„Ich fühlte keine Schmerzen, mir war nur sehr heiß“
Zum ersten Mal saß Anders Behring Breivik am Mittwoch einem seiner Opfer gegenüber. Am Nachmittag hatte der Angeklagte noch einmal das Wort.
Oslo – Selbst die Staatsanwälte hatten am achten Verhandlungstag Tränen in den Augen. Überlebende des Bombenanschlags im Osloer Regierungsviertel, der acht Menschen das Leben kostete, schilderten die Momente, die ihr ganzes Leben veränderten. Nur einer verfolgte die Aussagen mit unbewegtem, ernstem Gesicht: Anders Behring Breivik, der geständige Angeklagte.
„Mein Überlebensinstinkt lief an“
„Ich kann mich an alles erinnern“, sagte Eivind Dahl Thoresen. Der 26-Jährige telefoniert gerade mit einem Freund, als er plötzlich einen lauten Knall hörte. „Ich sah Flammen, riss meine Arme hoch, um mein Gesicht zu schützen. Ich spürte keine Schmerzen, mir war nur sehr heiß, wie wenn man zu lange in der Sauna bleibt“, berichtet der 26-Jährige. Er habe einen anderen Verletzten gesehen, wollte ihm helfen. Erst da realisierte er, dass er selbst schwer verletzt war. „Blut strömte aus meinem linken Arm.“
Ein Mann namens Eric sei zu ihm gekommen. Er habe aber nicht gewusst, wie er dem Verletzten helfen könne. Er habe sich an eine Tasche mit Kleidung erinnert, die er bei sich gehabt habe. Er habe dem Helfer gesagt, diese zum Stoppen der Blutungen zu benutzen. „„Mein Überlebensinstinkt lief an. Aber ich hatte Angst, meine Beine verloren zu haben, weil ich noch immer keine Schmerzen hatte.“
Mit dem Rettungswagen wurde er in die Klinik gebracht. Unter Tränen schilderte Thorensen, wie er immer noch glaubte, sterben zu müssen und ihn ein Sanitäter tröstete. Seit der Explosion wurde er fünf Mal operiert. Noch immer geht er an Krücken, kann seinen Arm kaum bewegen. Bei lauten Geräuschen bekommt er Angstanfälle. Noch immer finden Ärzte Splitter in seinem Körper.
Dreizehn Operationen, Schmerzen und Angst
Die Aussage von Vidar Vestil wird verlesen. Er wollte an dem Tag seine Frau abholen, die in dem Regierunsgviertel arbeitete, als die Bombe hoch ging. Noch immer liegt er im Krankenhaus, wurde bisher dreizehn Mal operiert. Staatsanwalt Svein Holden schilderte die Verletzungen: Vestil verlor ein Bein, sein Oberkörper war voller Bombensplitter. Er hatte einen Schlaganfall und kann nicht mehr richtig sehen. „Psychisch bin ich völlig am Boden“, sagte er aus.
Staatsanwältin Inga Bejer Engh las anschließend die Aussage von Tone Marie With. Die 46-Jährige war auf dem Weg, Katzenfutter zu kaufen, als sie von der Bombe schwer verletzt wurde. Sie beschrieb, wie sie einen unglaublichen Druck verspürte, wie sie dachte, sterben zu müssen, wie ein Mann ihr zu Hilfe kam, sie stütze und zum Krankenwagen brachte. Sie habe ein Loch in ihrer Brust gesehen. Sie leidet unter Angstzuständen und unerträglichen Schmerzen. Nach ihrer Aussage wurde die Verhandlung für eine Stunde unterbrochen.
Breivik zu Gutachten: „Das bin nicht ich“
Nach der Mittagspause hatte Breivik wieder das Wort - vorerst zum letzten Mal. Der 33-Jährige wurde zu den beiden psychiatrischen Gerichtsgutachten befragt, die vor dem Prozess erstellt wurden. Er bezeichnete das erste Gutachten, das ihn für Unzurechnungsfähig erklärte, als „böswillige Erfindung“. Die Gespräche, die er mit den beiden Psychiatern geführt habe, seien nie aufgezeichnet worden, deshalb ließe sich auch nicht beweisen, was er zu den Gutachtern gesagt habe und was nicht. Außerdem warf er den beiden Experten Inkompetenz vor. Er habe die Gutachter gefragt, ob sie schon jemals einen politisch motivierten Attentäter untersucht hätten, sagte Breivik vor Gericht. „Das hatten sie nicht. Meiner Ansicht nach sind sie inkompetent“, fügte er hinzu.
Wenn er den Bericht lese, sei auch er der Meinung, die beschriebene Person gehöre in ein „Irrenhaus“. Aber: „Das bin nicht ich“, erklärte Breivik. Staatsanwalt Holden ging das Gutachten detailliert mit dem Angeklagten durch, wollte wisse, welche Passagen erfunden seien. Er leide weder an einer Bakterienphopie noch habe er Angst vor Strahlungen. Er habe keine Angst. Die 250 Zuhörer im Saal schüttelten den Kopf, ab und zu war während der verworrenen Ausführungen ein verhaltenes Lachen zu hören.
Tempelritter gibt es wirklich
Nach einer kurzen Pause befragten die Verteidiger ihren Mandanten. Er habe seine Taten nicht begangen, um sich wichtig und interessant zu machen. Er bekomme nun sicher viel mediale Aufmerksamkeit. „Doch das meiste ist negativ. Das wünscht man sich nicht. Es ist belastend.“
Bei der Frage nach den „Tempelrittern“ bleibt Breivik dabei: Die Vereinigung gebe es, sechs Personen würden insgesamt zu dem Netzwerk gehören. Stimmen habe er niemals gehört, sagte der 33-Jährige. Die Einzelhaft habe er vermutlich leichter ertragen als andere. Als die Psychiater mit ihm sprachen, habe er sich gefreut. Einer der Gutachter habe einen sehr guten Humor. Er sei auch kein Einzelgänger gewesen. Er habe einige Bekannte gehabt, die ihn mochten, denn er sei ein „ziemlich witziger Kerl“.
Er habe keine Angst mehr, ins „Irrenhaus“ eingewiesen zu werden. Seiner Meinung nach sei es für alle deutlich zu sehen, dass er nicht wahnsinnig sei.
In dem ersten Gutachten hatten ihm die Psychiater eine „paranoide Schizophrenie“ attestiert. Das zweite, entgegengesetzte Gutachten stufte den 33-Jährigen jedoch als voll schuldfähig ein. Sollte das Gericht diesem folgen, drohen Breivik 21 Jahre Haft. (tt.com)