Der allergische Extremfall
Der anaphylaktische Schock ist die schwerste allergische Reaktion. Er kommt nicht häufig vor, kann aber tödlich enden. Potenziell Betroffene sollten sich austesten lassen.
Von Nicole Unger
Innsbruck –Es sind die warmen Temperaturen und die süßen Verlockungen in Form von Obst und Säften, die Wespen, Bienen und Hummeln in den nächsten Wochen wieder magisch anziehen werden. Für die meisten Menschen sind die Tierchen einfach nur lästig, für einige Allergiker brandgefährlich. „Bei Erwachsenen sind es an erster Stelle Insektenstiche, vorwiegend Wespen, die zu einem allergischen – anaphylaktischen – Schock führen können“, erklärt Stefan Wöhrl, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Allergologie der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie in Wien. Danach folgen Medikamente wie Antibiotika, Latex und Nahrungsmittel, allen voran Erdnüsse.
Anaphylaxie-gefährdete Kinder leiden wiederum in erster Linie an einer nahrungsmittelabhängigen Allergie. Lebensmittel wie Kuhmilch, Eier, Meeresfrüchte und Fisch können mögliche Schockauslöser sein, erst dann kommen Insektenstiche. „Man wird erst beim zweiten Kontakt allergisch, nachdem das Immunsystem das Allergen erkannt hat. Viele kleine Kinder sind noch niemals von einer Wespe oder einer Biene gestochen worden“, erklärt der Allergologe den Unterschied.
Anaphylaktische Schockreaktionen sind die gefürchtesten Akutereignisse bei Allergien. Sie kommen nicht sehr häufig vor, aber wenn, sind sie lebensgefährlich, weil sie plötzlich einsetzen und den ganzen Körper betreffen. Das Ausmaß der Beschwerden ist schwer einschätzbar. Neben Schwellungen an Gesicht und Hals, Juckreiz und Nesselausschlag können binnen kürzester Zeit auch Atemprobleme, Herzrhythmusstörungen, Übelkeit und Erbrechen, Kreislaufversagen und Schwindel einsetzen. Hinzu kommt ein mögliches Verletzungsrisiko bei einem Sturz.
Etwa 500 bis 800 Menschen erleiden in Österreich pro Jahr einen allergischen Schock. Pro Jahr sterben zumindest zwischen fünf und zehn Personen an Schockreaktionen nach einem Insektenstich, schätzen die Mediziner. Die Dunkelziffer dürfte allerdings viel höher sein, betonten Experten rund um Stefan Wöhrl vor Kurzem anlässlich der Welt-Allergiewoche in Wien.
Betroffen sind sowohl junge als auch alte Menschen. „Es gibt auch 70-Jährige, die plötzlich allergisch reagieren. Spezielle Risiko- oder Schutzfaktoren gibt es keine“, sagt Wöhrl.
Die wichtigste Gegenmaßnahme wäre die Prophylaxe. So sollten alle Personen, die schon einmal eine stärkere und länger anhaltende allergische Reaktion gehabt haben, in einem Allergie-Labor entsprechend ausgetestet werden, fordert der Mediziner. Leider ist das Bewusstsein bei vielen Allergikern nicht geschärft. „Es gibt immer noch Patienten, die nach einem allergischen Schock erzählen, sie seien bereits vor Jahren aufgrund eines Bienenstichs vom Notarzt in die Klinik eingeliefert worden, haben die Tatsache aber ignoriert“, wundert sich Wöhrl. Dabei gebe es gerade bei Insektenstichen – ähnlich wie beim Heuschnupfen – eine äußerst wirksame Immuntherapie mit Spritzen. Bei Lebensmittelallergien steht vor allem die Vermeidung der Auslöser im Vordergrund. Eine gute Deklaration ist für Allergiker daher lebenswichtig. Bei Erdnüssen reicht bereits ein Gramm auf eine Tonne, das zu einem allergischen Schock führen kann, so Wöhrl.
Sollte keine Immuntherapie gegen die Allergie möglich sein, wird potenziell Gefährdeten geraten, immer ein Notfallset mit einem Adrenalin-Pen dabei zu haben. Im Fall der Fälle kann so das lebensrettende Adrenalin verabreicht werden. Erschreckenderweise hat eine US-Studie ergeben, dass selbst bei bekannter Gefährdung in nur knapp 30 Prozent der Fälle die Notfallmedikation zur Anwendung kam.
„Wir wollen keine Panik machen, nur darauf hinweisen, dass man etwas tun kann“, sagt Wöhrl, der wie seine Kollegen um Aufklärung bemüht ist. „Obwohl wir ein sehr gutes Notarztsystem haben, ist der Arzt in vielen Fällen trotzdem zu spät.“ Das Gefährlichste sei das Zuschwellen im Hals, das könne innerhalb weniger Minuten passieren. Bei auftauchenden Symptomen sollte vom Betroffenen oder seinen Begleitern sofort das Medikament verabreicht werden, um Schlimmeres zu verhindern.