Entrüstung über NSDAP-Vergleich von Berliner Pirat
Ein Nazi-Vergleich und die Debatte um Rechtsextreme in den eigenen Reihen bringen die deutschen Piraten wenige Tage vor ihrem Bundesparteitag in Bedrängnis.
Berlin – „Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933“ – Mit diesem Vergleich, den er gegenüber dem Spiegel zog, löste der parlamentarische Geschäftsführer der Piratenfraktion, Martin Delius, eine Welle der Empörung aus.
Eine Woche vor dem Bundesparteitag in Neumünster zog Delius daraufhin seine Kandidatur für den Bundesvorstand zurück. So, wie er „unter dem Eindruck dieser Äußerung künftig wahrgenommen würde“, könne er im Vorstand nicht mehr bewegen, was er bewegen wolle. Ein Niederlegen seines Abgeordneten-Mandats stand zunächst nicht zur Debatte.
In seinem Blog bestätigte Delius, richtig zitiert worden zu sein. Er räumte Fehler ein. Die Piratenpartei und die NSDAP von Adolf Hitler seien „nicht vergleichbar“. Gegenüber der Berliner Zeitung vom Montag räumte der 27-Jährige ein, die Wahrnehmung der Piratenpartei sei durch seine unbedachten Äußerungen in Mitleidenschaft gezogen worden. Dafür übernehme er die Verantwortung.
Parteikollegen distanzieren sich von Äußerungen, stehen aber hinter Delius
Der Bundesvorsitzende der Piraten, Sebastian Nerz, distanzierte sich von den Äußerungen seines Parteikollegen: „Die NSDAP als Vergleich heranzuziehen ist natürlich völliger Unsinn“, sagte er dem Berliner Tagesspiegel (Montagausgabe). Einen Rückzug aus dem Parlament hätte er Delius allerdings nur dann empfohlen, „wenn er wirklich Parallelen zwischen uns und der NSDAP ziehen und eine Nähe zwischen beiden Parteien herstellen würde“, sagte er der Welt. Ob Delius sein Mandat niederlege, sei allein Sache der Fraktion im Landesparlament. Abgeordnete seien zudem „ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet“.
Ähnlich reagierte der Piraten-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Andreas Baum: Delius habe sofort Konsequenzen gezogen und erkannt, dass er „absoluten Blödsinn und Quatsch“ geredet habe, sagte Baum dem Fernsehsender N24. Seine Parteikollegen warnte er jedoch vor weiteren Entgleisungen. „Wenn das noch Wochen und Monate weitergeht mit solchen Ausfällen, befinden wir uns in einer Situation, die ich mir gar nicht ausdenken möchte“, sagte Baum.
Kritiker werfen der Piratenpartei immer wieder vor, in ihren Reihen Rechtsextreme zu tolerieren. Für Aufregung sorgte in den vergangenen Tagen etwa der aus formalen Gründen gescheiterte Parteiausschluss des rheinland-pfälzischen Parteimitglieds Bodo Thiesen wegen umstrittener Äußerungen zum Holocaust und dem Krieg von Nazi-Deutschland gegen Polen. Umstritten ist auch der Berliner Landeschef Hartmut Semken, der in seinem Blog für einen „toleranten Umgang mit rechten Parteifreunden“ plädierte. In ihrer Satzung lehnt die Bundespartei „totalitäre, diktatorische und faschistische Bestrebungen jeder Art“ entschieden ab.
Andere Parteien fordern klare Abgrenzung
In den anderen Parteien hält die Empörung über Delius‘ Äußerung an. Grünen-Chefin Claudia Roth sprach in der Welt etwa von einer „ungeheuerlichen Grenzüberschreitung“. Sollten die Piraten „auch am rechten Rand fischen wollen“, würden sie sich als Partei der Teilhabe endgültig diskreditieren. Der Grünen-Parlamentsgeschäftsführer im Bundestag, Volker Beck, warf den Piraten ein „echtes Abgrenzungsproblem“ vor. Die Piraten machten sich schuldig, wenn sie Rechtsextreme in ihren Reihen duldeten.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte Spiegel Online am Sonntag, die Piraten müssten „klarstellen, dass mit ihren rechtsextremistischen Umtrieben nicht der Eindruck entsteht, sie fischten rechte Proteststimmen ab“.
Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz warf den Piraten vor, sich um die Abgrenzung zu Rechtsextremen zu drücken. „Da kann man sich nicht länger mit Anfangsschwierigkeiten und dem schnellem Wachstum der Partei herausreden“, kritisierte er in der Welt. Was die Äußerung zur NSDAP betreffe, müssten wohl „mehrere Kurzschlüsse im Kopf des Piratenpolitikers Delius vorhanden sein, um einen solch unsäglichen Vergleich zu ziehen“.
Politologe: Piratenpartei ist nicht rechtsextrem
Der Politologen Oskar Niedermayer erkennt in der Piratenpartei keinerlei Nähe zu rechtsextremem Gedankengut. „In ihrer Programmatik lassen sich keine Anklänge an rechtsextremes Gedankengut erkennen“, sagte der Professor an der Freien Universität Berlin am Montag in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Nach seiner Einschätzung wurden der Partei vielmehr ihre Unerfahrenheit und das Gebot der Transparenz zum Verhängnis. „Den Charme der Piraten macht ja sozusagen aus, dass sie ‚Amateure‘ sind und bleiben wollen“, erklärt der Politikwissenschaftler. „Das bedeutet auch, dass sie in Fallen tappen, in die ein professioneller Politiker nicht tappt.“ Ihre öffentliche Diskussionskultur mache die Piraten attraktiv, aber auch anfällig.
Die Spitze der Piratenpartei sei jetzt gefordert, zum Umgang mit dem Rechtsextremismus beim Bundesparteitag „klare Kante“ zu zeigen. „Die Führung, die ja immer noch keine sein will und darf, muss jetzt handeln und Flagge zeigen“, steht für den Experten fest.
(tt.com/dpa/APA/AFP)