Der Hauptmann und seine muslimische Gefangene

Angelina Jolie erzählt in ihrem Regiedebüt „In the Land of Blood and Honey“ vom Grauen des Bosnien-Krieges als Familienepos.

Von Peter Angerer

Innsbruck –Bis zur Auflösung Jugoslawiens wurde jedes Jahr bei den Filmfestspielen in Pula bis 1991 die Jahresproduktion von zwanzig Spielfilmen der planwirtschaftlich geführten Filmstudios präsentiert und dazu wurden auch die in der kroatischen Hafenstadt stationierten Matrosen und Soldaten in das römische Amphitheater geführt. Jeder Kinoabend begann mit einem so genannten Partisanenfilm, denn die Hälfte der staatlichen Filmproduktion galt der Erinnerung an die Bauern und Arbeiter, die unter Titos Führung gegen Nazis, Faschisten und Ustascha gekämpft hatten. Diese von Tito geliebten Filme folgten einem vorgeschriebenen Muster. Eine von ihrem Geliebten verlassene Frau verriet oft in Verbindung mit einem erotischen Abenteuer den „Schwarzen Horden“ das Versteck der Partisanen, die in der Folge auch arg dezimiert wurden. Dieser Verrat mobilisierte aber die bisher unbeteiligte Bevölkerung. Die Wende begann mit der Vergewaltigung und Tötung der Verräterin. Das war unter dem Sternenhimmel in der Arena für die 4000 Matrosen und Soldaten das Zeichen zu grölen und euphorisch zu pfeifen. Das waren dann neben einigen Meisterwerken, die es in Pula auch zu sehen gab, die erschütterndsten Momente, die einem Gast aus dem Ausland aus dieser Epoche jugoslawischen Filmschaffens in Erinnerung blieben. Der Zerfall war bereits in diesen Filmen zu sehen. Mit diesen Bildern im Kopf mussten diese Matrosen und Soldaten in den 90er Jahren in unterschiedlichen Uniformen und an verschiedenen Fronten wieder in Kriege ziehen.

Angelina Jolie beginnt die Erzählung in ihrem Regiedebüt „In the Land of Blood and Honey“ 1992 in einem Tanzlokal in Sarajewo. Ajla (Zana Marjanovic) reibt ihre Wange an Danijel (Goran Kostic), der durch seine Polizeiuniform auffällt. Nach der Explosion einer Bombe kümmern sich Ajla und Danijel um die Verletzten, schreien nach Blutkonserven. Im nächsten Bild begegnen sich beide in Bosnien als Feinde. Danijel kehrt als Hauptmann der serbischen Armee zurück, Ajla wird seine persönliche bosnische Gefangene. Dieser Status schützt die Muslimin (mit serbischer Mutter) vorerst vor der Vergewaltigung durch niedere Ränge, denn die Massenvergewaltigung verfolgt neben dem Zweck der Erniedrigung auch politische Ziele. So offen erklärt das Danijels Vater, der General Nebojsa Vukojevich (Rade Serbedzija), der seit der Ermordung seiner Familie durch eine Bande von Ustascha-Kämpfern und Moslems im Zweiten Weltkrieg jeden Bosnier hasst und fürchtet.

Nachdem bosnische Männer um eine Straßenecke geführt werden, ist anschließend aus dem Off Maschinengewehrfeuer als Verweis auf die Massaker von Srebrenica zu hören. Danijel sagt dann zu seinem Vater „Das ist Mord!“ und der serbische General erwidert „Das ist Politik!“. Der General wiederholt aber auch die nationalistischen Pathosformeln des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, die in kleiner Runde und bei einem Glas Wein eher komisch daherkommen. Vor allem verraten sie nichts über das zynische Machtsystem, das sich bis 1995 halten konnte.

Mit ihrem Superstar-Status hätte sich Angelina Jolie für ihr Kinodebüt als Autorin und Regisseurin jedes noch so aufwändige Glamourprojekt als Bonus der Studios wünschen können. Aber der Hollywoodstar hat sich für eine kleine Liebesgeschichte in Zeiten des Krieges entschieden und zumindest moralisch scheitert Angelina Jolie auf hohem Niveau. Die Idee der Autorin Jolie, den Bosnien-Konflikt sozusagen als – im Hollywood-Kino bevorzugtes – Familienepos zu erzählen, scheitert an der Komplexität der Ereignisse und Zusammenhänge, vor allem aber am Unvermögen der Regisseurin, die sich bei ihren Schauspielern mit der Ablieferung von Karikaturen des „Serbentums“ zufrieden gibt.