Poesie passieren lassen
Ein anarchistischer Zugvogel sucht das schönste Lied der Welt: Willi Resetarits spricht mit der TT über H. C. Artmann, kleine Gitarren und die Träne im Augenwinkel.
Heute und am 2. Mai macht der „Stubnblues“ in Tirol Station. Was darf man da erwarten?
Willi Resetarits: Schöne Lieder. Ich kann im Vorhinein nie genau sagen, was wir dann wirklich machen werden. Wahrscheinlich das, was wir immer tun: Die Dinge einfach passieren lassen, Musik machen und schöne Lieder suchen. Manchmal suchen wir im Studio, manchmal auf der Bühne und jetzt eben in Tirol.
Wird dieses Suchen und Finden von Liedern mit den Jahren leichter?
Resetarits: Die Suche wird spannender, richtig schwierig ist es ja eigentlich nicht. Die Suche nach dem schönsten Lied ist nichts Zermürbendes, man muss es einfach passieren lassen. Erzwingen kann man da nichts. Wenn nichts weitergeht, wenn sich alles staut, dann ist es manchmal schwer. Eigentlich ist es so, wie mein Herr Bruder, der Kabarettist, einmal gesagt hat: „Wonn‘s is, donn is.“ Man muss es nur erwarten können. Einen kreativen Prozess kann man nicht mit der Brechstange herbeiführen, man muss ihn – wie gesagt – passieren lassen.
Ist das neue „Stubnblues“-Album „Ois offn“ auch deshalb ein Live-Album geworden, weil man auf der Bühne mehr passieren lassen kann?
Resetarits: Ein Lied ist erst dann wirklich komplett, wenn es jemandem vorgetragen wird. Und diesen Moment im Studio zu simulieren, allein vor einem Mikrofon, erscheint mir zunehmend problematischer. Wenn ich die Menschen vor mir habe, denen ich etwas erzählen möchte, dann ist das viel einfacher. Auch für die Band: Die Form, wie etwas präsentiert werden muss, damit die Menschen im Publikum Gefallen daran finden und sich berühren lassen, findet sich dann fast von alleine. Im Grunde versuchen wir immer das Unbewusste in diesen Prozess einzubinden. Ich meine, das Unbewusste ist ja eh immer da, dessen muss man sich nur bewusst sein. Darum geht es beim „Stubnblues“. Wir wollen Abläufe, die sich nur schwer auf einen Begriff bringen lassen, in unserem Sinne kanalisieren.
Mit diesem Versuch „scheitert der ‚Stubnblues‘ auf hohem Niveau“ – das jedenfalls haben Sie dem neuen Album vorangestellt.
Resetarits: Unser Ziel ist natürlich unerreichbar. Es muss unerreichbar sein. „Stubnblues“ tritt an, um das schönste Lied der Welt zu finden. Natürlich gibt es dieses Lied gar nicht. Aber die Idee davon treibt uns an, sie leitet all unsere Versuche. Wir haben inzwischen ein paar Kandidaten für die imaginäre Wahl zum schönsten Lied.
Eine imaginäre Castingshow?
Resetarits: Das sind natürlich Gedankenklaubereien. Aber ernsthaft, alles dreht sich um die Frage: Wie kann man sich selbst überlisten, um gute Musik auf den Weg zu bringen?
Der „Stubnblues“ versteht sich als Kollektiv. Sie sind zwar der zugkräftigste Name unter den Musikern, ein Bandleader wollen Sie allerdings nicht sein.
Resetarits: Ich bin der Zugvogel des „Stubnblues“. Aber intern sind wir eine anarchistische Truppe – mit einem starken Anarchen an der Spitze.
Mehrere Lieder auf „Ois offn“ sind Vertonungen von Texten H. C. Artmanns. Was fasziniert Sie an diesen Texten?
Resetarits: Artmann hat mich erwischt. Ich bin ein blinder Verehrer. Seine Worte und Sätze gelten. Irgendwann kommt immer der Moment, in dem einem die Wahrheit seiner Sätze klar wird. Artmann ist die Richtschnur. Er weist den Weg. Überall, wo ich im Leben hinkomme, habe ich das Gefühl, der Artmann war schon da. Zudem ist er für mich eine beständige Mahnung, dass man nicht schlampig sein darf mit den Worten und Sätzen.
Die Wirkmacht seiner Sprache hat mit den Jahren sogar zugelegt. Der „Bluadbankdirektor“ ist als Kommentar zur Weltwirtschaft kaum zu toppen.
Resetarits: Das ist eine schöne Interpretation. Grundsätzlich gilt, dass gute Lyrik es vermag, im Kopf des Lesers oder Hörers eigene Gedanken auf den Weg zu bringen.Manche Texte denkt man immer wieder zu Ende, und jedes Mal auf eine andere Art.
Wie entscheidet sich, welche Lieder den Weg auf ein Album finden?
Resetarits: Es ist so wie in diesen Naturfilmen, die ich so gern schaue. Ein Vogerl streunt orientierungslos umher, legt da ein Hölzchen hin und scharrt da ein bisschen. Alles wirkt planlos und am Ende ist ein wunderbares Nest entstanden.
Auf dem neuen Album greifen Sie im Lied „Niemois soids“ zur Ukulele.
Resetarits: Ja, das ist auch so passiert.Irgendwann ist in mir das Lied „May you never“ von John Martyn hochgekrochen. Ich liebte es schon in den 70ern, dann ging es komplett verschütt in meinem Hirn und plötzlich war es wieder da. Ich hab‘s ins Wienerische übersetzt und es „Niemois soids“ genannt. Aber spielen hab ich es mich nicht getraut. Martyn ist ein begnadeter Gitarrist und über den Gitarrenpart in dem Lied traut sich eigentlich keiner. Also hab ich mir eine kleine Gitarre zugelegt, für einen kleinen Gitarristen. Und, siehe da, es funktioniert gar nicht schlecht. Der Zauber des Liedes ist noch da.
Der Grundton von „Ois offn“ ist melancholisch ...
Resetarits: Ich halt es mit Schubert. Der hat gesagt, dass das wirklich schöne Lied das traurige sei.Grad in der Traurigkeit, in der Träne im Augenwinkel, liegt eine wunderbare Kraft, eine Form der Hoffnung. Mein Freund, der Ostbahn Kurt, hat gesagt: „Wünschen hilft.“ Hoffen auch. Hoffen ist der erste Schritt, etwas in Gang zu setzen.
Das Gespräch führte Joachim Leitner