Der Gelähmte und sein „Schutzteufel“
Schonungslose Schilderung: Die Vorlage des Kinohits „Ziemlich beste Freunde“ ist mehr als ein „Buch zum Film“.
Von Joachim Leitner
Innsbruck –Vor über zehn Jahren war das Buch „Le second souffle“ (ins Deutsche hätte man es wohl mit dem aus dem Sportjargon entlehnten „Die zweite Luft“ übersetzt) in Frankreich ein Achtungserfolg. Es verkaufte sich gut und inspirierte einen Dokumentarfilm „À la vie, à la mort“, der 2002 in ausgesuchte Lichtspielhäuser und ins Fernsehen kam.
Die Geschichte, die Philippe Pozzo di Borgo in „Le second souffle“ erzählt, dürfte mittlerweile bekannt sein, denn im vergangenen Jahr wurde sie von Olivier Nakache und Éric Toledano unter dem Titel „Ziemlich beste Freunde“ fürs Kino adaptiert und europaweit zum Überraschungshit des Kinojahres. Gut 20 Millionen Menschen haben den Film in Frankreich im Kino gesehen, rund acht Millionen in Deutschland, und auch in Österreich lösten bisher 700.000 Besuchern ein Kinoticket.
Angesichts dieser Zahlen verwundert es kaum, dass sich die neugegründete Berliner Dependance des Hanser Verlages ins Zeug legte, um sich die Rechte der deutschen Buchausgabe von Pozzo di Borgos Text zu sichern, zumal der Autor den Text um ein zusätzliches Kapitel erweitert hat. Und natürlich prangt auf dem Cover ein Szenenbild aus dem Film. Was das Buch in gewissem Sinn zu einer Mogelpackung macht. Eine Mogelpackung allerdings, der man ruhigen Gewissens auf den Leim gehen kann. Denn obwohl die Handlungsstränge, die das Gerüst des Films bilden, im Text nur eine marginale Rolle spielen, hat es Pozzo di Borgos autobiographische Erzählung in sich. Der Prozess des Dahinvegetierens wird schonungslos geschildert, nichts wird ausgespart. Pozzo di Borgo beschreibt seinen eigenen Verfall, den inneren wie den äußeren, in unbarmherzig klaren Worten. An keiner Stelle verkommt der Text zur selbstmitleidigen Nabelschau. „Ich bin nur noch gegenwärtiger Schmerz“, schreibt er am Anfang des Textes. Blendet er zurück, erzählt von einer Kindheit im goldenen Käfig, vom Leben der Hautevolee und von seinem Sturz in die Querschnittslähmung.
Vor allem aber erzählt er von Béatrice, seiner großen Liebe. Béatrice gibt ihm Halt. Béatrice lässt ihn am Leben bleiben. Béatrice stirbt und mit ihr stirbt auch der Lebensmut des Erzählers. Erst jetzt kommt Abdel – im Film wird die Figur Driss genannt – ins Spiel. „Abdel“, schreibt Pozzo die Borgo, „ist maghrebinischer Herkunft und fühlt sich in Frankreich marginalisiert. Wer ihn ‚berührt‘, läuft Gefahr, Prügel einzustecken, und er kann so schnell rennen, dass die Bullen ihn nur ein einziges Mal erwischten.“ Abdel wird zum „Schutzteufel“ des Gelähmten. Er provoziert ihn und weckt so den Überlebenswillen von Borgo di Pozzo. Im Film wird im Grunde nur diese Geschichte erzählt. Und vielleicht ist es eines der Erfolgsrezepte des Films, dass sein wundersamer Handlungsbogen wahr ist. Eine solche Geschichte muss man mögen. Eine ungewöhnliche Männerfreundschaft samt märchenhaftem Happy End, die sich noch dazu genau so zugetragen hat. Ein Unmensch, wer daran etwa auszusetzen hat.
Dass sich Trauer und Schmerz in Wirklichkeit eben nicht innerhalb einer mit Musik unterlegten Montage-Sequenz überwinden lassen und dass es einem Querschnittsgelähmtem manchmal auch in glücklichen Momenten schwerfällt zu lächeln, kurz: Dass die Dinge in Wahrheit dann doch nicht so einfach sind, zeigt das Buch. Es bringt auch die dunklen Stunden ans Licht.