„Mord“ am Bahnhof: Richter will zweites psychiatrisches Gutachten
Wegen einer tödlichen Messerattacke auf einen Lokalbesitzer stand heute ein 62-jähriger Innsbrucker vor Gericht. Der Prozess wurde kurz vor Mittag überraschend vertagt.
Innsbruck – Der Mann ist seit Herbst geständig, am 19. Oktober 2011 den Wirt des Innsbrucker Bahnhof-Cafés niedergestochen zu haben. Nach der Tat setzte sich der Mann seelenruhig an seinen Tisch zurück und wartete auf die Polizei, während sich andere Lokalgäste um den sterbenden Wirt kümmerten. Schon vor der Polizei konnte der Täter kein Motiv für die Tat nennen, bestreitet aber einen Tötungsvorsatz. Die Ausführungen in der Justizanstalt führten jedoch auf Antrag von Verteidiger Markus Abwerzger zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens durch die Staatsanwaltschaft.
Wie berichtet, wurde in dem Gutachten ein Verfolgungswahn beim Täter befunden. Seit Jahren glaubt der Mann nämlich, dass er vom Innsbrucker Rotlichtmilieu verfolgt werde. Selbst hat der Angeklagte nach 42 Vorstrafen schon 13 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht.
Verteidiger Abwerzger antwortete damals auf die Frage nach dem Motiv: „Ein solches ist nicht zu erklären. Der Mann fühlte sich schon seit Wochen in dem Lokal provoziert und dachte am Tag der Tat aufgrund seines nun festgestellten Verfolgungswahns, dass eine Prostituierte auf ihn angesetzt worden sei. Da mein Mandant auch noch gehört haben will, dass ‚man ihn wegtun wolle‘, hatte er schon seit zwei Wochen immer ein Küchenmesser bei sich.“
Dann sei alles ganz schnell gegangen. Der Wirt habe ihm beim Hinausgehen noch auf die Schulter gegriffen und der Innsbrucker darauf sofort das Messer gezogen und zugestochen. „Für meinen Mandanten ein totaler Kurzschluss! Mein Mandant war zum Tatzeitpunkt ganz sicher nicht fähig, den Unrechtsgehalt seines Stichs einzusehen. Die Untersuchung ergab nun eine Unzurechnungsfähigkeit aufgrund einer so genannten dissozialen Persönlichkeitsstörung, einer anhaltend wahnhaften Störung und einer Alkoholabhängigkeit. Der Tatbestand des Mordes verlangt aber nach schuldhaftem Verhalten! “
Die psychiatrische Sachverständige kam zu dem Schluss, dass ein hohes Risiko für weitere schwere Straftaten besteht.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung für Anstaltseinweisung
Eine Mordanklage war nach dem psychiatrischen Gutachten eher nicht mehr zu erwarten. Wahrscheinlicher wurde ein Antrag auf Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.
Dafür plädierten am Freitag zu Prozessbeginn dann sowohl der Verteidiger, als auch Staatsanwalt Boris Kuznik: „Heute ist der seltene Fall, dass die Verteidigung mit der Staatsanwaltschaft völlig in Einklang ist. Mein Mandant nimmt die Tat auf sich, ist aufgrund seiner Wahnvorstellungen jedoch nicht wegen Mordes zu verurteilen“, erklärte Verteidiger Abwerzger. Er führte das Gutachten dahingehend aus, dass sein Mandant nicht nur schwer alkoholkrank sei, sondern auch unter ausgeprägten Wahnvorstellungen leide. Schon in der Untersuchungshaft sei er ja niemals auf die Tat selbst eingegangen, sondern habe lediglich durch seine krankheitsbedingt eingebildete Verfolgung durch das Innsbrucker Rotlichtmilieu berichtet.
Erschreckend ist für Abwerzger, dass die Wahnvorstellungen bereits 2009 diagnostiziert wurden und diesbezüglich auch wenige Tage vor der Tat trotz Anlassfällen weder von der Polizei, noch von einem Amtsarzt entsprechende Schritte eingeleitet wurden.
Ein Urteil wurde für Freitagnachmittag erwartet, da der Angeklagte die Tat bereits gestanden hatte. Kurz vor Mittag wurde der Prozess dann jedoch überraschend vertagt. Der Vorsitzende des Schwurgerichts, Richter Josef Geisler, will ein neues psychiatrisches Gutachten über den Betroffenen vom österreichweit bekannten Psychiater Reinhard Haller anfertigen lassen. Gegenüber der TT begründete er diesen Entschluss damit, dass der Angeklagte vor Gericht „heute völlig normal gewirkt“ habe. Diese Divergenz will er aufgeklärt haben. (fell, tt.com)