Epizentrum der Manipulation
Wenige Tage vor der EURO droht Italien ein Wettskandal. Polizeibeamte machten am Montagmorgen auch vor dem Teamquartier der Fußball-Nationalmannschaft nicht Halt.
Von Florian Madl und Max Strozzi
Innsbruck –Italiens Startenor Andrea Bocelli hatte noch am Sonntag das Teamcamp der „Squadra Azzurra“ in Covenciano besucht und Hände geschüttelt, aber nicht gesungen. Das sollen jetzt dafür einige Fußballer tun, und zwar im übertragenen Sinn. Domenico Criscito vom russischen Meister Zenit St. Petersburg etwa muss sich den Ermittlungen der italienischen Polizei stellen.
Als Beamte am frühen Montagmorgen um 6.25 Uhr in Coverciano eintrafen, wurde der Verteidiger umgehend aus dem EM-Aufgebot gestrichen. Bis zu dieser Razzia galt der 25-Jährige als gesetzt für den EM-Kader von Nationaltrainer Cesare Prandelli. „Ich habe damit nichts zu tun“, gab Criscito gestern zu Papier, Delegationsleiter Demetrio Albertini zweifelt nicht am 25-Jährigen: „Ich glaube seiner Version“, sagte der Ex-Milan-Mittelfeldspieler. Nicht so Staatsanwalt Roberto Di Martino: Ihm zufolge werden zwar keine weiteren Spieler der Squadra Azzurra verdächtigt, im Rahmen einer landesweiten Razzia wurden jedoch 19 Menschen festgenommen. Zu den 13 Profis darunter zählen Prominente wie Stefano Mauri, Kapitän von Miroslav Kloses Club Lazio Rom.
Ein Omen so wenige Tage vor der EURO? Bereits vor dem WM-Coup 2006 war der italienische Fußball vom Manipulationsskandal um Juventus Turin erschüttert worden. Und auch diesmal, da ein Innsbrucker Wettbüro den Stein ins Rollen brachte (siehe Kasten), scheint sich ein Schlüssel in der Millionenstadt zu befinden:
Die Staatsanwaltschaft Cremona ermittelt gegen Antonio Conte, Meister-Coach von Juve, dessen Haus ebenfalls durchsucht wurde. Als Trainer des AC Siena soll er in der Saison zuvor an Ergebnisabsprachen beteiligt gewesen sein, sein ehemaliger Spieler Filippo Carobbio hatte ihn belastet. Kurios: Erst vor wenigen Tagen hatte Conte, der Juventus gleich in seiner Premieren-Saison ungeschlagen zum Titel führte, den Vertrag bis 2015 verlängert. Polizei und Staatsanwaltschaft beschäftigen sich in erster Linie mit Partien unter Beteiligung von Lazio, Lecce, Genua, Siena und Novara.
Wie die Polizei mitteilte, standen auch im Ausland Durchsuchungen an. Die Aktion richte sich gegen eine „international operierende Organisation“. Da den Verdächtigen die „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung mit dem Ziel des Betrugs“ vorgeworfen wird, drohen mehrjährige Haftstrafen.
Die Staatsanwaltschaften Cremona und Bari haben seit dem vergangenen Jahr bereits Dutzende Personen festnehmen lassen. Darunter war im Dezember auch der ehemalige italienische Nationalspieler Cristiano Doni. Der frühere Kapitän von Atalanta Bergamo gehört auch zu den Angeklagten eines Prozesses, den der italienische Fußballverband (FIGC) ankündigte. Angeklagt: 22 Vereine, 61 Spieler, Manager. Nicht zu unrecht bezeichnete FIGC-Chefankläger Stefano Palazzi Italien als das „Epizentrum der Wettmanipulation“.