Campino im Interview

Der Blick zurück nach vorn

Heuer feiern „Die Toten Hosen“ ihr 30-Jahr-Band-Jubiläum und Frontman Campino wird 50. Die TT hat mit ihm gesprochen.

Zum Jubiläum haben „Die Toten Hosen“ neben dem Album „Ballast der Republik“ auch eine Platte mit Coverversionen veröffentlicht. Darauf spielen Sie auch Falcos „Rock me, Amadeus“. Wie kam es dazu?

Campino: Wir hatten die Freude, ihn gelegentlich getroffen zu haben. Eines der peinlichsten Erlebnisse in der Geschichte der Toten Hosen überhaupt war seinerzeit unsere Teilnahme an dem „Formel Eins“-Spielfilm. Bei dem hat Falco auch mitgemacht. So haben wir uns ein bisschen beschnuppern können und uns eigentlich ganz gut verstanden – obwohl er ein ziemlicher Spinner war. „Amadeus“ hat mir schon damals gefallen. Bei einer Tour de Force durch die deutsche Sprache gehört es einfach dazu.

Wie haben Sie die Songs ausgewählt?

Campino: Wir haben uns einfach vorgenommen, sämtliches Liedgut zu durchstöbern, das in den letzten 200 Jahren entstanden ist, und haben intuitiv zugegriffen. Wir haben manches probiert und einiges davon wieder sein lassen. Das Album ist die Essenz dieser Versuche, ein Nebenprodukt zum eigentlichen Album. Wir haben uns nicht allzu viele Gedanken darüber gemacht. Es sollte einfach Spaß machen.

Hätten Sie eines dieser Lieder gern selbst geschrieben?

Campino: Wir haben kein Problem damit, vor anderen Künstlern den Hut zu ziehen. Auf der Platte sind nur Lieder, die Größe haben. Lieder, die wir vielleicht selbst gerne geschrieben hätten.

Zudem haben Sie Texte von Hermann Hesse und Erich Kästner vertont.

Campino: Vor allem bei Kästner sehe ich es fast als persönliche Mission an, ihn den Menschen in meinem Umfeld näherzubringen. Viele kennen ihn nur als Kinderbuch­autor, dabei liegen seine wahren Qualitäten auch in seiner Ernsthaftigkeit.

Welcher Ballast lastet eigentlich auf der Republik?

Campino: Ich habe das Lied zusammen mit dem Rostocker Hip-Hopper Marteria geschrieben. Es ging uns darum, dass ein Mensch aus dem Osten und einer aus dem Westen versuchen, ein allgemeines Gefühl zu beschreiben, das zurzeit in Deutschland herrscht. Das Interessante ist ja, dass es egal ist, ob man in Ost- oder Westdeutschland groß geworden ist: Wir alle tragen die Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs mit uns herum. Es macht keinen Sinn, das zu ignorieren. Dürfen wir zum Beispiel eine Deutschlandfahne schwenken? Oder wird das von unseren Nachbarn bereits als Aggression wahrgenommen? Das alles hat mit unserer Geschichte zu tun und das Lied ist ein Versuch, diese Gedanken und Überlegungen ein bisschen zu streifen. Aber wir nehmen uns des Themas mit einem Lachen an. Zunächst einmal könnte man ja meinen, dass sich Die Toten Hosen selbst als „Ballast der Republik“ bezeichnen. Dieses spielerische Moment war uns wichtig. Wir versuchen uns auf unbefangene Weise mit der Geschichte Deutschlands und unserer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.

In „Draußen vor der Tür“ beleuchten Sie Ihre Beziehung zu Ihrem Vater, der vor ein paar Jahren starb. In „Das ist der Moment“ Ihr eigenes Vatersein.

Campino: Elternschaft ist ein unglaublicher Wendepunkt. Eine Kreuzung, an der viele Werte und Lebensvorstellungen in Frage gestellt werden. Manche werden sogar ausradiert, weil man sich mit den Realitäten auseinandersetzen muss. Für mich war das ein großes Glück. Ich habe mich lange nicht reif dafür gefühlt. Aber das war Quatsch: Man ist in dem Moment ein reifer Vater, wenn man es wird. Mein Sohn trägt mehr zu meiner Erziehung bei als viele andere Dinge in meinem Leben zuvor. Vielleicht lerne ich mehr von ihm als er von mir. Über ihn veränderte sich auch das Verhältnis zu meinen eigenen Eltern. Ich begann zu verstehen, dass viel von dem Zorn und der Wut, die ich damals abbekommen habe, Ausdruck von Hilflosigkeit und Angst um einen geliebten Menschen waren.

Was wäre, wenn Ihr Sohn auch Rockmusiker werden will?

Campino: Wenn es aus Begeisterung und Leidenschaft geschieht, würde ich mich freuen. Ich wäre skeptisch, wenn es ihm nur darum gehen würde, berühmt zu werden. Letztendlich kann er Arzt oder Busfahrer werden, Hauptsache er wird ein Mensch mit einem aufrechten Charakter.

Angenommen Dieter Bohlen würde Ihnen einen Jury-Posten bei seiner Castingshow anbieten?

Campino: Das ist schon passiert. Aber ich kann so eine Funktion nicht erfüllen. Ich bewerte keine Musiker in der Öffentlichkeit. Ich finde, das hat immer eine gewisse Arroganz. Bohlen hat das Konzept der Sendung mitentwickelt. Mit seinem Cowboy-Verhalten sorgt er für gute Quoten. Aber ich würde mich in dieser Rolle nicht wohlfühlen.

Was halten Sie von dieser neuen Art, berühmt zu werden?

Campino: Jeder, der will, soll sein Glück dort versuchen. Aber ich halte von solchen Sendungen nichts und würde Künstlern, die es ernst meinen, davon abraten. Selbst wenn man gewinnt, ist man nach ein paar Wochen nur noch der Casting-Show-Depp.

Sie selbst bevorzugen es, sich als Handwerker und nicht als Künstler zu bezeichnen.

Campino: Bei den Proben zur „Dreigroschenoper“ hat Klaus Maria Brandauer, der Regie führte, vor versammelter Truppe gesagt: „Künstler sein, das könnt ihr zuhause. Hier wird gearbeitet!“ So sehe ich das auch. Für uns trifft der Begriff Handwerker unsere Einstellung zur Arbeit. In dem Moment, in dem der Künstler sich selbst in den Vordergrund spielt, wird es peinlich und pathetisch.

Wie viel vom Punk der Anfangszeit steckt noch heute in Ihrer Musik?

Campino: Die Vorstellung, was Punk war und was nicht, war damals ziemlich klar definiert. Es war eine Bewegung und wir hatten ihre Philosophie und Ideologie mit Löffeln gefressen. Man muss sicherlich nicht lange suchen, um bei uns heute noch Spuren dieser Bewegung zu finden. Es gibt viele Tricks und Spielchen der Branche, bei denen wir nie mitmachen würden.

Ist das aktuelle Album auch eine Bilanz der ersten 30 Band-Jahre?

Campino: In den letzten zwei Jahren haben wir uns selbst unter Druck gesetzt: „Ballast der Republik“ sollte etwas Besonderes werden. Wir haben versucht, nach vorne zu schauen und uns gleichzeitig auf unsere früheren Stärken zu besinnen. Außerdem wollten wir die Liebe zur Melodie wieder aufleben lassen. Die Linie zwischen einem kitschigen Lied und einem, das dem Menschen nahegeht, ist extrem dünn. Aber es ist die Kunst, sich an diese Linie heranzuwagen. Wenn man immer auf der sicheren Seite bleibt, wird es einem nie gelingen, einen Text zu schreiben, der wirklich berührt.

Wie reagiert das Publikum auf die neuen Lieder?

Campino: Es ist ein unglaublich großes Glück zu spüren, dass die Menschen uns nach all den Jahren noch hören wollen. Dass sie unsere neuen Lieder nicht nur ertragen, bis wir endlich „Hier kommt Alex“ spielen, sondern sie auf Augenhöhe mit den alten Songs annehmen. Das gibt uns die Möglichkeit, nach vorne zu schauen und uns gleichzeitig auch den einen oder anderen Rückblick zu erlauben.

Bald werden Sie fünfzig. Wie geht es Ihnen damit?

Campino: Solange ich meinen Sohn beim Laufen noch einholen kann, ist die Welt in Ordnung. Erst dann, wenn er mir wegrennt, muss ich meine Strategie überdenken. Älterwerden wird nur dann zum großen Thema, wenn man keine anderen Sorgen hat.

Das Gespräch führte Joachim Leitner