Niederlande

Niederlanden droht monatelanges politisches Vakuum

Forderungen nach einem Urnengang noch vor der Sommerpause seien nicht mehr mehrheitsfähig. Die Ratingagentur Moody‘s warnt vor negativen Folgen durch das Scheitern der Sparverhandlungen.

Amsterdam - Den Niederlanden droht nach dem Rücktritt ihrer Regierung inmitten der Haushaltskrise ein monatelanges politisches Vakuum. Der kommissarisch noch amtierende Ministerpräsident Mark Rutte sagte am Dienstag, er sehe nicht, dass sich das Parlament auf Neuwahlen vor der Sommerpause einige. Daher rechne er mit einem Urnengang am 12. September.

Der Rechtspopulist Geert Wilders, der Ruttes Minderheitsregierung mit seinem Widerstand gegen die Sparpläne am Wochenende zu Fall gebracht hatte, erklärte die Wahl umgehend zu einem Referendum über Europa und die Souveränität der Niederlande. Zugleich machten mehrere Oppositionsparteien in einer Krisensitzung des Parlaments deutlich, dass sie die anvisierten Haushaltskürzungen der Regierung von 14 bis 16 Milliarden Euro nicht mittragen wollen.

Der Sparkurs, der die Neuverschuldung 2013 auf das von der Europäischen Union vorgeschriebene Niveau drücken soll, ist damit akut gefährdet. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle warnte davor, ihn zu verwässern. Deutschland läuft im Kampf gegen die europäische Schuldenkrise Gefahr, mit den Niederlanden einen der engsten Verbündeten zu verlieren.

„Wir wollen die Ausgaben nicht um 14 Milliarden Euro kürzen und zugleich Milliarden Euro an Brüssel für den schrecklichen Krisenfonds ESM und die schwachen Griechen überweisen“, begründete Wilders vor den Abgeordneten seine Ablehnung. Emile Roemer, Chef der Sozialisten, die Umfragen zufolge bei Neuwahlen deutlich hinzugewinnen könnten, sagte, er habe Verständnis dafür, dass die Finanzen in Ordnung gebracht werden müssten. „Aber man kann nicht rigoros kürzen, weil das der Wirtschaft und den Menschen wehtut.“ Das Defizitziel von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sei nicht machbar.

Die Niederlande müssen 2013 ihr Defizit auf diese Marke senken. Dazu sind massive Einsparungen nötig, ansonsten steuert das Land laut Prognosen auf 4,6 Prozent zu. Rutte sagte, er müsse bis Montag der EU seinen Haushaltsplan vorlegen. Es sei unwahrscheinlich, dass die Niederlande mehr Zeit zum Erreichen des Defizitziels eingeräumt bekämen oder in Brüssel mit Nachsicht rechnen könnten.

Mehrere Abgeordnete plädierten dennoch für ein Abrücken vom Sparkurs. Der Chef der Sozialdemokraten, Diederik Samsom, sagte, das Drei-Prozent-Ziel müsse nicht zwingend eingehalten werden, wenn die Wirtschaft sich in einer Ausnahmesituation befinde. Er sprach sich für 3,6 Prozent aus, Wilders hielt sogar 4,0 Prozent für vertretbar.

Der Fraktionschef der mitregierenden Christdemokraten, Sybrand van Haersma Buma, warnte dagegen vor einem Abrücken von den Stabilitätskriterien. „Wir riskieren eine Strafe, die bis zu 1,2 Milliarden Euro betragen kann.“ Rutte forderte die Abgeordneten zur Unterstützung auf. „Stillstand ist nicht gut für die Niederlande. Die Probleme sind ernst, die Wirtschaft tritt auf der Stelle, der Arbeitsmarkt ist unter Druck und die Staatsschulden steigen schneller, als die Niederlande es sich leisten können“, sagte er. „Das sind die Fakten, und niemand kann vor ihnen davonlaufen.“

Rutte hatte am Montag die Konsequenzen aus den gescheiterten Budgetverhandlungen gezogen und den Rücktritt seines Kabinett eingereicht. Wilders wollte den Sparkurs nicht mittragen. Auf die Stimmen seiner Freiheitspartei war die liberal-christliche Minderheitsregierung jedoch angewiesen.

Während der Parlamentsdebatte sagte Rutte, er sehe Raum dafür, dass er sich doch noch mit der Opposition auf einen Haushaltsplan für 2013 einigen könne. Doch der Fraktionschef der Liberalen sagte wenig später, er sei angesichts der tiefen Gräben zwischen den politischen Lagern nicht zuversichtlich, dass eine Übereinkunft erzielt werde.

An den Finanzmärkten wird die Lage mit Argusaugen verfolgt. Es wird befürchtet, dass euroskeptische Parteien die Oberhand gewinnen könnten. Vorerst genossen die Niederlande jedoch das Vertrauen der Anleihemärkte weiter. Am Dienstagvormittag deckte sich das Land erfolgreich mit frischem Geld ein. Bei der Aufstockung von Anleihen mit Laufzeiten bis 2014 und 2037 sammelte die Finanzagentur knapp zwei Milliarden Euro ein. Die Ratingagentur Moody‘s behielt zudem zunächst die Einstufung AAA als Topschuldner bei. Sie warnte aber vor einer möglichen Herabstufung, falls das Land in seinem Sparbemühen nachlasse.

Westerwelle betonte in Berlin nach einem Treffen mit seinem Luxemburger Kollegen Jean Asselborn: „Wir sehen uns als Wächter und Motoren der europäischen Entwicklung.“ Beide Länder wollten den Weg zu einer Stabilitätsunion weiter gehen. „Wir sind davon überzeugt, dass eine Infragestellung der Stabilitätsunion, wie sie mit dem Fiskalpakt verbunden ist, (...) nicht vernünftig ist.“ Wie schon Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag betonte er aber auch die Bedeutung von Wachstum. Darauf müsse verstärkt geachtet werden. Haushaltsdisziplin könne nicht alles sein. (Reuters/APA)