„Scheitern macht gescheiter“
Wir sollten uns Fehler erlauben und sie als Chance sehen, sagt Psychotherapeut Moses Steinvorth. In seinem neuen Werk schreibt er über die „Schönheit des Scheiterns“.
Von Nicole Unger
Innsbruck –Fehler. Sie passieren und sind menschlich. Dennoch will sie in Zeiten von Perfektion und Erfolgsstreben keiner machen. Dabei gäbe es ohne Irrtümer keine Innovationen oder bahnbrechenden Erfindungen. Die Entdeckung Amerikas und die des Penicillins erfolgten durch Missgeschicke. Hätte der schottische Bakteriologe Alexander Fleming 1928 nicht eine Bakterienkultur offen in seinem Labor stehen lassen, bevor er in die Sommerferien fuhr, hätte sich niemals ein bakterientötender Schimmelpilz gebildet und die keimtötende Eigenschaft des Antibiotikums wäre niemals entdeckt worden. Auch Post-it, Viagra und Teflon basieren auf Fehlern. Und sogar Thomas A. Edison, Erfinder der elektrischen Glühlampe, soll nach seinen vielen Fehlproduktionen gesagt haben: „Ich bin nicht 10.000-mal gescheitert. Ich habe erfolgreich 10.000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.“
Trotzdem: Über das Scheitern wird nicht gerne gesprochen. In der heutigen Gesellschaft werden eher Geld, Berühmtheit, Schönheit Macht und Perfektion propagiert. Schon in der Schule wird der Rotstift angesetzt und nicht der grüne, für all jene Dinge, die man im Grunde richtig macht.
„Wir leben in einer erfolgsorientierten Gesellschaft. Über die Schattenseiten redet niemand gerne. Dabei habe ich jeden Tag damit zu tun“, bestätigt Moses G. Steinvorth, Psychotherapeut in Innsbruck. Steinvorth hat sich ausgiebig mit Misserfolgen beschäftigt. In seinem neuen, ironisch geschriebenen Buch „Otto & ich“ schreibt er von der „Schönheit des Scheiterns“. Die Geschichte handelt von zwei älteren Herren (einer davon ist der Autor selbst), die beschließen, richtige „Looser“ zu werden. Irgendwann müssen sie feststellen: Es ist gar nicht so einfach, zu versagen – irgendwas gelingt einem doch immer. Am Ende scheitern die beiden sogar am Scheitern.
„Ich bin eher zum Scheitern geboren“, gibt der Psychotherapeut zu. Er habe aber lange gebraucht, um zu sehen, dass man durch Rückschläge weiterkommt. Den Schlüssel für diese Erkenntnis fand Steinvorth vor allem in der Arbeit mit Krebspatienten. „Krankheit und Tod wird oft als Versagen der Medizin oder des Patienten angesehen. Patienten, die sich intensiv mit der Krankheit auseinandergesetzt haben, konnten die ‚Niederlage‘ aber akzeptieren und das Scheitern als Wendepunkt sehen“, weiß der Experte. Viele hätten ihre Chance genützt und seien dadurch gesundet.
Solche Neubeginne können Menschen in allen Lebensbereichen weiterbringen. So begrüßt Steinvorth beispielsweise die Wirtschaftskrise. Durch „verantwortungslose Strolche, die das ganze System in den Sand setzen“, wurde die Öffentlichkeit auf Missstände aufmerksam. „Eigentlich sollte alles noch schlimmer werden, damit der Schaden nicht nur repariert wird, sondern damit die Eliten endlich bereit sind, aus den Fehlern zu lernen“, sagt der Psychotherapeut. Er ist sich sicher: Auch aus privaten Krisen lassen sich Lehren ziehen. Wäre die Beziehung etwa nicht zerbrochen, hätte man nicht seinen neuen Partner kennen gelernt und hätte man den Job nicht gewechselt, hätte man nie seinen Traum verwirklichen können.
„Leider bekommt das Negative heutzutage viel mehr Aufmerksamkeit, es bietet viel mehr Faszination“, bedauert Steinvorth. Trotzdem sollte man immer wieder in die positive Ecke schauen. „Vor dem Schlafengehen empfehle ich, über ein oder zwei Dinge nachzudenken, bei denen man sich zumindest ein bisschen wohl gefühlt hat. So kommen keine trüben Nachtgedanken auf“, rät der Therapeut. Ideal wäre es, diese Gedanken aufzuschreiben. So hat man das Positive schwarz auf weiß.
Scheitern tut weh, gibt Steinvorth zu. Dennoch ist es wichtig, sich Fehler zu erlauben. „Wer sich Fehler erlaubt, hat weniger Druck und macht weniger Patzer. Wir brauchen das Scheitern. Es macht uns reifer und menschlicher“, ist er überzeugt. „Ohne Erfahrungen des Scheiterns würden wir wahrscheinlich alle größenwahnsinnig“, schreibt der Autor in seinem Werk.