Country ohne Cowboystiefel

US-Superstar Lionel Richie macht nun Country-Musik? Nicht ganz. Der Sänger lud Stars der Szene ein, mit ihm seine Hits zu performen. Das führte ihn in seine Heimatstadt Tuskegee zurück, und so heißt das Album.

Wien –„How are you, dear?“, fragt Lionel Richie am Telefon und man ist versucht, mit Texten aus seinen Hits zu antworten. „Hello“, „All Night Long“ oder „Dancing on the Ceiling“ – die Songs sind poppig oder schmusig, aber immer zeitlos. Er selbst fühle sich „wie durch eine Kanone geschossen“, verrät der 62-Jährige, der Werbung für sein neues Album „Tuskegee“ macht. Mit der TT plauderte er über das Projekt, erzählte, warum er als Opa angeben muss und was im Musik­business Spaß macht.

In Tuskegee, Alabama, wurden Sie geboren. Wieso wählten Sie diesen Namen für den Albumtitel aus?

Lionel Richie: Die Melodien meiner Songs gingen um die Welt, sie sind Teil von jedem großen Genre, R’n’B, Pop, Klassik. Ich habe mir gedacht, das wahre Herz von Amerika ist Country-Musik. Deshalb habe ich beschlossen, ein Duett-Album­ mit einigen der größten Country-Stars von Amerika und Künstlern von außerhalb Amerikas zu machen. Ich wurde in Tuskegee geboren, ich habe die Commodores dort getroffen und meine Songs geschrieben. Dann bin ich durch die ganze Welt gereist und brachte die Lieder zu den Menschen. Nun bin ich wieder zurück in meiner Heimat, und es hat nur gepasst, das Album so zu nennen.

Wenn Lionel Richie ein Country-Album macht, sind wohl viele skeptisch.

Richie: Ich weiß! Aber ich mache eigentlich kein Country-­Album. Was ich bemerkte: Meine Songs waren immer schon Country, doch ich habe nie von mir als „Country“ gedacht. Als die Frage aufkam, ob Country-Stars Songs mit Lionel singen würden, war die Antwort, dass jeder es machen würde! Das Schöne war, dass ich meine Songs nicht auf Country-Art singen würde­, sondern ich würde mit den Stars singen. Keine Sorge, ihr werdet mich nicht in Cowboy-Boots und mit Hut sehen, ich verspreche es!

Sie haben so viele legendäre­ Hits. Wie wählt man aus, was auf ein Album kommt?

Richie: Das war das Einfachste­: Ich habe es den Künstlern überlassen. Ich sagte, singt den Song, den ihr mögt; sie sind also sehr wichtig für die Künstler. Kenny Chesney beispielsweise ist verliebt in den Song „My Love“, und Kenny Rogers musste „Lady“ singen­. Shania Twain hat sieben oder acht Jahre nichts aufgenommen­, ihr Song war „Endless Love“. Ich sagte den Sängern, sie sollen den Song zu ihrem machen. Und das ist großartig geworden!

War es schwierig, Ihre Lieder­ jemandem anderen zu geben­ und zu teilen?

Richie: Dazu muss man verstehen, wie ich mich sehe – als stolzen Papa, als Daddy dieser Songs. Und wenn jemand sagt, er mag meine Kinder, ist das das wahre Kompliment. Ich fühle keine Konkurrenz, sondern wirklichen Stolz, dass diese Künstler die Lieder stärker­ und besser singen wollen. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Aber es war auch etwas seltsam, und ich habe mich oft gefragt, wieso ich diesen Weg gegangen bin.

Sie haben Ihre Karriere in einer Band begonnen und waren dann lange solo unterwegs. Wie war es, wieder mit anderen zu arbeiten?

Richie: Oh mein Gott, das war der beste Teil der ganzen Erfahrung! Für mich ist es das, an was ich mich am besten erinnere. Die Musiker, die Witze, die man teilt, wenn man was Neues ausprobiert – das ist ein Prozess, der passiert, wenn man in einem Raum mit tollen Mitspielern ist.

Ich stelle mir vor, dass es lange dauert, bis so viele Künstler gemeinsam Zeit für Aufnahmen finden.

Richie: Das war ein Albtraum. Angekündigt waren drei Wochen­, die ich in Nashville verbringen sollte. Neuneinhalb Monate später haben wir das Album nun fertig. Jeder­ Star war auf Tour und arbeitete­ an neuen Alben. Es war verrückt, aber ich habe sie alle bekommen­.

Kannte auch Pixie Lott, die sehr jung ist, Ihre Songs?

Richie: Als wir telefonierten, sagte sie, dass sie so aufgeregt ist. Ich fragte, du bist 21 Jahre alt und kennst diese Songs? Sie meinte, sie kennt alles, was ich jemals gemacht habe. Das ist ein schönes Kompliment. Was mir in diesem Business immer noch Spaß macht und vermutlich Gottes Geschenk ist: Songs bleiben nicht bekannt, weil man gute Werbung macht. Sie bleiben bekannt, weil sich die Menschen in sie verlieben und sie von Generation zu Generation weitergeben.

Sie sind Großvater, noch sehr aktiv und auf Tour. Woher nehmen Sie Energie?

Richie: Nicole (Richie, seine Tochter, Anm.) erinnert sich an die 80er-Jahre, aber sie erinnert sich nicht mehr an die Commodores. Mein Sohn Miles­ (17) und Sophie (13) haben die 80er und die Commodores verpasst. Meine Enkel Harlow und Sparrow haben alles verpasst. „Papap“, wie mich Nicole nennt, muss den Kindern also zeigen, was er so macht, und deshalb schicke ich ihnen Fotos von mir auf der Bühne, wenn ich auf Tour bin. Opa muss ein bisschen angeben! Ich bekomme meine­ Energie von ihnen. Kinder zwischen einem und sechs Jahren sind wie kleine Batterien, sie können immer weitermachen. Ich werde so bald nicht nachlassen, weil ich mithalten muss!

Im Internet entwickelte sich ein Video zu „Hello“, das aus Filmschnipseln zusammengeschnitten ist, zum Hit.

Richie: Ich habe das gesehen, ist das nicht das Großartigste? Ich saß da und schrie, ich liebe­ es! Und wie sie es gemacht haben­, ist so clever, das hat sicher­ viel Arbeit gemacht.

Das Gespräch führte Cornelia Ritzer