Gesellschaft

Kurz vor Fußball-EM in der Ukraine: Bombenserie in Industriestadt

Vier Detonationen innerhalb weniger Minuten in einer ukrainischen Industriestadt forderten zahlreiche Verletzte.

Kiew - Gut eineinhalb Monate vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft hat eine Anschlagsserie in der Ukraine die Geburtsstadt der inhaftierten Oppositionschefin Julia Timoschenko erschüttert. Vier Bomben explodierten am Freitag kurz hintereinander in der Industrie-Metropole Dnjepropetrowsk (Dnipropetrowsk).

„Herausforderung für das ganze Land“

Mindestens 27 Menschen, unter ihnen neun Kinder, wurden durch die in Mistkübeln versteckten Sprengsätze nach Angaben des Innenministeriums verletzt. Über die Hintergründe wurde zunächst nichts bekannt. Die Generalstaatsanwaltschaft stufte die Anschläge als Terrorakt ein. Präsident Viktor Janukowitsch sprach von einer „Herausforderung für das ganze Land“.

Die erste Explosion ereignete sich nach Regierungsangaben um 11.50 Uhr an einer Straßenbahn-Haltestelle. Eine halbe Stunde später ging eine Bombe vor einem Kino hoch. Es folgten eine Detonation in der Nähe eines Parks und eine weitere Explosion ebenfalls in der Innenstadt. Innenminister Witali Sachartschenko machte sich auf den Weg Dnjepropetrowsk und übernahm persönlich die Leitung der Ermittlungen. Ein Polizeisprecher sagte, Festnahmen seien bisher nicht erfolgt.

Politische Lage angespannt

In der Ukraine sind Bombenanschläge äußerst selten. Allerdings ist die politische Lage angespannt, seit Timoschenko im vergangenen Jahr eine siebenjährige Haftstrafe antreten musste. Der ehemaligen Regierungschefin wird unter anderem Amtsmissbrauch vorgeworfen, was sie zurückweist. Die 51-jährige bezeichnet das Verfahren als politisch motiviert. Sie hatte zudem erklärt, sie sei während der Haft misshandelt worden. Aus Protest trat sie in einen Hungerstreik. Janukowitsch ordnete eine Untersuchung ihrer Vorwürfe an.

Die Partei von Janukowitsch wies den Vorwurf, Timoschenko werde misshandelt, indes als politische Stimmungsmache zurück. „Der Mythos von einer Verprügelung Timoschenkos wurde mit dem Ziel geschaffen, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von den unstrittigen Fakten ihrer kriminellen Tätigkeit abzulenken“, hieß es in einer Erklärung.

Kritik kommt vom Westen

Der Westen kritisierte die ukrainische Führung wegen der Inhaftierung Timoschenkos scharf. Die EU forderte die Regierung in Kiew bereits auf, ihren Botschafter zu der kranken Politikerin vorzulassen. Entgegen der Bitte der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton habe der EU-Botschafter bis zum Freitagmorgen noch keinen Zugang zu Julia Timoschenko erhalten.

„Wir erwarten und rufen die ukrainischen Behörden auf, dass alle juristischen Verfahren gemäß der internationalen Standards umgesetzt werden“, sagte Ashtons Sprecher am Freitag in Brüssel. Die für Justiz und Grundrechte zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding hatte am Vortag ihren Besuch beim ersten Spiel der Fußball-EM in der Ukraine abgesagt.

Boykott der EM steht im Raum

Auch der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck sagte eine für Mai geplante Reise in die Ukraine ab. Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich zieht einen Boykott der EM in Betracht. Er habe Probleme damit, als Sportminister im Fußballstadion zu jubeln, wenn einige Kilometer weiter jemand in Haft nicht so behandelt werde, wie es unter zivilisierten Staaten üblich sei, hatte er gesagt.

Der Chef der Berliner Universitätsklinik Charité, Karl Max Einhäupl, forderte die Ukraine auf, Timoschenko ausreisen zu lassen. Einhäupl, der Timoschenko untersucht hatte, hält eine Behandlung Timoschenkos in ihrer Heimat für wenig aussichtsreich.

Er habe Zweifel, dass in der Ukraine die notwendige Therapie erfolgreich durchgeführt werden könne. Nach Aussagen der Ärzte leidet die Oppositionsführerin an einem nicht behandelten und sehr schmerzhaften Bandscheiben-Vorfall, der sich zu einem chronischen Leiden ausgeweitet hat. Ihr Gesundheitszustand habe sich „deutlich verschlechtert“.

UEFA beobachtet Lage in Ukraine

Die rund 1,1 Millionen Einwohner zählende Industriestadt Dnjepropetrowsk ist kein Austragungsort von EM-Spielen. Die Europameisterschaft beginnt am 8. Juni. Die Ukraine richtet sie gemeinsam mit dem Nachbarland Polen aus.

Nach den Bombenanschlägen sieht die Europäische Fußball-Union (UEFA) keine unmittelbare Veranlassung zu neuen EM-Sicherheitsmaßnahmen. „Es ist zu früh, etwas zu sagen“, hieß es am Freitag aus der Verbandszentrale in Nyon (Schweiz). Die Situation in der Ukraine werde „beobachtet“.Eine konkrete Bewertung der Lage wollte die UEFA kurz nach den Anschlägen nicht abgeben.

Das Eröffnungsspiel findet am 8. Juni in Warschau statt, das erste Spiel auf ukrainischem Boden einen Tag später in Charkiw (Charkow). Dort sitzt Timoschenko in Haft. (APA/Reuters/AFP/dpa/RIA)