Haushaltsdefizits auf maximal drei Prozent vorlegen.

Aus nach 558 Tagen

Für Stabilität sind niederländische Regierungen nicht gerade berühmt. Doch noch schneller als das Kabinett von Mark Rutte haben seit dem Zweiten Weltkrieg nur drei der fast 30 Regierungen des Königreichs an der Nordsee aufgeben müssen. Nach 558 Tagen war am Montag für die Koalition aus Ruttes rechtsliberaler Volkspartei für die Freiheit (VVD) mit den Christdemokraten (CDA) das Aus gekommen. Es war ein Ende mit Ansage: Praktisch schon bei der Regierungsbildung hatte sich die Opposition - allen voran die Sozialdemokraten unter dem ehemaligen Amsterdamer Oberbürgermeister Job Cohen - quasi mit verschränkten Armen zurückgelehnt und auf diesen Moment gewartet. „Das war doch alles abzusehen“, hört man nun, und manche Kommentare triefen vor Häme.

Tatsächlich galt die von Rutte inszenierte Konstruktion einer politischen Duldung durch den Rechtspopulisten und Islamhasser Geert Wilders und dessen Freiheitspartei PVV von Anfang an als fragil. Ruttes Kabinett war stets ein Kabinett von Wilders Gnaden. Selbst mit den Stimmen der ihm weitgehend hörigen PVV kam die Regierungskoalition im Parlament nur auf 76 der 150 Mandate; später - nach dem Fraktionsaustritt eines PVV-Abweichlers nur noch auf 75.

Zumindest indirekt wurde Ruttes liberal-christdemokratische Regierung ein Opfer der Eurokrise. Als Wilders am vergangenen Freitag nach wochenlangem Tauziehen seine Unterstützung aufkündigte, tat er das offiziell aus Protest gegen die Sparpläne, mit denen Den Haag die Bedingungen des Eurofiskalpaktes erfüllen wollte. Um 14,2 Milliarden Euro aus dem Haushalt heraussparen zu können, wollte Rutte neben der Kürzung der Entwicklungshilfe, die Wilders begrüßte, die Mehrwertsteuer und die Krankenkassenbeiträge erhöhen und das Rentenalter auf 66 Jahre ab 2015 anheben.

Wilders will selbst an die Macht

Wilders, der mit seiner Anti-Islam-Rhetorik politisch schon lange nicht mehr richtig punkten konnte, sah seine Chance: Er schlüpfte immer mehr in die Rolle des EU-feindlichen Vorkämpfers der sozial schwächeren, vor allem der Alten: Es könne nicht angehen, dass Hollands Rentner für die Fehlleistungen mächtiger Brüsseler Eurokraten „bluten müssen“.

Das Kalkül des Populisten mit der hellblonden Haartolle scheint vielen Beobachtern klar: Er will an die Macht. Trotz eines rasanten Aufstiegs der PVV innerhalb weniger Jahre zur mit 31 Mandaten stärksten Partei im Parlament, war Wilders bei der Regierungsbildung 2010 ein Platz am Kabinettstisch versagt geblieben.

Nur als „Duldungspartner“ wollten die bürgerlichen Parteien ihn seinerzeit mitmischen lassen. Bei Neuwahlen, die nun unumgänglich scheinen, hofft er, stärker denn je abschneiden und dann den Posten des Regierungschefs beanspruchen zu können. Der Rechtspopulismus in Europa würde durch ein solches „Beispiel Holland“ wohl Auftrieb bekommen, zumal auch bei den Wahlen in Frankreich das extrem rechte Le-Pen-Lager unerwartet stark abschnitt.

Sorgen in Brüssel sind durchaus berechtigt, wie aus einer aktuellen Analyse der Wirtschaftsabteilung der Bank BNP Paribas hervorgeht. Weil die Regierung Rutte bis zu Neuwahlen lediglich die Amtsgeschäfte führen, aber nichts wirklich bewegen könne, werde Holland die Zielstellung des Fiskalpaktes für eine Obergrenze des Staatsdefizits von drei Prozent nicht erreichen.

Top-Rating in Gefahr

Zudem hätte eine Übergangsregierung nicht die Befugnis, weitere Euro-Beschlüsse in Brüssel anzunehmen. Obendrein sehen Analysten am Frankfurter Bankenplatz nach dem Scheitern der Regierung die Topbewertung der Niederlande bei der Kreditwürdigkeit in Gefahr - der Euro könnte weiter unter Druck geraten und die Eurokrise sich verschärfen.

Einmal mehr steht die Frage im Raum, ob Wahlen in Zeiten der Eurokrise Populisten - linke wie möglicherweise demnächst in Griechenland oder rechte wie nun vielleicht in Holland - zur Macht verhelfen könnten. Verhindern könnten dies nach Ansicht vieler Beobachter in Den Haag wohl nur die Sozialdemokraten, wenn sie ihre Abneigung gegen ein Zusammengehen mit Ruttes Liberalen und den Christdemokraten aufgeben. (APA/dpa)